Berlin. Politikwissenschaftler Schroeder über die Folgen des Anschlags für den Wahlkampf, den Auftritt von Scholz – und die Rolle von Musk.
Nach dem Anschlag von Magdeburg herrschen Trauer, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Auffällig: Die erste Reihe der Spitzenpolitik hält sich mit Forderungen nach Konsequenzen zurück. Ob und welche Folgen das Attentat des Täters aus Saudi-Arabien, der in Deutschland als Arzt arbeitete, für den Wahlkampf zur Bundestagswahl hat, ordnet der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Gespräch ein.
Herr Schroeder, wie sehr wird der Anschlag in Magdeburg den Wahlkampf verändern?
Wolfgang Schroeder: Das ist noch sehr offen. Der erste Reflex der AfD war, die Tat zu instrumentalisieren. Innerhalb kürzester Zeit gab es aber eine andere Ausgangslage. Der Täter war wohl kein Islamist, der eigentlich gar nicht hier sein dürfte, sondern eine Fachkraft, der AfD-nahe, rechtsextreme und islamfeindliche Beiträge in den sozialen Netzwerken seit Jahren unterstützt hat. Er passt also nicht in das Raster, das die AfD bedienen wollte.
Aus der zweiten Reihe der AfD wird der Fall dennoch aufgegriffen. Mit ihren „Remigrationsplänen“, also der millionenfachen Abschiebung, sei das nicht passiert, heißt es. Auch wird bestritten, dass der Täter AfD-nahe Positionen vertrat, die mediale Berichterstattung sei falsch, schreiben manche im Netz. Verfangen solche Botschaften?
Schroeder: Ein faktenwidriges, emotionalisierendes und den Zorn verstärkendes Verhalten ist das Geschäftsmodell der AfD. Normalerweise müsste Alice Weidel ihre Partei jetzt disziplinieren. Dazu wird es aber vermutlich nicht kommen. Alice Weidel wird sich zurückhalten, gelegentlich vielleicht Andeutungen machen. Dagegen wird die zweite Reihe, beziehungsweise genauer das Vorfeld, wie zum Beispiel die Junge Alternative und rechtsextreme Influencer, sich für den Krach, die emotionale Ausrichtung und die Instrumentalisierung des Attentats zuständig sehen. An dieser Doppelrolle wird die AfD wohl festhalten.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich in Magdeburg betroffen gezeigt, während Bürger bei seiner Ankunft „haut ab“ geschrien haben. Was bedeuten diese Szenen für seinen Wahlkampf?
Schroeder: Es ist die Verantwortung des Kanzlers und seiner Minister, ein solches Attentat zutiefst seriös und empathisch zu begleiten. Das haben sie gut gemacht. Dass diejenigen schreien, die ohnehin ein anderes System wollen, ist nicht überraschend. Mit Blick auf den Wahlkampf lässt sich wenig vorhersehen. Normalerweise gibt es einen strukturellen Vorteil für denjenigen, der sichtbar ist und seine Sache gut macht. Dieser Fall aber ist sehr komplex, die Lage ändert sich fortwährend. Es gibt heute eher nicht die gleiche Wirkung wie 2002, als Gerhard Schröder mit Gummistiefeln in der Elbe stand und signalisierte, dass er anpackt.
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Eignet sich der Fall angesichts des komplexen Täterprofils für Reformdebatten bei Migration und Sicherheit?
Schroeder: Es ist eine neue Qualität und eine noch viel größere Gefahr: Der Täter passt in kein klassisches Schema. Gegenwärtig ist ja auch keine konkrete Gruppenzugehörigkeit bekannt. Man kann nicht einfach ein System austrocknen oder die Rädelsführer ausfindig machen. Dieser Täter wurde vielleicht eher durch den Populismus und die Feindbestimmung der AfD stimuliert, weil er darin Kräfte sieht, die versuchen, mit radikalen Maßnahmen für Ordnung zu sorgen. Dass jemand ein Problem identifiziert, ist das eine, das andere sind die Mittel, die er einsetzt. 205 Tötungsversuche ist das grausamste und angsterregendste, was dieser Einzeltäter machen konnte.
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Welche Lehren sollte die Politik aus dem Fall ziehen?
Schroeder: Wir haben Kräfte, die als Polarisierungsunternehmer in Erscheinung treten, und solche Attentate instrumentalisieren, um den vorhandenen Zorn zu bedienen und Feindbestimmungen zu formulieren. Die erste politische Instanz, die in diesem instrumentellen Sinne vorgeht, war bisher die AfD. Mit Blick auf Social Media müssen wir uns fragen, ob Menschen, wie der Attentäter, für ihre extreme Radikalisierung das Netz nutzen oder ob die Radikalisierungen durch das Netz selbst erfolgt ist.
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Auf seinem Netzwerk X mischt Elon Musk selbst in der Debatte mit…
Schroeder: Elon Musk, der reichste Mensch der Erde, ein eigenes weltweit agierendes Netzwerk besitzend, für den zukünftigen US-Präsidenten arbeitend, hat angesichts dieser Machtfülle eine hohe Verantwortung. In seinem Verhalten erinnert er an den Medien-, Wirtschafts- und Politmogul Alfred Hugenberg. Da wird die Macht eingesetzt, um die eigene Idee einer anderen politischen Ordnung gegen Fakten, Wahrheiten und demokratische Instanzen durchzusetzten. Vermutlich muss man ernsthafter über Reglementierungen nachdenken, damit ein solches aufstachelndes Verhalten am Ende nicht zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führt.
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