Berlin. Der Queer-Beauftragte Sven Lehmann spricht über Coming-outs im Profisport und erklärt, warum er Sarah Wagenknecht für gefährlich hält.
Als Beauftragter für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ist Sven Lehmann (Grüne) der zentrale Ansprechpartner in der Regierung für die Belange von schwulen, lesbischen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Mit dieser Redaktion spricht er darüber, warum Coming-outs im Profisport immer noch Mut erfordern, wie es weitergeht mit der Familienrechtsreform der Ampel und warum er Sahra Wagenknecht für queere Menschen für gefährlich hält.
Herr Lehmann, vor ein paar Tagen hat Ralf Schumacher öffentlich gemacht, dass er einen Mann liebt. Das hat Schlagzeilen im ganzen Land produziert. Warum ist das immer noch so eine Besonderheit?
Sven Lehmann: Die Besonderheit liegt darin, dass es in der Formel 1, aber auch in vielen anderen Sportarten, leider nicht selbstverständlich ist, sich zu outen und zu sich zu stehen. Wir haben insgesamt viel erreicht, was Sichtbarkeit von queeren Menschen angeht. Aber in bestimmten Bereichen ist es immer noch nicht selbstverständlich. Deswegen freue ich mich sehr über diesen Schritt und über die vielen positiven Reaktionen. Es hat bestimmt sehr viel Mut gebraucht, diesen Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen.
Was sagen Sie Menschen wie Linken-Politiker Dietmar Bartsch, der als erste Reaktion gesagt hat, das sei doch Normalität, da gebe es nichts zu zelebrieren?
Ein Foto von sich und seinem Partner zu posten, hat ja nichts mit Zelebrieren zu tun. Das tun heterosexuelle Menschen auch ganz selbstverständlich. Zu sagen, das sei doch Normalität, ignoriert, dass es für viele Menschen eben noch nicht Normalität ist. In der Schule, am Arbeitsplatz, im Alltag oder eben in Teilen des Profisports ist es nicht selbstverständlich, offen schwul oder bisexuell zu sein. Und Menschen haben auch nicht ganz zu Unrecht immer noch Angst vor negativen Reaktionen, vor Diskriminierung, auch vor Gewalt. Deswegen macht jedes Coming-out die Welt ein Stück besser, weil es auch für mehr gesellschaftliche Normalität sorgt.
Im Profifußball gab es vor der EM die Ankündigung eines Gruppen-Coming-outs von aktiven Fußballspielern. Das ist nicht passiert. Woran liegt das?
Mein Eindruck ist: Es gibt einen hohen Druck aus manchen Vereinsführungen und von den Sponsoren, sich nicht zu outen. Die Haltung, die den Spielern nahegelegt wird, ist: „Das ist Privatsache, sprich nicht zu laut darüber, zeige es nicht offen.“ Aber es ist schon deshalb keine Privatsache, weil ein verstecktes Leben zu schlechteren sportlichen Leistungen führt, denn sich zu verstellen führt zu hohem emotionalem Druck und kostet Kraft. Ein Coming-out im Profisport trägt also auch zu besseren sportlichen Leistungen bei.
Ist dieses ausgebliebene Gruppen-Coming-out eine verpasste Chance?
Ja. Wir haben gesehen, dass solche Aktionen in der Gruppe viel bewirken können, etwa bei Out in Church, wo sich gleichzeitig viele Menschen in der Kirche geoutet haben. Das hat innerhalb der Kirche viel bewegt. Das würde auch im Sport funktionieren. Und ich glaube, dass viele Fans sich solidarisieren würden. Aber die EM war nicht die letzte Gelegenheit, das kann ja immer noch passieren.
Queere Menschen sind viel sichtbarer als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig steigt die Zahl der gemeldeten Straftaten mit Bezug zu sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität. Machen wir gerade Rückschritte bei der Sicherheit von queeren Menschen in Deutschland?
Es sind zwei Seiten einer Medaille. Wir haben mehr Sichtbarkeit als je zuvor. Wir haben für queere Menschen in Deutschland auch eine bessere Gesetzeslage als je zuvor. Darauf können wir als Land stolz sein. Die Ampel hat das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, wir haben die Diskriminierung bei der Blutspende beendet, wir haben Gesetze gegen Hasskriminalität verbessert. Aber gleichzeitig sehen wir eine zunehmende Zahl von Einschüchterungsversuchen, was zum Beispiel CSD-Demonstrationen angeht. Wir erleben Angriffe und Beleidigungen im Internet und offline. Das Klima gegen queere Menschen ist rauer geworden. Und das hat auch mit einem gesellschaftlichen Rechtsruck zu tun, der mich sehr besorgt.
Im Herbst wird in drei Bundesländern gewählt, in allen dreien steht die AfD in den Umfragen im Moment sehr stark da. Was würde die AfD als stärkste Partei in diesen Landtagen für queere Menschen bedeuten?
Die AfD ist eine reale Gefahr für queere Menschen. Es gibt schon jetzt Versuche, diejenigen einzuschüchtern, die sich vor Ort gegen Diskriminierung und für Vielfalt und Demokratie engagieren. Die AfD als stärkste Kraft würde das noch weiter anheizen. Der schlimmste Fall wäre die AfD in einer Regierung. Das würde bedeuten, dass lange erkämpfte Freiheiten und Rechte wieder eingeschränkt werden. In der völkischen Ideologie dieser Partei ist kein Platz für queere Menschen und ihre Familien. Wir sehen gerade in Italien, dass die Rechte von Regenbogenfamilien von der rechten Regierung eingeschränkt werden. Das ist eine existenzielle Bedrohung.
Sie waren kürzlich in Pirna, bei einem der kleinsten Christopher Street Days in Deutschland. Was haben Sie da erlebt?
Pirna in Sachsen hat schon viele Jahre einen CSD. Das war immer sehr friedlich. Und dann wurde ein AfD-naher Oberbürgermeister gewählt. Der hisst zum CSD nicht mehr die Regenbogenflagge am Rathaus, sondern vergleicht sie stattdessen sogar mit der Hakenkreuzflagge. Daraufhin gab es eine große Solidarisierung mit dem CSD. Aus ganz Deutschland sind Busse nach Pirna gefahren. Ich war da und die Stimmung war toll. Es war ein wunderbares Fest für Demokratie und ein offenes Miteinander. Aber der Vorfall zeigt auch, unter welchem Druck queere Menschen vor Ort, gerade in kleineren Städten stehen. Es ist wichtig, auch die CSDs dort zu besuchen, um ihnen zu zeigen, sie sind nicht allein.
Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht kann bei den Landtagswahlen auf Erfolg hoffen …
Sahra Wagenknecht ist schon bei der Linkspartei aufgefallen durch ein Verächtlichmachen vor allem von transgeschlechtlichen Menschen. Und ihre Rede im Bundestag zum Selbstbestimmungsgesetz stand den Äußerungen der AfD zu diesem Thema in nichts nach. Das war feindlich gegenüber transgeschlechtlichen Menschen und hat mich ehrlich schockiert. Ich kann nur davor warnen zu glauben, dass das BSW da weniger gefährlich ist als die AfD.
Sahra Wagenknecht ist für queere Menschen nicht weniger gefährlich ist als die AFD?
Es gibt natürlich Unterschiede. Die AfD-Anhänger fallen auch dadurch auf, dass sie Regenbogenflaggen verbrennen, Menschen auch körperlich angreifen. Das ist beim BSW nicht so. Aber die verächtlichen Äußerungen sind sich erschreckend ähnlich. Beide Parteien haben ja durchaus auch Sympathien für die sehr autoritäre Politik nach dem Vorbild Russlands. Und in Russland ist die Lage für queere Menschen sehr schlecht. Noch hat das BSW aber auch kein ausführliches Partei- oder Wahlprogramm.
Die Ampel-Koalition will den Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen und geschlechtlichen Identität ins Grundgesetz aufnehmen. Was würde das konkret bedeuten?
In Artikel 3 des Grundgesetzes gibt es ein Verbot von Diskriminierung zum Beispiel aufgrund des Geschlechts, des Glaubens oder der politischen Anschauung. Aber eben noch nicht aufgrund der sexuellen Identität. In seiner jetzigen Form konnte das Grundgesetz schwere Menschenrechtsverletzungen nicht verhindern. Dass in Deutschland schwule Männer ins Gefängnis kamen, dass lesbischen Müttern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wurde, oder dass transgeschlechtliche Menschen gezwungen waren, sich sterilisieren oder scheiden zu lassen. Durch die Ergänzung im Grundgesetz würde auch die Ehe für alle für die Zukunft geschützt sein. Das ist notwendig, denn die AfD möchte zum Beispiel die Ehe für Paare gleichen Geschlechts wieder abschaffen und hat bereits einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt.
Dafür brauchen Sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit – und damit die Union.
Das ist richtig. Es laufen im Moment Gespräche dazu. Ich weiß, dass Teile der Unionsfraktion die Notwendigkeit dafür sehen und auch Bundesländer dafür sind, in denen die CDU regiert, NRW und Berlin zum Beispiel. Ich werbe sehr dafür, dass Friedrich Merz hier den Weg freimacht.
Eines der zentralen queerpolitischen Projekte der Ampel ist die Reform des Familien- und Abstammungsrechts. Das wurde jetzt schon mehrmals angekündigt, passiert ist noch nichts. Woran hängt es?
Der zuständige Justizminister Marco Buschmann hat im Januar die Eckpunkte für die Reform des Abstammungs- und Familienrechtes vorgestellt. Das habe ich sehr begrüßt. Es muss jetzt endlich der Gesetzentwurf folgen, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Im Moment werden Kinder ungleich behandelt, je nachdem in welcher Familienkonstellation sie leben. Ein Kind, das in eine Ehe mit Mann und Frau hineingeboren wird, hat automatisch zwei rechtlich anerkannte Eltern. Bei einem lesbischen Paar muss die Ehefrau der leiblichen Mutter das Kind erst langwierig adoptieren, um als Elternteil zu gelten. Im Extremfall heißt das, wenn die leibliche Mutter bei der Geburt stirbt, ist das Kind juristisch Vollwaise. Es ist eine Frage des Kinderschutzes, dass wir hier in die Pötte kommen. Ich erwarte vom Justizminister, dass er zügig einen Gesetzentwurf vorlegt.
Lesen Sie hier die Details: Reform des Sorgerechts – was sich für Familien ändern soll
Können Sie den betroffenen Familien versprechen, dass das noch in dieser Legislatur passiert?
Die Reform ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich verspreche den betroffenen Familien, dass ich mich mit aller Kraft von einsetzen werde, dass diese Reform kommt.
Sie selbst haben vor Kurzem geheiratet. Ist das etwas, was Sie als junger Mann in Ihrer Zukunft gesehen haben?
Mein Mann und ich sind schon seit etwa 20 Jahren zusammen. Damals gab es die Ehe für alle noch nicht. Ich bin sehr glücklich, dass das jetzt anders ist. Unsere Hochzeit war ein wunderschöner Tag und ich wünsche allen Menschen auch in Zukunft, dass sie den Menschen heiraten können, den sie lieben – völlig unabhängig davon, welches Geschlecht dieser Mensch hat.