Berlin/Erfurt. Die Thüringen-CDU nutzt Stimmen der AfD und senkt Steuern. Legitime Zusammenarbeit, sagen die einen. Dammbruch, sagen die anderen.
Es geht um 1,5 Prozentpunkte, einerseits. So viel wird nun die Grunderwerbssteuer in Thüringen sinken, wenn Menschen künftig Immobilien kaufen. Von 6,5 auf 5 Prozent. Andererseits geht es seit der Verabschiedung des Gesetzes am Donnerstagabend im Thüringer Landtag um die ganz großen Debatten, in denen viel von „Brandmauer“ die Rede ist. Von „Dammbruch“. Debatten, in denen es auch um die Zukunft des Regierens in Deutschland geht. Denn: Die CDU hat das Gesetz durch das Parlament in Erfurt gebracht – mit den Stimmen der rechtsextremen AfD von Landeschef Björn Höcke.
Was ist passiert?
Mit den Stimmen von CDU, FDP und der AfD sowie Fraktionslosen beschloss der Landtag am Donnerstag die Senkung der Grunderwerbssteuer. Die Länder können die Höhe abseits eines Mindestsatzes selbst festlegen. Schon länger wollte die CDU im Thüringer Landtag die Steuer senken. Weil diese Stimmenmehrheit ohne die AfD nicht zustande gekommen wäre, werfen Linke, SPD und Grüne der CDU vor, die behauptete Brandmauer gegen die AfD einzureißen. Linke, SPD und Grüne bilden eine Minderheitsregierung in dem Bundesland. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sprach von einem „Pakt mit dem Teufel“, die SPD von einem „historischen Versagen der CDU“.
CDU-Parteichef Friedrich Merz hatte den Kurs der Thüringer Landespartei schon am Morgen vor der Abstimmung verteidigt. Ärger gibt es trotzdem: Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und innerparteilicher Rivale von Merz, sagte der FAZ, die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordere eine noch konsequentere Haltung gerade einer konservativen Partei.
Völlig neu sind Mehrheiten mit der AfD im Erfurter Landtag allerdings nicht. Schon im Februar war das Spielhallengesetz des Landes mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD gegen den Willen der Minderheitsregierung geändert worden. Wenig später warf die CDU dem Regierungsbündnis vor, eine Änderung der Kommunalordnung nur mit Hilfe der AfD durchgesetzt zu haben. Ramelow verwies in dem Fall dagegen auf eine eigene Mehrheit, weil die FDP sich enthalten habe. Nachprüfen lässt es sich nicht, die Abstimmung war nicht namentlich.
Warum ist die Entscheidung der CDU umstritten?
Die CDU in Thüringen hat das Gesetz zur Steuersenkung nur mit Stimmen der AfD durchbringen können. Mit einer AfD, die in Thüringen „erwiesen rechtsextrem“ ist, wie der Verfassungsschutz schreibt. Mit einem Landeschef Björn Höcke, der per Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werden darf und gerade wegen seines NS-Vokabulars angeklagt ist, das er mutmaßlich bei einer Wahlkampfveranstaltung gezielt genutzt haben soll. CDU-Parteichef Merz nennt die AfD „Feinde der Demokratie“.
Der Soziologe und Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent sieht durch die Zusammenarbeit der CDU mit der AfD eine „Normalisierung“ der extremen Thüringer AfD. „Dahinter steht ein Zeitgeist, der für die Demokratie gefährlich wird“, so Quent. Die AfD steht bundesweit bei mehr als 20 Prozent, zugleich würden Politiker demokratischer Parteien „den Rechten nach dem Mund“ reden. Was Quent zum Beispiel meint: In Bayern sehe Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Grünen als „Hauptfeind“ und der Antisemitismus-Skandal um Hubert Aiwanger bleibe „folgenlos“.
Lesen Sie auch: Kampf gegen Reichsbürger – warum schärferes Waffenrecht allein nicht hilft
Der Soziologe hebt hervor: „Die sogenannte ‚Brandmauer‘ ist taktische Verschiebemasse.“ Es fehle bei Parteien und Gesellschaft eine Strategie des Umgangs mit der Partei. „Stattdessen bestärkt die Zusammenarbeit bei den Anhängern der AfD das Gefühl: Wenn ich die AfD wähle, ändert sich etwas. Das gefährdet auch CDU und FDP.“
Wie gehen die Parteien mit der AfD in Parlamenten um?
Bisher bemühen sich die Bundesparteien zumindest verbal um eine klare Abgrenzung zur AfD. Im Bundestag gibt es bisher keine gemeinsame Politik. Das soll auch für die Länder und Kommunen gelten. In dem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU heißt es: „Jeder, der in der CDU für eine Annäherung oder gar Zusammenarbeit mit der AfD plädiert, muss wissen, dass er sich einer Partei annähert, die rechtsextremes Gedankengut, Antisemitismus und Rassismus in ihren Reihen bewusst duldet. (...) Die CDU lehnt jegliche Koalitionen oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD ab.“
Partei | Alternative für Deutschland (AfD) |
Gründung | 6. Februar 2013 |
Ideologie | Rechtspopulismus, Nationalkonservatismus, EU-Skepsis |
Vorsitzende | Tino Chrupalla und Alice Weidel (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 83 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Jörg Meuthen (ehemals), Alexander Gauland, Björn Höcke |
Und dennoch halten sich Unionspolitiker auf lokaler Ebene nicht immer daran. In Bautzen stimmte die CDU einem Antrag der AfD zu, es ging um die Kürzung von Integrationsleistungen für Asylsuchende. In Zwickau stimmten beide Parteien gemeinsam und wollen dem städtischen Theater das „Gendern“ verbieten. Es gibt weitere Fälle.
Der Politologe Steven Hummel hat nach eigenen Angaben allein für Sachsen zwischen 2019 und 2022 insgesamt 20 Kooperationen in den Kommunen zusammengetragen. Oftmals stimmt die CDU gemeinsam mit der AfD, manchmal schließt sich auch die FDP an. Unklar bleibt allerdings, inwieweit die Abstimmung gezielt gemeinsam initiiert wurde – oder ob zufällig für dasselbe Ziel gestimmt wurde. Bei der jetzigen Causa im Thüringer Landtag zur Steuersenkung gibt es nach Recherchen unserer Redaktion zumindest deutliche Hinweise darauf, dass AfD und CDU gezielt kooperiert haben.
Lesen Sie auch: Rechter Terror in Deutschland – so groß ist die Gefahr für die Demokratie
Doch auch andere Parteien paktieren zumindest in Einzelfällen mit der AfD, etwa 2020, als sich FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen küren ließ – und kurz darauf deshalb zurücktreten musste. Im brandenburgischen Forst stimmte die Linkspartei mit der AfD für den Bau eines Jugendzentrums. Im thüringischen Hildburghausen votierten SPD-Mitglieder mit AfDlern für ein Abwahlverfahren gegen den linken Bürgermeister.
Was heißt das für die Landtagswahlen im kommenden Jahr?
Die Frage nach dem Umgang mit der AfD wird nicht verschwinden. Im Gegenteil: In einem Jahr werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt. In Umfragen ist die AfD in allen dreien die stärkste Kraft – und das mit Abstand und über 30 Prozent. Nicht ausgeschlossen, dass es dann ganze vier Parteien braucht, um eine Mehrheit ohne die AfD auf die Beine zu stellen.
Für die CDU könnte da schon die nächste Zwickmühle warten: Schließen die Christdemokraten eine Koalition mit der AfD weiter aus, führt etwa in Thüringen nach jetzigem Umfragestand kein Weg an einer Form der Zusammenarbeit mit der Linkspartei vorbei. Gegen die gibt es allerdings auch einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Mike Mohring, Ex-Landeschef der CDU im Freistaat, hatte diese Diskussion über ein Bündnis mit den Linken im Sommer schon einmal angestoßen – sich aber sofort eine Abfuhr aus Erfurt und Berlin eingeholt.
Vor allem eine Partei freut sich auf die Wahlen: die AfD. AfD-Landeschef Höcke gibt für Thüringen das Ziel von 33,3 Prozent der Stimmen aus, genau ein Drittel. Denn dann hat die Partei auch ohne Regierungsmehrheit ein brisantes Druckmittel in der Hand: eine Sperrminorität. Jede Entscheidung, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten bedarf, könnte die AfD blockieren.
Lesen Sie auch: Rechte AfD-Jugend – nur die Spitze des braunen Eisbergs