Berlin/Jerusalem. Anita Havivs Eltern haben den Holocaust überlebt. Was sagt die Bildungsexpertin zu den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen?
Anita Haviv-Horiner, 64, verfolgt das politische Geschehen in Deutschland von Netanja in Israel aus. Die Publizistin und Bildungsexpertin stammt aus Wien, ist Tochter von Holocaust-Überlebenden, und 1979 nach Israel ausgewandert. Wir haben mit ihr über die Wahlen in Ostdeutschland gesprochen.
Frau Haviv-Horiner, wie schockiert sind die Menschen in Israel über den Aufstieg der AfD in Deutschland und den Wahlsieg des rechtsextremen Landesverbandes in Thüringen?
Anita Haviv-Horiner: Bei mir persönlich löst das ein sehr ungutes Gefühl aus. Wegen des Krieges sind wir aber aktuell sehr auf uns selbst fokussiert. Als Alexander Gauland vom Holocaust als einem „Vogelschiss der Geschichte“ sprach, hat das hier ein großes mediales Echo ausgelöst. Das ist jetzt nicht so. Den meisten Israelis ist auch nicht klar, welchen Einfluss die Wahlen in Bundesländern auf die Bundespolitik haben. Wenn die AfD bei den Bundestagwahlen ähnlich hohe Stimmenanteile holen würde, wäre das aber sicherlich ein sehr großes Thema in Israel.
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Gauland hat nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober seine Solidarität mit Israel zum Ausdruck gebracht. Andere AfD-Politiker geben sich als Kämpfer gegen den Antisemitismus.
Erstens sagen die das nicht einheitlich. Zweitens nehme ich ihnen das nicht ab. Ich halte die angebliche Solidarität mit Israel nur für vorgeschoben. Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Vor Kurzem habe ich im deutschen Fernsehen einen Beitrag über den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke gesehen. Das ist eindeutig nationalsozialistisches Gedankengut, das da nach außen getragen wird.
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Kann ein Deutschland, in dem eine in Teilen rechtsextreme Partei so stark wird, noch ein verlässlicher Partner für Israel sein?
Ich weiß nicht, wie Israel reagieren wird, wenn die AfD oder ihre Erasmus-Stiftung bei uns anklopfen sollten. Aber der Rechtsruck ist ja eine globale Entwicklung. Wir sehen das auch in der israelischen Politik. Ich glaube, es herrscht viel Unsicherheit. Unsicherheit stärkt die Rechtsextremen überall auf der Welt. Als Bildungsexpertin frage ich mich natürlich, was wir falsch gemacht haben. Ich glaube, wir erreichen einfach nicht genügend Menschen.
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Was hat die deutsche Politik aus Ihrer Sicht falsch gemacht?
Man hat zu lange die Augen vor den Gefahren sowohl des Rechtsextremismus wie auch des Islamismus zugemacht. Man hat nicht kontrolliert, wer ins Land kommt. Natürlich muss man zwischen Muslimen und Islamisten eine klare Trennungslinie ziehen. Aber der Islamismus wie auch der Rechtsextremismus müssen auf allen Ebenen entschlossener bekämpft und die Ängste der Menschen besser beantwortet werden. Die Demokratie muss sich gegen antidemokratische Kräfte mit all den ihr zu Verfügung stehenden Mitteln wehren.
Was sagen Ihre jüdischen Freundinnen und Freunde in Deutschland Ihnen?
Viele haben Angst. Wer es sich leisten kann, hat sich eine Wohnung oder ein Haus in Israel gekauft. Auf gepackten Koffern sitzen sie noch nicht. Aber sie haben im Hinterkopf, dass sie nach Israel ausreisen können, wenn es schlimmer wird.
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