Düsseldorf. Weder schwierige Zeiten noch der unbeliebte grüne Partner können dem NRW-Ministerpräsidenten zurzeit etwas anhaben. Das hat Gründe.
Wäre Hendrik Wüst ein Freund von Kalenderweisheiten, hätte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident am Sonntag vermutlich das Blatt mit der Zeile „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg“ gestreichelt.
Der neueste NRW-Trend von Infratest Dimap im Auftrag des WDR bescheinigte seiner CDU in der Sonntagsfrage stolze 40 Prozent - noch einmal zwei Prozentpunkte mehr als in der letzten Landesumfrage im April. Es ist der beste Wert für die NRW-CDU seit der Ausnahmelage im ersten Corona-Frühjahr 2020.
Wüst kann es auf diesem Hochplateau sogar egal sein, dass sein grüner Koalitionspartner weiter schwächelt, mit nur noch 14 Prozent den schlechtesten Wert seit sechs Jahren erzielt und sich die Volkspartei-Träume der Ökopartei einstweilen erledigt haben. Schwarz-Grün steht zusammen so stabil da wie noch selten eine NRW-Landesregierung zur Mitte der Legislaturperiode.
Eine Mehrheit will die Grünen nicht mehr in der NRW-Regierung sehen
Dabei sind die NRW-Bürger nicht einmal sonderlich überzeugt von der Regierungsarbeit. Laut Infratest sind 46 Prozent der Befragten zufrieden, eine knappe Mehrheit von 48 Prozent aber weiterhin unzufrieden. Nach der nächsten Landtagswahl 2027 will die Mehrheit (52 Prozent) die Grünen ausdrücklich nicht mehr in der Landesregierung sehen.
Der Problemdruck ist groß. Bei den Themen Migration und Innere Sicherheit, die aktuell weit oben auf der Agenda der Menschen platziert sind, gibt es sogar auffallend schlechte Noten für Wüsts Regierung. Auch die wirtschaftliche Lage in NRW wird so kritisch beurteilt wie seit knapp 15 Jahren nicht mehr.
Die Wüst-CDU muss also strategisch einiges richtig gemacht haben, um bei dieser Ausgangslage in einer zunehmend zersplitterten Parteienlandschaft auf den Traumwert von 40 Prozent zu kommen. Das Wichtigste: Sie nutzt klug den für sie aktuell günstigen Bundestrend. Die Opposition im Düsseldorfer Landtag kommt ja schon allein wegen des Ampel-Siechtums in Berlin nicht in die Offensive. Was schief läuft in NRW, wird eher dem Bund angelastet.
Die NRW-FDP zahlt in ihrer Hochburg den Preis für die Bundesperformance
Die einst übermächtige NRW-SPD erreicht in der aktuellen Umfrage gerade noch 18 Prozent. Längst vorbei sind die Zeiten, als sie mit starken Persönlichkeiten wie Rau, Clement oder Kraft stabil zehn Prozent über den Zahlen der eigenen Bundespartei landen konnte. Die heutigen Genossen in den zersplitterten Führungsämtern der NRW-SPD kennt kaum jemand.
Einen Hinweis auf die Schwere des Mühlsteins namens Ampel -Beteiligung liefern auch die Werte der NRW-FDP. Die Liberalen würden aktuell in ihrer Hochburg nur noch auf drei Prozent kommen und aus dem Landtag fliegen. Dramatischer war die Lage seit über zehn Jahren nicht mehr. Das kann nicht an der Oppositionsarbeit in Düsseldorf liegen, mit der die FDP beharrlich die ja nicht geringe Zahl an Missständen und Versäumnissen von Schwarz-Grün anprangert.
Wüst hat es innerhalb von drei Jahren offenbar geschafft, so ins Amt zu wachsen, dass sich die Leute in aufgewühlten Zeiten ganz gut bei ihm aufgehoben fühlen. Das ist nicht wenig, wenn man bedenkt, wie automatenhaft und unsicher der damals unbekannte Verkehrsminister im Herbst 2021 die demoralisierte Laschet-CDU übernahm. Wüst findet fast immer den richtigen Ton, bietet sich als Projektionsfläche für möglichst viele gesellschaftliche Milieus an und hat gelernt, dass man nicht auf jeden Debattenzug springen muss.
Das Kokettieren mit der eigentlich von Beginn an unerreichbaren Kanzlerkandidatur hat obendrein geholfen, sich mit bundesweiter Bedeutung aufzuladen. Lehrermangel, Kita-Versorgung, Flüchtlingsunterbringung, Sicherheitslage, Energiewende, Grundsteuer – obwohl es eigentlich nirgendwo so richtig läuft in NRW, läuft es für Wüst und seine CDU. Selbst hausgemachte Skandale wie die gescheiterte Abschiebung des Solingen-Attentäters perlen am Chef ab.
Wüst bedient die Sehnsüchte des Wahlvolks nach freundlicher Ruhe
Dieses Paradoxon hat wohl damit zu tun, dass Wüst die Sehnsüchte des Wahlvolks perfekt lesen kann: Wenn alle unversöhnlich streiten, schlecht gelaunt sind und immerzu Aggressivität die Debatte bestimmt, braucht es einen, der freundlich ausgleichend wirkt, den Bürgern selten peinlich ist und zumindest nicht weiter nervt.
Nun ist schon häufiger über Wüst als gebügelten Chefsteward der MS NRW gespottet worden, der mehr repräsentiere als regiere. Doch der Erfolg gibt ihm Recht, die CDU bindet mit ihrer Tonalität unverkennbar die Mitte. Rechts- und Linkspopulisten finden an Rhein und Ruhr zurzeit bei weitem nicht solchen Zulauf wie im Rest des Landes: Die AfD liegt bei 13 Prozent, das Bündnis Sahra Wagenknecht verbessert vier Prozent.
Ein Jahr vor der nächsten regulären Bundestagswahl hält Wüst auch bereits vorsichtig Distanz zum konservativen „früher aufstehen, kälter duschen“-Gerede in der Merz-CDU. Er ahnt wohl, dass absehbar harte Reformschnitte in Berlin auch die Schlachtordnung für die Landtagswahl 2027 noch einmal verändern können. Das Grünen-Bashing seines bayrischen Amtskollegen Markus Söder hilft dabei sogar, das eigenständige Profil einer liberal-mittigen NRW-CDU zu schärfen.
„Sind wir mal ganz ehrlich: Schwarz-Grün ist ein toter Gaul“, sagte Söder am Wochenende bei Welt-TV. Und: Wüst begehe mit dem Festhalten an der schwarz-grünen Option auch für den Bund einen „schweren strategischen Fehler“. Beim CSU-Parteitag in Augsburg höhnte Söder über Unionsgranden, die den Grünen „ständig das Händchen“ hielten. Mit 40 Prozent im Rücken lässt sich das locker weglächeln.