Berlin. Linke Extremisten haben Attacken auf Züge in Frankreich verübt. Experten warnen: Die Gruppe ist europaweit vernetzt, die Gefahr wächst.

Den Angriff auf Millionen Reisende hatten sie genau geplant. Gleichzeitig und aufeinander abgestimmt schlugen die Täter an mehreren Orten zu: Sie zündeten verschiedene Kabelschächte der Bahn in Frankreich an, die Aktion wirkte choreografiert. Am letzten Freitag, direkt vor dem Beginn der olympischen Sommerspiele, wurde so ein Großteil des französischen Zugnetzes lahmgelegt. Die Verbindungen von der französischen Hauptstadt in den Osten, Westen und Norden des Landes waren gekappt, Paris vom Zugnetz teilweise abgeschnitten. Es war einer der größten Angriffe auf die europäische Infrastruktur in den letzten Monaten. Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein: Jetzt, wo die Welt wegen Olympia auf Frankreich schaut.

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800.000 Menschen waren nach Angaben der französischen Regierung betroffen. Dort geht man davon aus, dass Linksextremisten für den Angriff verantwortlich sind. Mittlerweile wurde auch ein Linksextremist in Frankreich im Zuge der Ermittlungen festgenommen. Zudem ist ein Bekennerschreiben aufgetaucht, das den Angreifern zugeschrieben wird. Es sind krude, verwirrende Zeilen voller Hass auf die Olympischen Spiele: „Sie nennen es ein Fest? Wir sehen darin eine Feier des Nationalismus, eine gigantische Inszenierung der Unterwerfung der Bevölkerung durch die Staaten“, zitiert die Zeitung „Le Parisien“ aus dem Text. 

Extremismus-Experte: „Es gibt eine europäische Vernetzung“

Im Kampf für ihre Ziele begehen die Gruppen rücksichtslose Attacken. Nun kursiert die Sorge, dass diese Art von Angriffen zunimmt – und bald auch in ähnlicher Größenordnung Deutschland treffen könnte. Der Extremismusforscher und Politologe Jürgen P. Lang, sagt: „Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass es eine europäische Vernetzung gibt zwischen den militanten Kleingruppen. Das sind Leute, die haben die RAF als Vorbild.“ Die radikalen Linken – sie scheinen europaweit gut verbunden, auch über Frankreich hinaus.

Vor allem in Deutschland wächst die Szene. Der Verfassungsschutz schreibt in seinem aktuellen Bericht, es hätten sich „besonders gewaltbereite Gruppen herausgebildet“. Die Beamten schätzen, das linksextremistische Personenpotenzial sei im Jahr 2023 um 500 auf insgesamt 37.000 Personen gestiegen. Und: Mehr als jeder vierte Linksextremist sei als gewaltorientiert einzuschätzen. 

Innenministerin Faeser sieht „linksextremistische Bedrohungslage“

Das zeigt auch der Zuwachs bei den linksextremistisch motivierten Straftaten: Im vergangenen Jahr stiegen die Zahlen um rund 20 Prozent auf insgesamt 727 Delikte an. Die Täter werden brutaler, die Innenministerin zeigt sich alarmiert: SPD-Politikerin Nancy Faeser sagte unserer Redaktion: „Unsere Sicherheitsbehörden haben die linksextremistische Szene im Visier.“ Man tausche sich „intensiv“ zur „linksextremistischen Bedrohungslage“ aus.

Wie schnell es zu Attacken kommen kann, zeigt sich in diesen Tagen auf der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Bremen: Unbekannte haben – wie in Frankreich – einen Kabelschacht angezündet, jetzt ermittelt der Staatsschutz. Dazu sagte der CDU-Politiker Ulrich Lange dieser Redaktion: „Innenministerin Faeser darf nicht zulassen, dass das Land von einer kleinen Gruppe Zerstörungswütiger in Geiselhaft genommen wird. Der Vorfall muss lückenlos aufgeklärt werden und von der Bundesregierung endlich ein entsprechendes Präventionskonzept auf den Tisch gelegt werden. Jetzt einfach zur Tagesordnung zurückzukehren wäre fehl am Platz.“ Noch steht nicht fest, wer hinter dem Kabelbrand steckt. Generell aber gilt: Der Kampf zwischen den extremistischen Linken und den Sicherheitsbehörden ist auch in Deutschland wieder entbrannt: Durch Anschläge auf die Infrastruktur seien „immer wieder Teile der Bevölkerung von linksextremistischen Straftaten betroffen“, so Faeser. Dagegen gehe sie jetzt „mit aller rechtsstaatlichen Härte“ vor.

Die Szene wird aktiver, die radikalen Linken wollen nicht nur die Bahn treffen: Im Frühling reklamierten Linksextremisten die Attacke auf das Tesla-Werk in Brandenburg für sich. Sie zündeten einen Hochspannungsmast an, durch die Flammen wurde die Leitung derart beschädigt, dass die Elektrizitätsversorgung der umliegenden Dörfer und der Tesla-Fabrik zusammenbrach. Wie stark mittlerweile der Zusammenhalt intern ist, zeigte sich im Februar bei der Verhaftung der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette. Kurz darauf folgten Solidaritäts-Demonstrationen und mehrere Mahnwachen. Die Szene braucht Vorbilder, Klette ist eines von ihnen. 

Die extreme Linke versucht die Ökobewegung zu kapern

Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass Linkextremisten zunehmend versuchen, Öko-Aktivisten für sich zu gewinnen. Felix Neumann von der Abteilung Internationale Politik und Sicherheit der Konrad Adenauer-Stiftung beobachtet das schon länger. Er sagt: „Es ist einfach klar, dass hier viele Menschen aktiv sind, und natürlich versuchen dann politische Kräfte, daraus Kapital zu schlagen.

Auch extrem linke Parteien wie die Marxistisch-Leninistische-Partei wollen neuerdings das Thema Ökologie bedienen und versuchen so Wählerstimmen abzugreifen.“ Die Klimaaktivistengruppe „Ende Gelände“ wird mittlerweile als linksextremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet. Der Extremismus-Forscher Jürgen P. Lang drückt es so aus: „Diese Gruppen sind in einer Art Schraube, ich gehe schon davon aus, dass die Radikalität noch zunehmen wird.“