Berlin. Die Liberalen sägen an einem alten Kompromiss. Was hinter dem Manöver steckt – und warum für Ruheständler viel auf dem Spiel steht.

Diesmal sind es fünf und nicht zwölf Punkte, die ein nicht unerhebliches Vorhaben der Bundesregierung ins Wanken bringen. Eigentlich hatten sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) im März dieses Jahres auf das Rentenpaket II geeinigt. Doch Mitte der letzten Woche zeichnete sich ab, dass der Kompromiss bröckelt. Zunächst wurde die Kabinettsentscheidung unerwartet vertagt. Am Montag beschloss das FDP-Präsidium dann ein Fünf-Punkte-Papier: Nach Ansicht der Liberalen sieht eine „generationengerechte Haushaltspolitik“ auch die Abschaffung der Rente mit 63 vor.

Damit stoßen die Liberalen eine Grundsatzdebatte über die gesamte Rentenpolitik an. Dabei schien dieses Thema eigentlich befriedet zu sein. Heil und Lindner hatten sich ursprünglich darauf verständigt, das Rentenniveau bis 2039 bei 48 Prozent zu halten. Das Niveau beschreibt das Verhältnis einer Standardrente zum durchschnittlichen Arbeitnehmer-Einkommen. Würde das Rentenniveau sinken, dann würden die Altersbezüge in Zukunft langsamer steigen als die Löhne. Ebenfalls vorgesehen im Rentenpaket II ist der langfristige Aufbau einer kapitalgedeckten Säule für die gesetzliche Rentenversicherung.

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Die Sicherung des Rentenniveaus erfordert höhere Beiträgen und einen höheren Bundeszuschuss. Der Finanzminister versucht derzeit aber, den Haushalt zu konsolidieren. Und zwar weitgehend ohne neue Kredite unter Einhaltung der Schuldenbremse. In dem ursprünglichen Gesetzesentwurf war von einer Steigerung der Ausgaben bis 2045 von 372 auf 800 Milliarden die Rede. Höhere Rentenbeiträge, um die Mehrkosten abzufangen, will die FDP nicht mittragen.

Rente: FDP erwartet, dass eigene Vorschläge schnell umgesetzt werden

Nun gibt es von den Liberalen also wieder ein Positionspapier, das sich einreiht in die Achterbahnfahrt der Ampel-Regierung. Die steuert nach der Halbzeit der Legislaturperiode mit den Verhandlungen zum Haushalt 2025 ohnehin auf eine gefährliche Steilkurve zu. Ähnlich wie beim jüngsten Zwölf-Punkte-Papier zur Wirtschaftswende, mit dem die Liberalen unter anderem auf Kürzungen bei Sozialleistungen pochten, setzt sich die FDP gezielt von SPD und Grünen ab.

Klausurtagung der Bundesregierung auf Schloss Meseberg
Finanzminister Christian Lindner stellt das Rentenpaket infrage. Während sich Wirtschaftsminister Robert Habeck verwundert zeigt, möchte die SPD an der Rente mit 63 nicht rütteln. © picture alliance | Jens Krick

„Es ist schon die Erwartungshaltung, dass diese Maßnahmen rasch umgesetzt werden“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag nach dem Präsidiumsbeschluss – und spitzt damit vor allem den Konflikt mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner zu. Während sich Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag noch optimistisch zeigte, dass der Gesetzesentwurf zum Rentenpaket II noch im Mai das Kabinett passiert, rechnet Finanzminister Christian Lindner mit keiner Einigung in dieser Woche.

Rente mit 63: Nicht alle Jahrgänge können abschlagsfrei in Ruhestand

Entsprechend wenig Gegenliebe für die liberalen Reformvorschläge ist aus der SPD zu vernehmen: Die abschlagsfreie Rente, auch „Rente mit 63“ genannt, liegt den Sozialdemokraten besonders am Herzen. Dabei werde es auch bleiben, sagte Arbeitsminister Heil dem TV-Sender „Welt.“ „Da gibt es überhaupt keinen Anlass, neu zu verhandeln“, betonte auch SPD-Chefin Saskia Esken. „Das haben wir gemeinsam vereinbart, und so werden wir es auch umsetzen.“ 

Ihrem Namen wird die Rente mit 63 aber längst nicht mehr gerecht: Wer 45 Versicherungsjahre vorweisen kann, darf vor Erreichen der Regel-Altersgrenze ohne Abschlag in den Ruhestand gehen. Für Menschen, die vor 1953 geboren wurden, war das tatsächlich mit 63 Jahren möglich. Inzwischen liegt die Grenze bei 64 Jahren und vier Monaten für Männer und Frauen des Jahrgangs 1960. „Wer 45 Versicherungsjahre voll hat, der kann mit 64 oder mit 65 abschlagsfrei in Rente gehen“, so Heil. „Wir reden hier über Menschen, die früh angefangen haben zu arbeiten – mit 16, 17 Jahren.“

Auch Gewerkschaften sprechen sich für die Beibehaltung dieses Modells aus. „Der Plan, die Rente mit 63, die es in dieser Form gar nicht mehr gibt, abzuschaffen, ist ein Affront insbesondere gegenüber den hart arbeitenden Menschen, die lange Jahre ins Rentensystem eingezahlt haben“, sagte der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, dieser Redaktion. „Eine generationengerechte Haushaltspolitik, ist eine Politik, die die Zukunft für die junge Generation nicht verbaut.“

FDP fordert auch Kürzungen bei Bürgergeld und Entwicklungshilfe

Verdi-Chef Werneke sagte, es sei falsch, „die Schuldenbremse zum Fetisch zu erheben“. Und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte am Montag Unverständnis für den Rentenstreit.

Ausgaben senken oder Schulden machen, so lautet die scheinbar unüberwindbare Richtungsfrage der Ampel, an der bis zum Haushaltsentwurf 2025 kein Weg vorbeiführt. Geht es nach Kanzler Scholz, soll der Entwurf bis Juli stehen. Doch bereits mehrere Ressorts haben beim Finanzministerium Mehrausgaben angemeldet, etwa das Entwicklungshilfeministerium. Lediglich, wenn „neuer Wohlstand“ geschaffen werde, sollten Gelder aus dem Ministerium von Svenja Schulze fließen, heißt es in dem FDP-Positionspapier.

Neben Rente und Entwicklungshilfe treffen die Liberalen aber auch mit einer weiteren Forderung in ihrem Fünf-Punkte-Programm ins Herz der Koalitionspartner. Denn in dem längst verabschiedeten Bürgergeld sehen sie ebenfalls Sparpotenzial. „Die Rente mit 63 wie das Bürgergeld in seiner jetzigen Ausgestaltung setzen Fehlanreize, die wir uns nicht leisten können“, heißt es. Ob Grüne und SPD hier mitgehen, bleibt mehr als fraglich – handelt es sich doch beim Bürgergeld um ein Prestigeprojekt der Ampelkoalition.