Berlin. Olaf Scholz trifft emotional nicht den Ton, bei Friedrich Merz gerät manches zu holzschnittartig: So muss die Politik jetzt reagieren.
„Das sind wir den Opfern von Solingen schuldig“, sagt Olaf Scholz. Der Kanzler hat breit getragene Gespräche über die Konsequenzen des mutmaßlich islamistisch motivierten Messerangriffs angekündigt. Der Druck zu handeln ist nach dem Anschlag mit drei Toten groß. Die vergangenen Tage waren nicht frei von dem Zweifel, ob es gelingt, diese hochemotionale Debatte zielorientiert zu führen.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz prägte die ersten Tage nach der Messerattacke. Inhaltlich und kommunikativ. Merz forderte Scholz zum Schulterschluss auf und machte nicht nur eine Reihe von Vorschlägen, die zwar juristisch nicht alle unproblematisch waren (Stichwort: Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan). Auch rhetorisch setzte der CDU-Chef den Ton mit der Forderung: „Es reicht.“ Damit dürfte Merz vielen Menschen im Land aus der Seele gesprochen haben.
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Nach Messerattacke von Solingen: Merz bietet Scholz Zusammenarbeit an
Ihm gehe es mit seinem Vorstoß um die Sicherheit im Land, nicht um den politischen Vorteil und nicht um das CDU-Ergebnis bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen am kommenden Wochenende, beteuerte Merz. Keiner bezweifelt, dass der Christdemokrat ernsthaft in Sorge ist. Der Oppositionsführer konnte dann aber doch nicht der Versuchung widerstehen, die Scholz angebotene Zusammenarbeit mit dem vergifteten Vorschlag zu garnieren, notfalls mit der Union und ohne die Ampel-Koalitionspartner FDP und Grüne die Migrationspolitik zu verschärfen.
Von Kanzler zu Kanzler in spe sozusagen. Merz machte das Angebot wohl wissend, dass Scholz kein Interesse am Koalitionsbruch hat und nur in Absprache mit den Partnern handeln wird. Macht Scholz also inhaltlich Kompromisse, kann ihm Verzagtheit aus Liebe zur Macht vorgeworfen werden.
Migration: Merz sieht eine „nationale Notlage“
Während der Kanzler nach der blutigen Tat von Solingen mal wieder Schwierigkeiten hatte, emotional die richtige Tonlage zu finden, geriet bei Merz manches – ebenfalls zum wiederholten Mal – zu holzschnittartig. So sprach der CDU-Chef von einer „nationalen Notlage“ in der Migrationspolitik, obwohl die Asylanträge zuletzt deutlich zurückgingen und die Zahl der Abschiebungen erkennbar zunahm. Bei seinem indirekten Vorwurf, eine Verschärfung von Asyl- und Sicherheitsgesetzen sei mit FDP und Grünen ohnehin nicht zu machen, übersah Merz trotz eines langen Vieraugengesprächs mit Scholz, dass die Ampel bereits seit dem Wochenende über das Thema berät.
Klar ist: Gegen Messergewalt, bei der Überwachung von Islamisten, bei Abschiebungen und der Steuerung von Migration muss sich etwas tun. Die SPD bekommt von ihren Bürgermeistern und Ministerpräsidenten schon lange gemeldet, dass in der Migrationspolitik gehandelt werden müsse. Auch FDP und Grüne wollen über ein schärferes Waffenrecht, einfachere Abschiebungen und größere Befugnisse der Anti-Islamismus-Ermittler sprechen. Traurig ist, dass es dazu den Anschlag von Solingen brauchte.
Anschlag von Solingen: Scholz geht auf Länder und Union zu
Es ist höchste Zeit, sachlich über die erforderlichen Maßnahmen zu beraten und dann gemeinsam Konsequenzen zu ziehen. Auch wenn es nicht der Ärmel-Hoch-Herangehensweise von Friedrich Merz entspricht: Dass Scholz dafür nicht nur das Angebot von Merz zur Zusammenarbeit annimmt, sondern neben der Union auch die zuständigen Minister und die Länder an einen Tisch holt, ist der richtige und erfolgversprechendste Schritt.
Die politisch Verantwortlichen müssen jetzt gemeinsam Lösungen finden, schnell, wirksam und ohne parteitaktische Hintergedanken. Auch das ist die Politik den Opfern von Solingen schuldig.