Düsseldorf. Ex-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) wirft der Stadtbücherei Münster Bevormundung vor, weil die vor zwei umstrittenen Werken warnt.

Wird hier die freie Meinungsbildung eingeschränkt, oder sind es wichtige Informationen für Leserinnen und Leser? Ein Streit über Warnhinweise auf zwei Büchern in der Stadtbücherei Münster hat den Landtag erreicht und wirft grundsätzliche Fragen auf zum Umgang mit umstrittenen Inhalten, nicht nur in literarischen Werken.

Es geht konkret um zwei umstrittene Sachbücher, die von der Stadtbücherei Münster mit Warnhinweisen versehen wurden. Auf den Aufklebern steht: „Der Inhalt dieses Werkes ist unter Umständen nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar.“  

Muss man vor dem „Putinversteher“ und dem „Verschwörungstheoretiker“ warnen?

„Putin. Herr des Geschehens“ des Autors Jacques Baud ist eines der beiden Bücher. Es thematisiert die Vorgeschichte des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und will die Verantwortung für den Krieg vom russischen Präsidenten wegrücken. Buch Nummer zwei -- „2024 – das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen“ von Gerhard Wisnewski – verliert sich in diversen Verschwörungstheorien und richtet sich gegen Politik und Medien. Die Aufkleber, die die Stadtbücherei Münster als „Einordnungshinweise“ bezeichnet, signalisieren den Kundinnen und Kunden: Vorsicht bei dieser Lektüre!

12. Sitzung des Landtags NRW.
„Wehret den Anfängen“: Yvonne Gebauer (FDP) wittert hinter den Warnhinweisen „moralische Bevormundung“. © picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski/SVEN SIMON

Ist das etwa schon Zensur? Die frühere NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sieht darin jedenfalls einen „Angriff auf die Meinungsbildung“.

 „Wehret den Anfängen! Diese Warnhinweise sind Ausdruck einer bedenklichen Tendenz, die Mündigkeit der Bürger zu untergraben und öffentliche Einrichtungen zu Instrumenten moralischer Bevormundung umzufunktionieren“, schreibt Gebauer, heute kulturpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, in einer Mitteilung.

Klassiker unter Verdacht: „Ein Herz und eine Seele“, „Otto“ und „Schimanski“

Die Liberale teilt in diesem Zusammenhang gleich auch gegen die ARD und den WDR aus, die inzwischen Warnhinweise vor TV-Klassikern wie „Ein Herz und eine Seele“, „Otto“ und „Schimanski“-Tatorten einblenden.

Vor der Serie um den reaktionären Alfred Tetzlaff, der seinen Schwiegersohn „langhaarige bolschewistische Hyäne“ und Willy Brandt einen „norwegischen Emigrantenkanzler“ nennt, sehen Zuschauer inzwischen diesen Hinweis: „Das folgende fiktionale Programm wird in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, deren Sprache und Haltung aus heutiger Sicht diskriminierend wirken können.” Tatsächlich teilt der Serien-Antiheld Tetzlaff laufend gegen „Sozis“ und Migranten aus, gibt sich allerdings in seiner Spießigkeit der Lächerlichkeit preis.

„Schmuddelkommissar“ Horst Schimanski, der zwar nicht immer gesetzestreu arbeitet, aber einen gut funktionierenden moralischen Kompass hat, scheint Zuschauerinnen und Zuschauern von heute auch nicht mehr ohne Warnung zuzumuten zu sein. Vor diesen Filmen heißt es: „Das folgende fiktionale Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen mit diskriminierender Sprache und Haltung“.

Bibliothekarin: „Man kann diese Bücher lesen oder nicht lesen, das steht jedem frei“

Heike Pflugner ist im Verband „Bibliotheken NRW“ Vorsitzende für den Bereich Öffentliche Bibliotheken. Sie hält Gebauers Kritik an den Warnhinweisen für einen „Sturm im Wasserglas“, der wohl dem Bundestagswahlkampf geschuldet sei. „Man kann diese Bücher lesen oder nicht lesen, das steht jedem frei“, sagt sie.

In Münster habe es Leserwünsche nach den beiden Titeln gegeben, andere Leserinnen und Leser hätten sich aber darüber beschwert. „Daher hat sich Münster dazu entschlossen, die beiden Bücher mit Aufklebern zu versehen. Das erschien den Kolleginnen und Kollegen dort als sinnvoller Kompromiss“, so Pflugner. Die Bibliotheksleitungen seien so kompetent, dass sie selbst über solche Maßnahmen entscheiden könnten. Die Verbandsvorsitzende hat jedenfalls viel Verständnis für die Entscheidung ihrer Kolleginnen und Kollegen in Münster. Pflugner betont: „Wir sehen den Leser als mündig an, und wir sind der Demokratie, insbesondere Artikel 2 des Grundgesetzes – dem Recht auf Meinungsfreiheit - verpflichtet.“

Die Bücherei Münster sagte auf Nachfrage dieser Redaktion: „Im Lektorats-Team der Stadtbücherei wird ein Kontextualisierungshinweis beispielsweise dann geprüft, wenn ein Titel in den Medien besonders kontrovers besprochen wird oder wenn es Bitten um Prüfung aus der Nutzerschaft gibt.“

Immer wieder müssten sich Stadtbibliotheken mit der Frage beschäftigen, ob sie bestimmte Bücher anbieten sollten. „Bei Thilo Sarrazins Buch ,Deutschland schafft sich ab‘ gab es auch heftige Diskussionen“, erklärt Heike Pflugner. „Wir haben es dennoch zur Verfügung gestellt, damit sich jeder ein eigenes Bild machen kann.“

Die Stadtbibliotheken versuchten, so gut wie möglich auf die Wünsche ihrer Kundinnen und Kunden einzugehen. Dabei stellten sie im Bereich Sachbuch eher populärwissenschaftliche Literatur zur Verfügung, weil wissenschaftliche Literatur Angelegenheit der wissenschaftlichen Bibliotheken sei.

Gebauer: „Mit zwei Büchern fängt es an. Doch was ist der nächste Schritt?“

Yvonne Gebauer sieht indes durch die Warnhinweise die Demokratie in Gefahr und warnt: „Mit zwei Büchern fängt es an. Doch was ist der nächste Schritt? Eine Liste der ‚erlaubten‘ Inhalte?“ Unsere Demokratie sei stark genug, auch kontroverse Ansichten auszuhalten.