Berlin. Mehr Menschen ohne Job, mehr Beschäftigung, zu wenig Fachkräfte: In Deutschland passiert das alles gleichzeitig – und das birgt Risiken.
Nach zwei Jahren Konjunkturflaute sind die goldenen Zeiten am Arbeitsmarkt in Deutschland erst einmal vorbei. Das macht die Bundesagentur für Arbeit (BA) deutlich. Das Risiko, seinen Job zu verlieren, steigt wieder. Trotzdem ändert sich nichts daran, dass es in Deutschland weiter im großen Stil an Fachkräften fehlt und sich der Mangel in den kommenden Jahren noch einmal dramatisch verschärften dürfte. Ein Überblick.
Was sagt die Bundesagentur für Arbeit?
Anfang der Woche hat die Nürnberger Behörde ihren monatlichen Arbeitsmarkt-Bericht veröffentlicht. Auffällig dabei war, dass die Verantwortlichen ihre Tonalität veränderten: Zwar ist Deutschland immer noch weit entfernt von Zuständen wie vor 20 Jahren, als die Massenarbeitslosigkeit das Land fest im Griff hatte. Aber so richtig rund läuft es eben auch nicht mehr. „Wenngleich das Risiko, den Job zu verlieren, im langjährigen Vergleich immer noch niedrig ist – so langsam wird es größer“, sagte BA-Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach.
Und der Manager ergänzte: „Gleichzeitig hat es jemand, der arbeitslos geworden ist, im Moment vergleichsweise schwer, wieder eine passende Stelle zu finden.“ Das liege auch daran, dass sich die Arbeitgeber bei Neueinstellungen derzeit eher zurückhielten. Ein Grund für die zunehmende Arbeitslosigkeit ist nach Einschätzung on Experten auch der Umstand, dass jetzt verstärkt ukrainische Kriegsflüchtlinge dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, dort aber erst nach und nach Fuß fassen.
Wie drückt sich das in Zahlen aus?
Im April waren bei den Arbeitsagenturen 2,75 Millionen Arbeitslose gemeldet, das waren 164.000 mehr als vor einem Jahr. Die übliche Frühjahrsbelebung fällt nur schwach aus, im Vergleich zum März sank die Zahl der Arbeitslosen nur um 20.000. Normalerweise geht die Zahl der Job-Suchenden in den Frühjahrsmonaten deutlicher zurück. Wenn es draußen wärmer wird, werden etwa in der Gastronomie, in der Baubranche oder in der Landwirtschaft verstärkt Kräfte gesucht.
Alles in allem sei die Lage am Arbeitsmarkt zwar weiterhin „robust“, sagte Terzenbach. Es fehlten aber die positiven Impulse. Die Arbeitslosenquote lag im April bundesweit unverändert bei sechs Prozent. Die höchste Quote verzeichnete Bremen mit 11,1 Prozent, die niedrigste Bayern mit 3,6 Prozent. Die Länder Berlin (9,7), Hamburg (8), Nordrhein-Westfalen (7,5) und Thüringen (6,3) lagen über dem Bundesdurchschnitt, Niedersachsen (5,9) knapp darunter.
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Wo stehen wieder verstärkt Jobs auf der Kippe?
Insbesondere in Branchen, in denen sich die verhaltene Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen unmittelbar bemerkbar macht. Das betrifft etwa die Metall- und Elektroindustrie sowie die Stahlindustrie. Aber auch die Zeitarbeit, die bei kräftigerem Wirtschaftswachstum häufig dazu dient, in den Betrieben Auftragsspitzen abzubauen. Weil viele Firmen nicht mehr über genügend Aufträge verfügen, um ihre Belegschaften im bisherigen Umfang zu beschäftigen, wird wieder verstärkt Kurzarbeit angemeldet. Oder die Betriebe machen sich daran, den Personalbestand grundlegend zu verringern.
Der Volkswagen-Konzern etwa kündigte unlängst an, Beschäftigten verstärkt Abfindungen und Altersteilzeit anzubieten. Beim Elektroauto-Hersteller Tesla in Grünheide (Brandenburg) sollen 400 Stellen wegfallen. Auch Konzerne wie Bayer, BASF, Miele oder SAP streichen Jobs, um nur einige zu nennen.
Gibt es überhaupt noch offene Stellen?
Ja – und zwar relativ viele. Aber auch hier macht sich die schwache Konjunktur zunehmend bemerkbar. Die Zahl derjenigen freien Stellen, die der Arbeitsverwaltung bekannt werden, nimmt ab. „Mit gut 700.000 Stellenangeboten ist das Niveau im langjährigen Vergleich zwar noch hoch. Aber der Zenit ist überschritten“, berichtete Terzenbach. Älteren Angaben der Bundesagentur zufolge geht es bei acht von zehn freien Stellen um Fachkräfte, bei nur zwei von zehn können Ungelernte zum Zuge kommen.
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Sehr viele Betriebe suchen nach wie vor händeringend Personal. Sie können die freien Stellen aber nicht besetzen, weil es beispielsweise in ihrer Region an geeigneten Bewerbern mangelt. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren noch einmal deutlich verstärken, weil die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer nach und nach in Rente gehen.
Deutschland erlebt gerade mehrere Entwicklungen gleichzeitig, die auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen: Die Zahl der Arbeitslosen steigt, gleichzeitig mangelt es an Fachkräften und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wächst aufgrund der starken Zuwanderung weiter. Zuletzt waren hierzulande 34.765.000 Männer und Frauen sozial abgesichert in Arbeit. Das entsprach gegenüber dem Vorjahr einem Plus von 164.000.