Düsseldorf. Im vergangenen Jahr feierte NRW noch Merkels Flüchtlingspolitik, jetzt soll an der Grenze zurückgewiesen werden. Was dahinter steckt.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat sich überraschend klar hinter die Forderung aus seiner Partei nach Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen gestellt. „Wenn der Außengrenzschutz der EU noch nicht klappt, dann muss man die Binnengrenzen schützen“, sagte Wüst der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Wochenende.
Es sei ja niemandem zu erklären, „dass Menschen, bei denen schon bei Grenzübertritt klar ist, dass sie kein Recht haben, hier zu sein, trotzdem ins Land kommen und erst nach einem langen, sehr komplizierten Verfahren abgeschoben werden können oder am Ende sogar ein Bleiberecht bekommen“, so Wüst weiter.
Merkels Nein zu „Abschottungstendenzen“ wurde im Vorjahr in NRW noch gefeiert
Bislang hatte der NRW-Ministerpräsident die Position der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vertreten, nach der Zurückweisungen europarechtlich kaum umsetzbar wären und für die Stabilität der EU gefährlich sind. Noch im vergangenen Jahr hatte Wüst bei der Verleihung des Staatspreises NRW an Merkel deren Entscheidung aus dem Jahr 2015 gerühmt, Hunderttausende Flüchtlinge unkontrolliert ins Land zu lassen, obwohl nach der „Dublin-Verordnung“ der EU andere Länder für deren Asylverfahren zuständig gewesen wären.
„Es war eine Entscheidung aus Führung und Verantwortung – ein großer Akt der Humanität“, lobte Wüst damals. Merkel habe sich „den Abschottungstendenzen in Europa entgegengestellt“. Die „Dublin-Verordnung“ besagt, dass Flüchtlinge in dem EU-Staat ihr Asylverfahren durchlaufen müssen, in dem sie als erstes registriert wurden. Für eine Rücküberstellung gibt es jedoch Prüfverfahren, Ausnahmetatbestände und Fristen. Nach Ablauf von sechs Monaten muss Deutschland ein zweites reguläres Asylverfahren anbieten. Laut NRW-Flüchtlingsministerium sind nur zehn bis 15 Prozent der Rücküberstellung an EU-Staaten erfolgreich.
Ruf nach Zurückweisung an deutschen Grenzen in der NRW-CDU umstritten
Wüst begründete die Kehrtwende gegenüber der „FAZ“ mit veränderten Rahmenbedingungen in der Flüchtlingspolitik. In der Zeit der Großen Koalition unter Merkel sei es gelungen, mit einem EU-Türkei-Abkommen die Zahlen wieder deutlich runterzukriegen. „Wir haben heute eine ganz andere Lage, weil es der Ampelregierung leider nicht gelungen ist, ähnlich wirksame Abkommen zu vereinbaren. Eine andere Lage erfordert andere Antworten.“
Die Spitzen von CDU/CSU im Bund wollen die rechtlichen Fesseln der schlecht funktionierenden Dublin-Regeln dadurch lösen, dass Deutschland die Ausnahmeklausel einer „Notlage“ anwenden soll. Ob dies vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Bestand hätte, ist umstritten. CDU-Urgestein Elmar Brok warnte in der „Neuen Westfälischen“ vor einer Kettenreaktion, die am Ende die gesamte EU-Freizügigkeit gefährden und Deutschland „am stärksten schaden“ könnte. Stattdessen solle lieber das interne „Verwaltungsversagen“ beendet werden, so Brok.
Die NRW-Behörden hatten den aus Syrien stammenden Solingen-Attentäter Issa al H. im Sommer 2023 nicht nach Bulgarien abgeschoben, obwohl in diesem Fall alle Voraussetzungen für seine Rücküberstellung erfüllt waren.
Wie die Umsetzung von Grenzschließungen für Flüchtlinge demnächst erfolgen soll, ließ Wüst offen: „Wie sich das dann im Detail vollzieht, ist selbstverständlich auch mit den europäischen Partnern zu besprechen.“