Düsseldorf. NRW-Innenminister Reul spricht vor dem CDU-Bundespartei über die angespannte Sicherheitslage und die ungeklärte K-Frage in der Union.
Es ist Abend geworden im Sicherheitstrakt des Düsseldorfer Innenministeriums. Ein sonniger Maifeiertag naht. Die meisten Beamten sind auf dem Weg nach Hause. „Ist wirklich nichts mehr?“, fragt Herbert Reul seine Vorzimmerdamen, bevor er auch ihnen freigibt. Sie hinterlassen dem bald 72-jährigen Minister ein paar Riegel Schokolade auf dem Empfangstresen, für die Nerven. Der Staatsschutz reicht Reul vertrauliche Informationen zur Tötung einer ehemaligen NRW-Rockergröße im Iran rein. Ein später Espresso noch, dann kann es losgehen mit dem Gespräch.
Herr Minister, herzlichen Glückwunsch zu einem politischen Kunststück.
Vielen Dank, aber was meinen Sie?
Sie sind der erste Innenminister, der bei steigender Kriminalität immer populärer wird. Der „NRW-Trend“ wies Sie zuletzt als mit Abstand beliebtesten Landespolitiker aus. Wie geht das?
Ich bin so lange dabei, dass ich solche Umfragen einordnen kann. Trotzdem freut es mich natürlich. In unsicheren Zeiten mit vielfältigen Gefahren für den Rechtstaat und die öffentliche Ordnung steht die Arbeit von uns Innenministern besonders im Fokus, was fast zwangsläufig die Bekanntheit steigert. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Menschen ein feines Gespür dafür haben, ob man echt ist und ihnen die Wahrheit sagt.
Welche Wahrheit?
Wir haben seit 2017 die Einstellungszahlen bei der Polizei auf ein Rekordhoch geschraubt, viel Geld in Technik und Ausstattung investiert und die Eingriffsbefugnisse erweitert. Trotzdem ist das keine Garantie, dass nichts mehr passiert. Wir kämpfen bei der Jugend- und Ausländerkriminalität zum Beispiel gegen einen besorgniserregenden Trend. Und die Radikalisierung im Netz hat deutlich zugenommen. Ich sage den Leuten bei den vielen Abendveranstaltungen, zu denen ich eingeladen werde, immer ganz klar: Der Rechtstaat lässt sich nicht auf der Nase rumtanzen, wir verschweigen und beschönigen nichts, aber Simsalabim funktioniert in der inneren Sicherheit leider nicht.
Gehört zu dieser Wahrheit auch, dass der Staat Islamisten-Demos wie zuletzt in Hamburg einfach hinnehmen muss?
Nicht automatisch. Wer unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt und in Deutschland ein Kalifat errichten will, muss die volle Härte des Rechtsstaats spüren. Das Bundesinnenministerium hätte längst eine Organisation wie ‚Muslim Interaktiv‘, die offenbar hinter den Vorgängen in Hamburg steckt, verbieten können und müssen. Trotzdem wäre das keine Garantie gewesen, dass die Demo nicht stattfindet. Das gehört auch zur Wahrheit.
In Essen gab es im vergangenen Herbst einen vergleichbaren Islamisten-Aufmarsch, ohne dass jemand eingeschritten wäre.
Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ist ein extrem hohes Gut, weshalb selbst schwer erträgliche Demonstrationen nur schwer zu verbieten sind. Gerichte sind da oft anderer Meinung als die Polizei. Unsere Polizeibehörden prüfen bei der Anmeldung von solchen Versammlungen seither aber noch intensiver, welche Auflagen gemacht werden können, um zum Beispiel die Verwendung der deutschen Sprache auf Plakaten, Fahnen und Flugblättern durchzusetzen. Ich bin froh, dass wir mit unserem neuen Versammlungsgesetz einen Rechtsrahmen haben, um Hass und Hetze besser einzudämmen. Wenn das nicht reicht, muss man schauen, ob und wie sich das Recht ändern lässt.
Seit Jahren stellen Sie sich vor die „Blaulicht-Familie“, doch die Berufsfeuerwehr haben Sie nun mit Plänen zur Anhebung des Renteneintrittsalters verärgert. Warum?
Das Oberverwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung aus dem Jahre 2022 der Politik aufgegeben, eine klare gesetzliche Regelung für das Renteneintrittsalter der unterschiedlichen Tätigkeiten im feuerwehrtechnischen Dienst zu schaffen. Ich habe das jetzt angepackt und halte eine Anhebung je nach Laufbahngruppe von 60 auf 61 Jahre oder 62 Jahre für vertretbar. Zumal das erst mit langem Vorlauf ab dem Geburtsjahr 1966, dann mit einer stufenweisen Erhöhung, gilt.
Was versprechen Sie sich davon?
Es ist für mich eine Frage der Gerechtigkeit. Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels müssen alle länger arbeiten. Polizisten gehen mit 62 in Pension, andere Arbeitnehmer sogar erst mit 67. Wir haben rund 93.000 Menschen, die sich in der freiwilligen Feuerwehr engagieren - die allermeisten ehrenamtlich neben ihrem Job. Wir haben 5500 Beschäftigte der Werkfeuerwehren, die ebenfalls bis 67 ranmüssen. Rettungssanitäter, die oft mit der Feuerwehr im selben Einsatz sind, arbeiten auch bis 67. Nur den 16.700 Berufsfeuerwehrleuten soll ich eine moderate Anhebung des Rentenalters ersparen? Das finde ich nicht in Ordnung.
Müssten Sie nicht besser zwischen dem Knochenjob des Brandbekämpfers und der Büroarbeit unterscheiden? Wer zum Ende seiner Karriere die Laufbahngruppe wechselt, wird so mit einem späteren Renteneintrittsalter bestraft.
Ich kann gut nachvollziehen, dass tatsächliche Einsatzzeiten berücksichtigt werden sollten, weil diese Feuerwehrleute Schwerstarbeit in großer Gefahr verrichten und Situationen erleben, die wir uns gar nicht vorstellen können. Aber so wünschenswert eine bessere Differenzierung ist: Wir würden ein bürokratisches Monster schaffen, das die Stadt- und Kreisverwaltungen überfordert. Das kann auch nicht das Ziel sein.
Wäre die einheitliche Anhebung des Rentenalters auf 61 für alle ein Kompromiss?
Die Ausgestaltung des Gesetzentwurfs liegt jetzt bei den regierungstragenden Landtagsfraktionen von CDU und Grünen. Ich finde es weiterhin fairer, zwischen den Laufbahngruppen zu unterscheiden, gehe aber offen in die weiteren Beratungen.
In der kommenden Woche wird der CDU-Bundesparteitag ein neues Grundsatzprogramm beschließen. Hätten Sie die Rückkehr von Begriffen wie „Leitkultur“ gebraucht?
Ich habe als alter Parteimensch so viele Programme geschrieben, dass ich mich diesmal bei der Textarbeit zurückgehalten habe. Aber der Grundsatzprogrammprozess war nach der Bundestagswahlniederlage 2021 ganz wichtig zur programmatischen Selbstvergewisserung der CDU. Das ist richtig gut gelaufen. Für mich ist klar: Wir waren immer dann erfolgreich, wenn wir thematisch breit waren, nach außen einladend und nach innen einig.
Heißt das, der Parteitag wird Ihren Vorsitzenden Friedrich Merz stärken?
Er macht das gut, und ich spüre in der Partei eine Sehnsucht nach Geschlossenheit. Wer streitet, wird nicht gewählt.
Ist die K-Frage in der Union überhaupt noch offen?
Friedrich Merz ist unser Parteichef und Oppositionsführer im deutschen Bundestag. Er ist am Zug, die Frage der Kanzlerkandidatur zu regeln und so zu beantworten, dass wir im nächsten Jahr zum Wohle des Landes die chaotische Ampel ablösen können.