Berlin. Was wäre, wenn ... die CDU Europa regierte? Eine KI beantwortet die Frage, auf Basis der Wahlprogramme. Anhänger der AfD sind wütend.
Menschen tummeln sich auf einem belebten Platz, die Straßenbahn bimmelt gemütlich vorbei. An den Hauswänden und auf Dächern grünt es, im Hintergrund recken sich Wohntürme in goldenes Licht getaucht in den Himmel, dazwischen stehen Windräder: So stellt sich eine Künstliche Intelligenz die Zukunft Europas vor, sollte die SPD ihr Wahlprogramm zur Europawahl zu 100 Prozent umsetzen.
Es ist eine hypothetische Frage, gestellt an eine KI, die das 51 Seiten starke Dokument der Sozialdemokraten gewissermaßen auswendig gelernt hat und auf Knopfdruck wiedergeben kann.
Ähnlich urban, aber weniger grün, geht es bei der Union zu, deren Zukunftseuropa von starker Militärpräsenz geprägt ist – den Marktplatz sichern Panzerfahrzeuge, ein kühles Blau liegt über der Szenerie, im Hintergrund türmt sich eine Skyline aus voll verglasten Wolkenkratzern.
Bei den Grünen hingegen gleicht die Stadt fast einem Dschungel, die Menschen sind vor allem mit dem Fahrrad unterwegs, Windräder drehen sich in den Häuserschluchten.
Ganz anders, die AfD: Ein Zaun schirmt den Marktplatz ab, Menschen flanieren auf einer neoklassizistisch angehauchten Meile, im Hintergrund qualmen Industrieschlote über einem Gebirge aus Tagebauaushub, die Windräder sind nur vereinzelt zu sehen. Brauntöne dominieren das Bild.
KI übersetzt Wahlprogramme in Bilder
Diese Szenen stammen nicht etwa aus den Parteizentralen in Berlin. Ein KI-Bot hat sie erstellt, auf Grundlage der Parteiprogramme zur am Sonntag anstehenden Europawahl. Der Bot stammt aus der Feder von KI-Berater Max Mundhenke, der in den sozialen Netzwerken auch als Tom Kraftwerk unterwegs ist.
Der 32-Jährige hat die Künstliche Intelligenz mit den Wahlprogrammen der Bundestagsparteien und des Bündnis Sahra Wagenknecht trainiert, damit sie politische Fragen beantworten könne, wie er auf Instagram schreibt. „Dann dachte ich mir, ich lasse ihn die Ziele der Parteien einfach mal visualisieren.“ Das Ergebnis sei nicht weiter verändert worden, versichert er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Seine Methode legt Mundhenke bei LinkedIn offen, jeder kann sie nachvollziehen und den Bot ausprobieren. Nur wenige Eingabebefehle, sogenannte Prompts, braucht es und die KI spuckt ihre Vorstellungen aus. Erst lässt man den Bot die Wahlprogramme zusammenfassen, dann bittet man ihn, das Zusammengefasste in ein Bild zu verwandeln, nach dem Motto: Was wäre, wenn Partei X ihr Wahlprogramm zu 100 Prozent umsetzen könnte.
Wer will, kann haargenau dieselben Prompts nutzen wie Mundhenke, kurze Zeit später hat man das Ergebnis. „Die KI orientiert sich dabei ausschließlich an der Selbstdarstellung der Partei“, schreibt er. Eine Wertung oder Einordnung finde nicht statt.
Ergebnisse können unterschiedlich sein
Dazu hat Mundhenke seinen Bot auch gebeten, das Dargestellte in Worten zu erklären. Zur SPD-Vision schreibt die KI: „Der öffentliche Verkehr ist effizient und umweltfreundlich, mit elektrischen Bussen und Straßenbahnen. Die Menschen sind in verschiedenen Aktivitäten engagiert, darunter Arbeit in Hightech-Branchen (...).“
Das deckt sich mit den Vorstellungen aus dem Wahlprogramm, in dem die SPD etwa Nachtzüge als Alternative zum Fliegen anpreist, und sich für „klimafreundliche Verkehrslösungen“ starkmacht. Auffällig: Im KI-generierten SPD-Bild kommt kein Flugzeug vor, bei anderen Parteien schon.
Wer den Bot nach der beschriebenen Vorgehensweise ausprobiert, bekommt zumindest ähnliche Ergebnisse angezeigt. 1:1 seien seine Bilder nicht reproduzierbar, gibt Mundhenke zu bedenken, das sei technisch nicht möglich. „Eine KI sieht sich die eingespeisten Daten an und versucht sie dann, in diesem Fall, in ein Bild zu überführen.“ Was vorher visualisiert wurde, merke sie sich aber nicht, daher die Abweichungen in den Darstellungen.
Tatsächlich tauchten etwa die Panzer bei der Union in einem Selbstversuch unserer Redaktion nicht auf – dafür brannte es in der Skyline, als wir die KI baten, das Wahlprogramm in ein Bild zu übersetzen. Einige Gebäude waren zudem von einer Art gläsernem Schild umgeben, die ganze Szene wirkte einem Science-Fiction-Film entlehnt.
Als wir der KI vorgaben, sich eine Zukunft auszumalen, in der die AfD ihr Wahlprogramm voll umsetzen kann, bekamen wir ein Bild zu sehen, das vor allem eines zeigt: Zäune.
Die Panzer bei der Union hätten ihn auch überrascht, gesteht der 32-Jährige. „Die KI weiß nicht, dass sich der Fokus auf Rüstungspolitik bei der CDU/CSU nicht zwingend im Stadtbild widerspiegelt“, erklärt er sich das prominent platzierte Militärgerät.
AfD-Anhänger wütend
Das Feedback zu seinem Bot sei hingegen „ziemlich spannend“, sagt der KI-Berater. „Gerade auf TikTok kam viel Zweifel an der Methode, Menschen haben mich beleidigt oder blaue Herzen unter meinen Beitrag gepostet.“ Blaue Herzen gelten bei Social Media als Erkennungszeichen für Anhänger der AfD.
Was die User auf TikTok, wo die AfD-Präsenz besonders stark ist, so an der KI-Vorstellung eines AfD-Europa stört, darüber kann Mundhenke nur spekulieren. Mancher scheint seine Vision Europas auch in dem KI-Bild wiederzuerkennen. Das mittels Prompts erstellte Bild sieht unverdächtig aus, wenn es sich auch recht deutlich von denen der anderen Parteien unterscheidet.
„Ich vermute, viele Wähler:innen der AfD haben sich nie wirklich mit deren Parteiprogramm und den Folgen der AfD-Politik befasst“, so Mundhenke. Die visuelle Gegenüberstellung mit den Inhalten aus dem Wahlprogramm könnte „bei einigen für Verwirrung gesorgt haben“, schätzt er.
Der KI-Berater betont für seinen Bot ausdrücklich: „Das ist kein Abbild einer Zukunft, wie sie tatsächlich aussieht“, die KI setze lediglich Begriffe aus einer Datenbank in ein Bild um, mit der Realität habe das nichts zu tun.
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KI-Projekt soll zum Wählen ermutigen
Ansonsten aber seien die Rückmeldungen auf das Projekt positiv, mancher finde es sogar „besser als den Wahl-O-Mat“. Ganz so will Mundhenke das nicht stehen lassen, allein schon, weil sein Bot, im Gegensatz zum Angebot der Bundeszentrale für Politische Bildung, nicht die gesamte Parteienlandschaft zur Europawahl abbildet, „nur die bekanntesten, die medial präsentesten“. 35 Parteien stellen sich am 9. Juni zur Wahl, der Bot kennt nur sieben Wahlprogramme.
Ziel seines Experiments sei es gewesen, aufzuzeigen, dass es verschiedene Zukunftsoptionen gibt, nicht Wahlempfehlungen in irgendeine Richtung zu geben. „Wir können diese Zukunft mitgestalten“, der Bot sei entsprechend als Aufruf zu verstehen, die eigene Stimme am Sonntag abzugeben. Das Ganze sei Teil eines größeren Projekts, erklärt er, das nach Anwendungsmöglichkeiten für KI-Tools fragen und das Thema Künstliche Intelligenz mehr in die Öffentlichkeit tragen soll.
„Wir müssen mehr darüber sprechen, was KI mit unseren Informationen macht“, und wie wir damit umgehen. Bildgenerierung, gerade hyperrealistische, wie sie über einige Programme bereits verfügbar sei, werde immer wichtiger, denn: „Wir vertrauen eher Bildern, die wir sehen, als Texten, die wir lesen.“ Es gelte, Antworten auf Fragen zu finden, etwa, ob KI-generierte Bilder einer Kennzeichnungspflicht unterliegen sollten.