Berlin. Einen Rückzug aus der Koalition bezeichnete er als „respektlos“. Nun bleibt Wissing im Amt, ohne Partei – und das war gut vorbereitet.
In der Minute der wohl gewichtigsten persönlichen Richtungsentscheidung seiner politischen Laufbahn steht Volker Wissing am Donnerstagmorgen im Medienraum des Bundesverkehrsministeriums in Berlin hinter einem grauen Pult und faltet die Hände zusammen. Was dann folgt, ist der bemerkenswerte Auftritt eines Mannes, der bereit ist, die eigene politische Karriere zu opfern, um seinem Land zu dienen.
Am Tag nach dem Ampel-Bruch und dem Aus von FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner im Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) formuliert Wissing leise und mit Bedacht. Scholz, sagt Wissing dann, habe ihn gefragt, ob er bereit sei, das Amt als Verkehrsminister fortzuführen. Er habe darüber nachgedacht und das bejaht. „Ich möchte mit dieser Entscheidung keine Belastung für meine Partei sein und habe deshalb heute Herrn Christian Lindner meinen Austritt aus der FDP mitgeteilt“, erklärt Wissing.
Wissing hat sein Aus bei der FDP und sein Verbleiben im Amt gut vorbereitet
Von den Grundwerten seiner Partei distanziere er sich damit nicht, auch in eine andere Partei werde er nicht eintreten. „Die Entscheidung ist eine persönliche Entscheidung von mir, die meiner Vorstellung von Übernahme von Verantwortung entspricht. Ich möchte mir selbst treu bleiben.“
Wissing, so scheint es, hat geahnt, was da auf ihn und seine bisherigen Ampel-Partner zukommen wird. Er hat diesen Schritt, seiner Partei den Rücken zu kehren und im Amt zu bleiben, gut vorbereitet. In einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ aus der vergangenen Woche gab er gewissermaßen vorab Einblick in seine Beweggründe, nun im Amt zu verbleiben.
Wissing als „Mr. Ampel“ – im eigenen Ressort jedoch sind die Baustellen groß
„Man kann sich zurückziehen und sagen: Da mache ich nicht mehr mit. Doch das wäre respektlos“, schrieb Wissing darin und meinte damit den vorzeitigen Bruch der eigenen Koalition. Der Souverän, also die Wählerinnen und Wähler, hätten drei Parteien damit beauftragt, eine Mehrheit zu bilden. „Er wollte eine Konstellation, in der unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Werten um gute Kompromisse für unser Land ringen und es voranbringen.“ Und weiter formulierte Wissing, dass eine lebendige Demokratie auch nicht das Ziel verfolge, einseitig Interessen gegen andere durchzusetzen – eine Spitze gegen Lindner, der zuvor kaum Bereitschaft zeigte, eigene Maximalpositionen aufzugeben.
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Wissing war als „Mr. Ampel“ vor drei Jahren in das neue Bündnis in Berlin aus SPD, Grünen und FDP gestartet. Als einziges Kabinettsmitglied gehörte er zuvor in Rheinland-Pfalz einer Ampel-Landesregierung an. In Berlin verhandelte er erst die neue Dreierkonstellation mit, galt dann innerhalb der selbst ernannten „Fortschrittskoalition“ als Hoffnung. Digitales und Verkehr in einem Haus – mehr Zukunft ging kaum. Viel half ihm das nicht. Obwohl er Milliarden in die Hand nahm, um zu investieren, steht Wissing für die bröckelnde Deutsche Bahn, marode Straßen und Brücken und seine vehemente Weigerung, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen. Die Grünen verspotteten ihn deshalb gerne als „Autominister“.
Wissing übernimmt bis zur Neuwahl nun auch noch das Justizressort
Wer mit Wissing zusammenarbeitet, beschreibt ihn als fleißig und diszipliniert. Fakten kann er genauesten darlegen. Möglicherweise kommt da der ehemalige Richter in ihm durch. Wissing gilt als gläubig, seit vielen Jahren spielt er Orgel. Er sei meinungsstark, durchsetzungsfähig und könne durchaus ein „harter Brocken“ sein, sagt eine Quelle. Durchaus sei er auch kommunikativ, wenn es darum geht, um die besten Ideen zu ringen. Der Wettbewerb um die besten Lösungen zog Wissing einst in die Politik. Ausgerechnet sein Verhältnis zu Christian Lindner, mit dessen Kurs innerhalb der Ampel er schon länger fremdelt, soll aber eher distanziert sein. Sich so wie der FDP-Chef selbst in den Mittelpunkt zu stellen – das liegt Wissing nicht.
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Bis zur Neuwahl, so ist es geplant, soll Wissing neben dem Verkehrs- nun auch noch das Justizressort übernehmen. Gut möglich aber ist, dass durch den Austritt aus der FDP nach dem Ende der Regierung Scholz auch Schluss sein wird mit Wissings eigener politischer Laufbahn. Wissing, der es innerhalb der FDP vom Referenten bis zum Bundesminister gebracht hat, wird das verkraften können. Er ist Teilhaber der von ihm gegründeten Patent- und Erbrechtskanzlei Wissing Heintz Gehrlein Rechtsanwälte PartGmbB, besitzt ein Weingut und Immobilien. In seinen alten Job als Jurist könnte er jederzeit zurückkehren.
Wissings Parteiaustritt: Bisherige Staatssekretärin kritisiert ihn scharf
In der FDP jedenfalls wundert man sich auch über Wissings Weg. Gerade, weil er seine eigene Meinung nicht versteckt, ist man innerparteilich durchaus auch ratlos. Man habe nicht erwartet, dass er nun ausgerechnet mit den Partnern an der Regierung festhält, die „ihn zuvor drei Jahre lang kritisiert haben“, so ein Beobachter.
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Auch Wissings bisherige parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesverkehrsministerium, Daniela Kluckert (FDP), kommentiert gegenüber unserer Redaktion scharf: „Deutschland braucht jetzt einen schnellen und klaren Neuanfang. Volker Wissing ist das, was er ist, durch die FDP. In so einer Lage nicht die notwendigen Schritte einzuleiten, sondern ausschließlich am eigenen politischen Fortkommen interessiert zu sein, ist unverantwortlich.“ Öffentlich hatte Kluckert zuvor auch erklärt, kein Vertrauen mehr in Wissing zu haben, und ihre Entlassung beantragt.
Wissing hatte den Glauben an die Ampel hingegen nie verloren
FDP-Parteichef Lindner vermeidet hingegen eine Bewertung. Wissings Schritt habe man im Präsidium zur Kenntnis genommen. Er wünsche ihm alles Gute. Lindner selbst erneuert am Donnerstagmittag aber Vorwürfe in Richtung Kanzler Scholz und wirft ihm „vorsätzlichen Koalitionsbruch“ und eine „Entlassungsinszenierung“ vor. Staatspolitisch unterstellt er dem Kanzler, wenig verantwortungsbewusst gehandelt zu haben. Die ebenfalls entlassenen FDP-Minister Buschmann und Stark-Watzinger folgen den Worten ihres Parteichefs mit betretenen Mienen.
Wissing selbst hatte den Glauben an die Ampel hingegen nie verloren. Es seien schwierige Zeiten, sagt er am Donnerstagmorgen vor Journalisten. Er sei der Auffassung, dass die Regierung mehr Chancen gehabt hätte, wenn man von Anfang an gemeinsamer und stärker am Erfolg gearbeitet hätte. Gewünscht hätte er sich, zueinander Brücken aufzubauen, anstatt Kontroversen öffentlich auszutragen. Gelungen ist der Koalition das fast nie. „Mr. Ampel“ hat daraus nun seine ganz eigenen Konsequenzen gezogen.