Düsseldorf. Nach den brutalen Übergriffen auf Politiker wird in NRW über Konsequenzen diskutiert. Interessant, was dazu zwei Attentatsopfer sagen.
Nach den erneuten Angriffen auf Politiker haben frühere Opfer von gewalttätigen Übergriffen mehr Schutz und Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft eingefordert. „Der Schutz von Politikerinnen und Politikern darf nicht als persönliches Privileg verstanden werden, sondern als notwendige Maßnahme. Unsere Demokratie steht unter Druck und muss geschützt werden, also auch deren Repräsentanten“, sagte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker.
Die parteilose 67-Jährige war selbst am 17. Oktober 2015, dem Tag vor ihrer ersten Wahl ins Oberbürgermeisteramt, an einem Wahlkampfstand mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt worden. Während der Stimmauszählung lag die Politikerin im künstlichen Koma und konnte ihr Amt erst nach mehrwöchiger Genesung antreten. Der Attentäter nannte als Grund für die Tat Rekers Flüchtlingspolitik.
„Bisher war es augenscheinlich ein Tabu darüber zu reden, dass auch Personen außerhalb der Landes- und Bundespolitik Personenschutz bekommen. Dieses Tabu muss nun ein Ende habe“, forderte Reker am Montag.
Der frühere Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein (CDU), forderte derweil ein stärkeres allgemeines Bewusstsein für die Nöte der Volksvertreter. Der rechtliche Sanktionsrahmen und Vorkehrungen gegen Hass und Hetze im Netz seien bereits verschärft worden. „Schutz bietet nur die Gesellschaft selbst“, so Hollstein. Solidarisierten sich viele Menschen, zeige sich, „dass wir egal welche Partei wir wählen, hinter der Demokratie stehen“. Die jüngsten Vorfälle empfinde er als „schlimm“.
NRW-Innenminister Reul: Können Wahlhelfer nicht unter Polizeischutz stellen
Hollstein wurde im Herbst 2017 in einem Dönerimbiss in Altena mit einem Messer angegriffen. Der Attentäter hatte sich abfällig über Hollsteins liberale Flüchtlingspolitik geäußert. Heute arbeitet der 61-Jährige beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) in Düsseldorf.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) machte deutlich, dass der Staat nicht alle Wahlhelfer unter Polizeischutz stellen könne: „Eine Gesellschaft, in der Politiker mit Polizisten herumlaufen, man keine Informationsstände mehr machen kann und man sich nicht mehr traut, auf der Straße Leute anzusprechen – das kann es nicht sein“, sagte Reul dem WDR am Montag.
Zuletzt kam es zu mehreren Angriffen auf Politiker. In Dresden war der SPD-Europapolitiker Matthias Ecke brutal attackiert worden. In Essen wurde der grüne Kommunalpolitiker Rolf Fliß geschlagen. Die genauen Hintergründe der Taten werden noch ermittelt.
NRW-Spitzenkandidat zur Europawahl stand auf Todesliste von Corona-Leugnern
In der NRW-Politik hielt das Entsetzen am Montag an. „Glücklicherweise bin ich persönlich noch nie körperlich angegriffen worden. Ich wurde allerdings im Internet bedroht. Während der Corona-Pandemie stand ich auf einer Liste von Corona-Leugnern, die mit einem Galgen symbolisierte, dass man uns, mich und andere Politikerinnen und Politiker, einer ‚gerechten‘ Strafe zuführen wollte“, berichtet der Spitzenkandidat der NRW-CDU zur Europawahl, Peter Liese.
Der SPD-Oppositionsführer im Landtag, Jochen Ott, fordert mehr als Betroffenheitsadressen der politisch Verantwortlichen: „Wir brauchen umfassende Lösungen, zu denen zum Beispiel auch eine Stärkung des Staatsschutzes in NRW gehört. Hinzu kommt eine konsequente Strafverfolgung, die deutlich macht: Wer die Demokratie angreift, greift uns alle an und wird dafür hart bestraft.“