Berlin. Die Union ist bei der Europawahl stärkste Kraft geworden. Parteichef Merz kann den Sieg für sich verbuchen. Doch es bleibt ein Risiko.

Er stand nicht zur Wahl – geht aber als klarer Sieger nach Hause: „Wir sind wieder zurück“, ruft ein strahlender Friedrich Merz am Abend seinen Anhängern im Adenauerhaus zu. Die Union mit Abstand auf Platz eins – das sei noch nicht das Ende des Weges, aber „ein erster großer Erfolg“. Die Union hat doppelt so viele Stimmen geholt wie die Kanzlerpartei SPD – und sie zahlen eins zu eins auf das Konto des CDU-Chefs ein.

Hintergrund: Friedrich Merz als Kanzler? Sein Plan hat drei Stufen

Heute Europa, morgen Kanzleramt? Es sind gerade mal noch fünfzehn Monate bis zur Bundestagswahl. Wenn der Sekt ausgetrunken ist, können sie in der Parteizentrale schon mal die nächste Kampagne planen. In seiner ganzen Laufbahn war Friedrich Merz nie näher an seinem Traum vom Regieren.

Seinen Leuten kann es gar nicht schnell genug gehen. Kaum liefen am Sonntag die ersten Prognosen über die Bildschirme, preschte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann vor: Olaf Scholz müsse jetzt den Weg freimachen – und die Vertrauensfrage stellen. Merz‘ Puls ist wie üblich etwas ruhiger, die Botschaft aber klar: Die Europawahl sei „eine schwere Niederlage für den Bundeskanzler“ und die „letzte Warnung vor der Bundestagswahl“. Und die Stärke der AfD? Ohne mit der Wimper zu zucken, schob Merz alle Schuld der Bundesregierung zu: „Das hat nichts mit der Opposition zu tun.“ Zwar müsse das starke Abschneiden der Rechten allen zu denken geben, aber: Das sei die „Quittung für die Ampel“.

Die Union war mit einer simplen, aber erfolgreichen Botschaft in den Wahlkampf gezogen: Freiheit, Wohlstand, Sicherheit. Dazu die neue Parteifarbe, das gelbstichige Hellblau, das früher auch Sebastian Kurz für seine Kampagnen nutzte. Österreichs Ex-Kanzler hatte nach der Vorstellung der neuen CDU-Farbe gleich ein Zwinker-Smiley Richtung Merz geschickt: Er finde die Farbauswahl sehr gelungen. Und: „Mit deinen Inhalten und Themen ist dir der Weg ins Kanzleramt gewiss!“

Friedrich Merz: Die CDU steht geschlossen hinter dem 68-Jährigen 

Nicht nur Kurz glaubt an Merz. Die CDU stellt sich im Moment ungewöhnlich deutlich hinter ihren Chef. Merz hat seine Lust auf Zuspitzung gedrosselt, grobe Fehler sind ihm nicht mehr passiert. Selbst im Merz-kritischen Merkel-Lager herrscht mittlerweile so etwas wie taktische Zuneigung. Mit knapp 90 Prozent wurde der 68-Jährige Anfang Mai als Parteichef wiedergewählt.

Die Bilder vom Wahlabend sollen das untermauern – und gleich noch ein Defizit ausräumen: Unmittelbar neben Merz stehen nicht etwa die mächtigen CDU-Männer, sondern zwei Frauen aus der Parteispitze, Karin Prien und Julia Klöckner. Soll keiner sagen, die Merz-CDU hätte ein Frauenproblem.

Endgültig entschieden wird die Frage, wer die Union als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führen wird, erst im Herbst. Merz, so heißt es, könne sich jetzt aber nur noch selbst verhindern. Indem er schwere Fehler mache oder aus eigenen Stücken verzichte. Nach dem Wahlsonntag ist es noch unwahrscheinlicher, dass Merz jemand anderem den Vortritt lässt.

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Die CDU-Zentrale hat sich deswegen schon mal einen Vorgeschmack auf einen möglichen Kanzlerkandidaten Merz gegönnt, quasi als Testlauf: Unter dem Slogan „Gemeinsam für Deutschland und Europa“ plakatierte die Partei Friedrich Merz mit Ursula von der Leyen. Dass beide gar nicht direkt zur Wahl standen? Geschenkt. Das hat schließlich der amtierende Kanzler genauso gemacht. Bitter für Merz ist etwas anderes. Eine aktuelle Umfrage zeigt: 23 Prozent halten Olaf Scholz für einen guten Bundeskanzler, bei Merz dagegen sind es nur 20 Prozent.