Düsseldorf. Ein allenfalls solides Ergebnis im Bund, ein deutlicheres Plus in NRW: Befeuert der EU-Wahlsieg erneut die K-Frage in der Union?

Es wird am Ende ein Wahlabend der doppelten Lesart. Als um 18 Uhr auf den Bildschirmen der Düsseldorfer Zentrale der NRW-CDU die erste Hochrechnung für das bundesweite Europaergebnis der Union erscheint, plätschert bloß müder Applaus. Die Jubelplakate mit der Aufschrift „Wir sind Europapartei“, gedruckt im neuen „Cadenabbia-Blau“, landen schon um 18.03 Uhr wieder auf den Stehtischen.

Klar, die Union ist eindeutiger Sieger. Eine Wiederholung des mäßigen 30 Prozent-Ergebnis von 2019 reicht, um die abgewirtschaftete Ampel-Koalition mit einem historisch unbeliebten Kanzler an der Spitze zu distanzieren. Doch die Nachwahlbefragungen zeigen zugleich, dass die Bürger einem Regierungschef Friedrich Merz augenscheinlich auch nicht viel mehr zutrauen würden. In die offensive Berliner Selbstzufriedenheit mag deshalb in Düsseldorf niemand so recht einsteigen. Bloß keine Selbstbesoffenheit, scheint die Devise.

Die Ergebnisse der Europawahl - Gewinner und Verlierer

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    Die Erfolge der Skandal-AfD insbesondere in Ostdeutschland und das Gefühl, selbst trotz des unangefochtenen Sieges unter den Möglichkeiten geblieben zu sein, beherrschen manches Gespräch beim Altbier an diesem Sommerabend. Die vielen Stimmen für Wagenknecht, die zahlreichen Erstwähler bei Splitterparteien, die gestärkten Ränder – all das lässt sie bei der NRW-CDU nachdenklich zurück.

    NRW hat das Europawahlergebnis der Union nach oben gezogen

    Der Landesvorsitzende der Jungen Union in NRW, Kevin Gniosdorz, ist der erste, der den sonderbaren Gefühlsmix auf den Punkt bringt: „Das Ergebnis der Union ist solide, aber ausbaufähig. Um noch mehr Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen, müssen wir uns von der Ampel noch deutlicher absetzen. Es braucht einen glaubwürdigen personellen und programmatischen Gegenentwurf zur Chaos-Ampel.“

    Eine Stimmungswende bringt an diesem Abend erst die Veröffentlichung der NRW-Zahlen zur Europawahl. Der WDR meldet um 19.20 Uhr, dass die CDU fast drei Prozent dazu gewonnen hat und das bundesweite Ergebnis mit 30,8 Prozent nach oben gezogen hat. Vor fünf Jahren hatte der Landesverband noch unterdurchschnittlich abgeschnitten. Selbst die Koalition auf Landesebene mit den Grünen, die um fast elf Prozent dramatisch abgestürzt sind, scheint nicht geschadet zu haben. Die AfD wiederum blieb an Rhein und Ruhr deutlich unter ihren Bundeswerten. Die SPD kommt in ihrer einstigen „Herzkammer“ NRW gerade noch auf 17,5 Prozent. Da kann die NRW-CDU so viel nicht falsch gemacht haben.

    Wüsts Kurs der mitfühlenden Modernität scheint sich auszuzahlen

    Im Lichte dieser Zahlen lässt sich endlich auch Ministerpräsident und CDU-Landeschef Hendrik Wüst auf der kleinen Bühne im Erdgeschoss der Parteizentrale blicken. Bis dahin hatte er sich mit Generalsekretär Paul Ziemiak und den Europakandidaten im Vorstandszimmer in der ersten Etage verschanzt. „Ich freue mich ganz besonders über das starke Ergebnis meiner CDU Nordrhein-Westfalen heute Abend“, ruft er in den anschwellenden Applaus. Dies sei eine „Bestätigung unseres Kurses der Mitte“. Es sei den „Dexit-Fantasien der Rechtsextremisten“ gerade in NRW eine klare Absage erteilt worden. Ansonsten: Das Ergebnis der AfD müsse „allen Parteien heute Abend zu denken geben“, mahnt Wüst.

    Es gibt zwar keinerlei Hinweise darauf, dass sich Parteichef Merz bei der gegenwärtigen sehr komfortablen Ausgangslage für die Union rund 15 Monate vor der nächsten regulären Bundestagswahl noch die Kanzlerkandidatur streitig machen lassen könnte. Wüst liefert aber auch an diesem Abend weiter dezente Hinweise, dass die NRW-CDU mit ihrem Kurs der mitfühlenden Modernität erfolgreicher sein könnte als die wieder konservativer gewandete Merz-CDU. In Düsseldorf weiß man, dass Europawahlen für Bundesregierungen immer schwieriges Terrain sind und selten eine Blaupause für die nächste Bundestagswahl.

    Im Ruhrgebiet ist die CDU bei einer Europawahl plötzlich Nummer eins

    Aber entschieden wird die K-Frage eh erst nach den ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst, und der ambitionierte und in Umfragen populäre Wüst wäre nach der gegenwärtigen Schlachtordnung darauf angewiesen, dass ihn jemand in Berlin ruft. Bislang ist da nichts zu vernehmen. Allerdings lobt ihn an diesem Abend ausgerechnet der NRW-Spitzenkandidat zur Europawahl, Peter Liese, der eigentlich ein langjähriger Merz-Vertrauter aus Südwestfalen ist: „Das ist, lieber Hendrik, Euer Werk. Ihr macht einen Super-Job in der Landesregierung. Ihr zeigt, wie man ruhig und für die Menschen regiert, und davon haben wir auch profitiert.“

    Der Bochumer CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke, ein Wüst-Vertrauter vom Arbeitnehmerflügel, wünscht sich ebenfalls als Lehre aus diesem Wahlsonntag eine möglichst breite Aufstellung seiner Partei. „Wir haben den Schnitt nach oben gezogen. Da ist ein klarer NRW-Faktor drin“, kommentiert Radtke. Die CDU sei erstmals auch im Ruhrgebiet auf Platz eins. „Das ist doch Wahnsinn“, freut sich Radtke. Dann muss er weiter, zum Feiern nach Bochum.