Brüssel/Rom. Wer in Italiens Strandbädern liegen möchte, muss bislang zahlen – doch das soll sich ändern. Experten sprechen von einer „Revolution“.
Das Bild gehört zum Italien-Urlaub wie Spaghetti und Gelato: An den italienischen Mittelmeerküsten ziehen sich kilometerlang die traditionellen Strandbäder mit bunten Sonnenschirmen und weißen Plastikliegen. Badegäste müssen für den Besuch dieser Strände tief in die Tasche greifen: 15 bis 30 Euro für zwei Liegen mit Schirm sind es auf jeden Fall, oft auch deutlich mehr. Wem das zu viel ist, der muss einen Platz an einem frei zugänglichen, aber oft völlig überfüllten und ungepflegten Strandabschnitt suchen –wenn es den überhaupt gibt.
Doch jetzt steht das schöne Geschäft der Strandbäder auf wackligen Füßen: Es ist die Folge eines jahrelangen Streits zwischen der Europäischen Union und Italiens Regierungen. Experten sind sicher: Nach einem neuen Gerichtsurteil müssten Badegäste für einen Strandbesuch den privaten Betreibern nichts mehr bezahlen, solange sie nicht Schirm und Liege mieten. „Nach Lage der Dinge kann jeder Tourist das Recht beanspruchen, mit freiem Zugang jeden italienischen Strand zu besuchen“, heißt es in einer aktuellen Studie des Centres for European Policy Network (cep), das Experten in Berlin, Freiburg, Rom und Paris versammelt.
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Das schließe auch die luxuriösesten und teuersten Strände ein, die derzeit von privaten Betreibern gemanagt würden. Die Studie, die unserer Redaktion vorliegt, hält deshalb eine „Revolution“ an Italiens Stränden für möglich. Hintergrund ist ein lange schwelender Konflikt um die Vergabe der staatlichen Konzessionen für die Bäder. Küsten und Strände sind in Italien in der Regel im staatlichen Besitz, laut Studie vergeben nationale oder lokale Verwaltungen derzeit 12.166 Strandbad-Konzessionen an 6600 Betreiber. Das Problem: Die Konzessionen werden ohne die in der EU verlangte ordentliche Ausschreibung zugeteilt.
Italien: Konzessionen sollen EU-weit ausgeschrieben werden
Die Konzessionen werden routinemäßig und oft ohne Preisanpassung verlängert – mitunter werden sie wie Familienbesitz weitervererbt. Für die Betreiber in den touristischen Regionen ein lukratives Geschäft: Laut cep-Studie liegt die durchschnittliche Pacht bei 7600 Euro im Jahr, der durchschnittliche Umsatz bei 260.000 Euro. Die EU-Kommission als Wettbewerbshüterin mahnt bereits seit 2006, Italien müsse die Konzession fair ausschreiben und damit EU-Gesetze anwenden, vor allem die Dienstleistungsrichtlinie. Bei einer Neuausschreibung müssten dann Bewerber aus der gesamten EU berücksichtigt werden.
Doch die italienischen Regierungen blocken mit immer neuen Begründungen ab. „Politische Bequemlichkeit, das Bedürfnis nach Wahlunterstützung, die Angst vor wirtschaftlich schädlichen Zugeständnissen sowie die Verwicklung krimineller Organisationen in das Geschäft mit Stranddienstleistern haben alle dazu beigetragen, jegliche Reform zur Liberalisierung dieses Marktes zu verzögern“, so die cep-Experten. Zuletzt versuchte die Regierung von Georgia Meloni, mit einer Neuvermessung der Küste zu beweisen, dass der Strand kein „knappes Gut“ sei und deshalb die EU-Vorschriften gar nicht angewendet werden müssten.
Durch die Aktion hatte Italien angeblich plötzlich 3000 Kilometer Strand zusätzlich, weil felsige Küsten und nicht zum Baden geeignete Gebiete mitgezählt wurden. Die Zögerlichkeit der Regierungen ist auch deshalb brisant, weil in einigen Landesteilen Mafia-Organisationen das Geschäft betreiben und zur Geldwäsche nutzen, heißt es in der Studie. „Ihr Interesse basiert auf äußerst lukrativen Gewinnen, die dank der geringen Kosten staatlicher Konzessionen erzielt werden können, sowie der Möglichkeit, Schwarzgeld zu waschen“, erklärt Cep-Ökonomin Eleonara Poli in Rom.
Regierungschefin Meloni verzögert die Umsetzung des Urteils
Doch nach zwei EU-Verfahren gegen Italien wegen Vertragsverletzung ist der Streit inzwischen zur Sache der Gerichte geworden: Voriges Jahr urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), die Konzessionen für die Bewirtschaftung der italienischen Strände dürfen nicht automatisch verlängert werden, sondern seien in einem neutralen und transparenten Auswahlverfahren zu vergeben.
Dem folgte nun der Staatsrat in Rom, der auch oberstes Verwaltungsgericht Italiens ist: Kurz vor dem Start der Sommersaison entschieden die Ratsmitglieder, es müsse unverzüglich ein Ausschreibungsverfahren für die Vergabe von Strandkonzessionen eingeleitet werden. Das Urteil erklärt jede Verlängerung der Konzessionen nach Ablauf des Jahres 2023 für ungültig. Die Entscheidung der Regierung, die Konzessionen bis zum 31. Dezember des laufenden Jahres zu verlängern, sei damit hinfällig.
Nach dem Verdikt hieß es aus Melonis Regierungskoalition, die Ergebnisse der staatlichen Küstenkartierung würden „zwischen der Regierung und der Europäischen Kommission erörtert, um das Vertragsverletzungsverfahren beizulegen.“ Meloni argumentiert, dass die kostenpflichtigen Strände ein historisches und kulturelles Erbe darstellen, das Einheimische pflegen müssten.
EU-Kommission könnte Geldstrafen gegen Italien verhängen
In den vergangenen Monaten war die EU-Kommission offenkundig bemüht, den Konflikt nicht öffentlich auszutragen. Nachdem sich Meloni bei der Wahl der EU-Kommissionspräsidentin aber weniger kooperativ als erhofft gezeigt hat, könnte sich der Wind in Brüssel womöglich drehen. Die Experten des cep-Netzwerks plädieren dafür, dass die Kommission härter durchgreift und nun auch Geldstrafen gegen Italien verhängt. Aber zugleich sei nun die Zivilgesellschaft gefragt: Nachdem per Gericht die Verlängerung der Konzession für unrechtmäßig erklärt worden sei, könne es eine „Revolution“ an Italiens Stränden geben.
Tatsächlich sind Aktivisten schon unterwegs: Mitglieder des Vereins „Mare Libero“ (Freies Meer) tauchten erst vor wenigen Tagen an zahlreichen Stränden auf, etwa in Neapel oder am Jet-Set-Strand Forte dei Marmi, und bestanden dort auf freien Zutritt, verteilten Flugblätter und legten sich demonstrativ in den Sand. Vereinzelt hätten Betreiber die Polizei gerufen, die aber nicht eingegriffen habe, sagt Vereinspräsident Roberto Biagini. „Die Konzessionäre sind – mit wenigen Ausnahmen – nicht Eigentümer des Strandes und müssen daher Zugang zum Meer gewähren.“
Die Konzessionen seien laut Biagini nur in sehr seltenen Fällen noch gültig, „sodass der Strand wieder frei zugänglich ist, auch wenn es Sonnenschirme gibt.“ Lange wird der Zustand kaum anhalten, die Regierung wird früher oder später die Konzessionsvergabe neu regeln müssen. Aber vorerst wirbt „Mare Libero“ weiter für das Bürgerrecht: „Seit Jahresbeginn kann niemand mehr etwas dagegen sagen, wenn jeder am Strand ein Handtuch ausbreitet und einen Sonnenschirm aufstellt.“
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