Berlin. Im Kampf gegen Terroristen können Ermittler auch „Kontaktpersonen“ überwachen. Doch die Richter in Karlsruhe sehen rechtliche Bedenken.

Im Kampf gegen Terroristen können Ermittlerinnen und Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) heimlich Kontaktpersonen von Tatverdächtigen überwachen. Doch dieser Maßnahme haben die Richterinnen und Richter beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nun einen Riegel vorgeschoben und in Teilen für verfassungswidrig erklärt. „Die Vorschrift ist nicht zu vereinbaren mit den besonderen Anforderungen, die sich aus der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne an die Rechtfertigung heimlicher Überwachungsmaßnahmen der Polizei ergeben“, schreibt das Gericht in einer Pressemitteilung.

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    Die Überwachung von Kontaktpersonen von Tatverdächtigen stellt nach Ansicht des Verfassungsgerichts einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mit „erheblichen Gewicht“ dar. Insbesondere wenn die Maßnahmen darauf abzielen, „möglichst alle Äußerungen und Bewegungen zu erfassen und bildlich wie akustisch festzuhalten“, so die Richterinnen und Richter. Das Gericht in Karlsruhe hält fest, dass das BKA-Gesetz „in seiner konkreten Ausgestaltung“ nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge. Geklagt hatten Anwältinnen und Anwälte, ein politischer Aktivist und Mitglieder der Fußball-Fanszene.

    Vor allem einen Punkt merken die Richterinnen und Richter an: Sofern auch Kontaktpersonen aus dem Umfeld des mutmaßlichen schweren Kriminellen in dem Umfang und heimlich überwacht werden, bedarf es einer „hinzutretenden spezifischen individuellen Nähe der Betroffenen zu der aufzuklärenden Gefahr“. Das heißt, der Gesetzgeber muss klarer definieren, wie stark die Verbindung der Tatverdächtigen etwa zu Anschlagsplänen oder schweren Gewalttaten sein muss, damit eine weitgehende Überwachungsmaßnahme der Polizei greifen kann.

    Bundesregierung hat bis Juli 2025 Zeit, das verfassungswidrige Gesetz zu reformieren

    Die Regelungen bleiben allerdings vorerst bestehen, mit bestimmten Maßgaben des Gerichts. Die Bundesregierung hat nun bis spätestens Ende Juli 2025 Zeit, das BKA-Gesetz nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts zu reformieren. 

    Die Kläger sprachen im Vorfeld von „neuen exzessiven Überwachungsgesetzen“. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hatte die bisherigen Regeln für das Sammeln und Speichern von Daten als „allzu schwammig“ kritisiert. Die Kläger kritisieren auch, dass das BKA personenbezogene Daten bereits aufgrund wenig konkreter Verdachtshinweise speichern könne. Und das nicht nur für konkrete Ermittlungen, sondern dauerhaft, sowie im Austausch mit anderen Polizeibehörden. Ein Problem aus Sicht der Kläger ist demnach auch, dass zu viele veraltete und teilweise nicht mehr relevante Informationen in den Datenbanken der Polizeibehörden landen – und gespeichert bleiben.

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      Das Gericht musste in seiner Entscheidung nun abwägen: zwischen dem Interesse des Staates, der im Kampf gegen schwere Kriminelle den eigenen Sicherheitsbehörden weitreichende und neue Befugnisse erlauben will – und den Persönlichkeitsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Mehrere Monate hatte das Gericht nun in Karlsruhe beraten.

      Auch bei der Datenspeicherung der Polizeibehörde bemängelte das Bundesverfassungsgericht nun in Teilen das bestehende BKA-Gesetz. „Es fehlt an einer hinreichend normierten Speicherungsschwelle und den gebotenen Vorgaben zur Speicherdauer“, heißt es in der am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung.

      Das BKA ist die große bundesweite Zentralstelle der deutschen Kriminalämter. Das Amt speichert Millionen von Daten zu Personen, die verdächtig sind oder als Straftäter bekannt, aber auch zu einzelnen Ermittlungsverfahren, Handydaten etwa zur Einwahl im Funknetz und nützliche Informationen für Lagebilder.

      BKA speichert Millionen Daten von Personen und Fällen als Zentralstelle des Bundes

      Gespeichert und verarbeitet werden die Daten in „INPOL“, das polizeilichen Informationssystem zwischen Bund und Ländern. Dort enthalten sind laut Angaben der Bundesregierung allein sieben Millionen Portraitbilder und knapp sechs Millionen Datensätze zu Asylsuchenden.

      In einer Anhörung zum BKA-Gesetz beim Gericht in Karlsruhe hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die neuen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden verteidigt. Sie hob die Bedeutung hervor, dass die Polizeibehörden Informationen zu einzelnen Tatverdächtigen untereinander austauschen müssten. Gerade im Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminelle sei dies von großer Bedeutung. Das Gesetz sehe zudem „zahlreiche Prüfmechanismen“ vor, um anlassloses Speichern der Behörden zu verhindern. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnt vor scharfen Datenschutzregeln für die Kriminalbeamten.

      Innenministerin Faeser
      Will mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden: Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat. © DPA Images | Michael Kappeler

      Das Urteil des Verfassungsgerichts zum BKA-Gesetz fällt in eine politisch brisante Sicherheitsdebatte. Die Bundesregierung will mehrere Gesetze durchsetzen, die den Polizeibehörden mehr Befugnisse im Kampf gegen Terroristen und schwere Kriminelle geben – so sollen etwa die Ermittlerinnen und Ermittler die Gesichter und Stimmen von Tatverdächtigen mit Quellen im öffentlichen Internet abgleichen können.

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      Schon jetzt hat die Gesellschaft für Freiheitsrecht angekündigt, dass sie erneut vor das Gericht in Karlsruhe ziehen werden – um die aktuellen Maßnahmen der Ampel-Regierung rechtlich prüfen zu lassen.

      Die Debatte darüber, was der Staat im Kampf gegen schwere Kriminelle darf, prägt die Geschichte der Bundesrepublik, vor allem seitdem 1983 die Richter in Karlsruhe im bekannten Urteil zur Volkszählung dem Staat enge Grenzen beim Datenschutz gesetzt hatten. Und schon 2016 hatte die damalige Regierung das BKA-Gesetz nach einem Urteilsspruch des Verfassungsgerichts reformieren müssen. Karlsruhe hatte damals weitere Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt.

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