Berlin. Nord Stream: Das „Wall Street Journal“ berichtet über eine angebliche Verwicklung Selenskyjs. Die Ukraine bestreitet eine Mitwisserschaft.
Das US-amerikanische „Wall Street Journal“ (WSJ) heizt Spekulationen über eine angebliche Verwicklung der Ukraine und des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in die Explosionen der Nord-Stream-Pipelines an. Wie das Medium online berichtet, soll die Idee zu der Attacke angeblich in einer Runde hochrangiger ukrainischer Militärs entstanden sein, dabei sei auch Alkohol geflossen. Die Informationen stammen aus einer exklusiven Recherche des Journalisten Bojan Pancevski, der bereits mehrfach mit investigativen Storys rund um russischen Angriff auf die Ukraine von sich reden gemacht hat. Sie lassen sich nur schwer überprüfen. Die ukrainische Führung dementiert eine Beteiligung an den Anschlägen.
Doch die Meldungen, die eine Nähe zur Ukraine und nun auch zur Führung des Staates nahelegen, reißen nicht ab. Brisant an der WSJ-Recherche: Präsident Selenskyj soll demnach von den Plänen gewusst, sie sogar genehmigt haben. Kurz vor der Sprengung habe er noch versucht, diese abzusagen. Allerdings sei der Plan nicht mehr aufzuhalten gewesen. Da alle Absprachen mündlich getroffen worden seien, gebe es keine Spuren. Auch westliche Geheimdienste, darunter der deutsche BND, sollen vorab von den Plänen gewusst haben. Bisher ist das „Wall Street Journal“ die einzige Quelle für diese Behauptungen. Finanziert haben sollen die Sprengung nicht näher genannte „Geschäftsleute“.
Ukraine bestreitet Beteiligung an Nord-Stream-Explosionen
Die Ukraine bestreitet dagegen vehement, in die Sprengung der Pipelines involviert gewesen zu sein. Als Präsident gebe er entsprechende Befehle, so Selenskyj. Das sei in Bezug auf Nord Stream nicht der Fall gewesen. Auch der Chef des ukrainischen Nachrichtendienstes hatte dementiert. „Ich bin mir mehr als sicher, dass keiner der Offiziellen in der Ukraine irgendetwas damit zu tun haben könnte“, sagte er der ARD.
Die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 wurden am 26. September 2022 durch mehrere Sprengungen beschädigt und unterbrochen. Die Explosionen wurden in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm registriert. Wenig später entdeckte man vier Lecks an drei der insgesamt vier Leitungen. Durch Nord Stream 1 floss zuvor russisches Erdgas nach Deutschland. Nord Stream 2 war wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der daraus resultierenden politischen Differenzen noch nicht in Betrieb.
Der Generalbundesanwalt (GBA) ermittelt in dem Fall, während andere europäische Staaten wie Schweden ihre Bemühungen zur Aufklärung der Sabotage eingestellt haben. Wie erst am Mittwoch, 14. August, bekannt wurde, sucht der GBA einen Ukrainer, der an der Sabotage beteiligt gewesen sein soll. Gegen ihn liegt ein Europäischer Haftbefehl vor. Auch ein weiterer Mann und eine Frau stehen im Verdacht, bei der Ausführung des Plans geholfen zu haben. Zu den Tätern und den Drahtziehern kursierten bereits unterschiedliche Spekulationen. Zunächst war lange über eine Beteiligung Russlands spekuliert worden.
Nord-Stream-Explosionen: Heikel für die Bundesregierung
Dass die Tatverdächtigen ukrainische Staatsangehörige sind, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Spuren für die Pläne zum Anschlag auch in die Ukraine führen. Es belegt jedoch nicht, dass die oberste Führung des Staates oder gar Präsident Selenskyj davon gewusst haben.
Für die Bundesregierung sind Berichte über Spuren der mutmaßlichen Täter, die in die Ukraine führen, heikel. Was, wenn herauskommt, dass sogar die ukrainische Führung von den Anschlagsplänen gewusst hat? Dann wird es politisch schwer, die Waffenlieferungen an das Land im Krieg gegen Russland in dem aktuellen Ausmaß fortzuführen. Das jedenfalls treibt die Bundespolitiker in Berlin um. Zugleich ist klar: Deutschlands Energieversorgung ist durch den Anschlag massiv betroffen; die Ermittlungen einzustellen, wie es Schweden getan hat, ist schwer vorstellbar.
Und so lässt sich Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, in seiner Funktion auch verantwortlich für den Bundesnachrichtendienst, seit dem Anschlag im September 2022 über die Ermittlungen informieren. Das Thema ist an höchster Stelle angesiedelt. Am Ende, so ist an mehreren Stellen zu hören, werde ohnehin der „schriftliche Beweis“ für eine Beteiligung der ukrainischen Regierung oder gar des Präsidenten fehlen.