Berlin. Gesundheitsminister Lauterbach will Kliniken von Zwängen der „Fallpauschalen“ befreien. Eine Analyse deutet an: Das könnte scheitern.
Die Krankenhausreform von Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sorgt für Debatten im Gesundheitssektor. Klar ist, die Zahl der Insolvenzen von Kliniken ist hoch, seit 2022 waren es nach einer Berechnung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) mehr als 50. Nicht alle mussten schließen, und doch ist die Befürchtung groß: Wie ist es um die Zukunft der Versorgung in Deutschland bestellt?
Lauterbachs Idee: Weniger Standorte, aber dort bessere Versorgung. Kliniken sollen sich stärker spezialisieren, Fachkompetenzen aufbauen. Gerade auf dem Land plant die Regierung, dass Krankenhäuser als „sektorenübergreifende Versorgungseinrichtung“ stärker ambulant arbeiten. Lauterbach will Kliniken wieder aus den roten Zahlen bringen. Das geplante Gesetz wurde im Oktober vom Bundestag verabschiedet. Und doch könnte es noch scheitern, weil Bundesländer Protest anmelden – und Änderungen fordern.
Massive Kritik an der Reform kommt seit Monaten auch von der DKG, in der nicht nur Landeskrankenhausgesellschaften vertreten sind, sondern auch der Deutsche Städtetag und soziale Verbände wie die Caritas. Im Mittelpunkt des Protests steht auch neu geplante Finanzierung der Kliniken. Die DKG hat nun eine Auswertung der Lage von fast 1600 Krankenhausstandorten bei den Daten-Analysten der Firma Vebeto in Hamburg in Auftrag gegeben. Sie soll am Montag in Berlin vorgestellt werden und liegt dieser Redaktion vorab vor. Daraus geht hervor: Für viele Kliniken würden durch die Reform Erlöse von bis zu 30 Prozent wegbrechen.
Ein Drittel der untersuchten Standorte würde Einnahmen bis 30 Prozent verlieren
Ein Kernpunkt der Auswertung ist die neu aufgebaute Finanzierung der Krankenhäuser entlang von Mindestvorhaltezahlen. Lauterbach will die Kliniken weniger stark abhängig von Fallpauschalen machen, da diese einen enormen Druck auf die Häuser aufbauen würden, möglichst viele Patienten möglichst schnell zu behandeln. Die Finanzierung durch Fallpauschalen wird mit der Reform reduziert, stattdessen bekommen Krankenhäuser einen großen Teil ihrer Pauschalen, wenn sie Leistungen anbieten und entsprechend Betten, Personal und medizinische Geräte dafür vorhalten: die sogenannte Mindestvorhaltezahlen. Kliniken halten dauerhaft Plätze für bestimmte Behandlungen bereit – und stellen so die Versorgung der Menschen in der Region sicher. Der Gedanke: Es kommt für die Kliniken weniger auf die Masse der Behandlungen an, um sich zu finanzieren.
Doch laut DKG zeigt die „Simulation“ von Vebeto, dass „die Mindestfallzahlen in allen Regionen Deutschlands zu Erlösverlusten führen“. Dabei seien kleine Versorger möglicherweise stärker betroffen als große – gerade im ländlichen Raum. Die Daten-Experten haben die Lage von 1589 Standorten betrachtet.
Das Problem sei demnach: Unterschreitet ein Krankenhaus die Mindestvorhaltezahl an Betten, Personal und Geräten bei einer bestimmten Behandlung (etwa Krebstherapien), verliert es im Jahr darauf die Finanzierung durch die „Vorhaltepauschalen“, nicht nur in Teilen, sondern gleich vollständig. Dies wirke sich negativ auf die Planungssicherheit der Krankenhäuser aus, so die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit Hinweis auf die Untersuchung. Das Problem verschärfe sich, wenn Fallzahlen bei bestimmten medizinischen Eingriffen von Jahr zu Jahr stark schwanken würden.
Im Ergebnis bedeutet das laut DKG, die auf die Vebeto-Untersuchung verweist: Für etwa ein Drittel der betrachteten Kliniken können die Mindestvorhaltezahlen zu Erlösverlusten zwischen drei Prozent bis zu 30 Prozent führen, wobei der größte Teil (429) der Unternehmen laut der Simulation niedrige Einbußen im Bereich bis drei Prozent verzeichnen könnten. Für einen kleinen Teil der Standorte käme es laut den Berechnungen zu mehr als 30 Prozent weniger Einnahmen. Allerdings: Auch 214 Kliniken könnten laut der „Simulation“ künftig Gewinne durch die Umstellung auf „Vorhaltepauschalen“ machen. Profitieren würden demnach besonders große Häuser sowie spezialisierte Fachkliniken.
Die Analysten heben hervor, dass sich diese Einbußen allein auf einen „Wegfall der Vorhaltefinanzierung“ für Kliniken beziehen würden – nicht auf die Einnahmen, die Krankenhäuser durch Fallpauschalen generieren. Da die Mindestfallzahlen noch unklar sind, kann nach Angaben von Vebeto aus der Modelluntersuchung nicht abgeleitet werden, wie viele und welche Krankenhäuser durch die Mindestfallzahlen gefährdet sein könnten. Die Simulation diene vielmehr dazu, „die unterschiedlichen Effekte der Mindestfallzahlen in Bezug auf räumliche Regionen, Krankenhausgrößen und Ausnahmeregelungen zu illustrieren“.
Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, kritisierte Karl Lauterbach und die Reform scharf. „Der selbsternannte Robin Hood ist tatsächlich der politische Insolvenzvollstrecker der Kliniklandschaft, der mit seiner ideologisch fehlgeleiteten Politik die Krankenhäuser an den Rand der Klippe geschoben hat“, sagte Gaß kürzlich.
Verbände beklagen: Eine „Ambulantisierung von Leistungen“ wird gebremst
Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt grundsätzlich Lauterbachs Kernstück der Reform, die „Vorhaltepauschalen“. Zugleich sehen auch die Gewerkschafter das Problem, dass Fallzahlen noch immer zu große Bedeutung für die Finanzierung der Kliniken haben – eben auch bei den neuen Pauschalen. Auch andere Verbände warnen: Denn „Mengenanreize“ würden bestehen bleiben. Eine „Ambulantisierung von Leistungen“ würde gebremst.
Das Problem ist aus Sicht der Krankenhausgesellschaft, dass die neue Finanzierung, die sich stärker am Aufbau von Kapazitäten orientiere, keine „Entökomisierung“ des Gesundheitswesens bedeute. Im Gegenteil, die Untersuchung von Vebeto belege, das auch die „Vorhaltefinanzierung überwiegend fallzahlabhängig“ sei. Eine Bestandsgarantie für kleine Häuser sei „nicht ableitbar“, heißt es darin laut DKG.
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