Los Angeles. Zwischen Hollywood und Hightech: Darum bereist NRW-Ministerpräsident Wüst die US-Westküste - und sorgt für manche Überraschung.
Die Zeitenwende in der Reiseplanung eines deutschen Ministerpräsidenten wird am Dienstagnachmittag in den Wüstenausläufern von Palmdale, Kalifornien, so richtig greifbar. Hendrik Wüst steht in einer 50.000 Quadratmeter großen Kampfjet-Fabrik des Rüstungsriesen Northrop Grumann, schaut auf ein US-Banner im Bauplanen-Format und zitiert Kennedy: „Wer Demokratien entwaffnet, macht Recht und Freiheit schutzlos.“
Früher machten Politiker auf PR-Tour einen Bogen um Waffenschmieden. Jetzt sagt Wüst, der selbst einst ausgemustert wurde: „Ich freue mich über jeden Bundeswehrstandort, der in NRW ist und wächst.“ Northrop Grumann hat gerade mit der Schulung deutscher Ingenieure des Rheinmetall-Konzerns begonnen. Sie werden ab Sommer 2025 in einer neuen Gemeinschaftsfertigung am niederrheinischen Flughafen Weeze das Rumpfmittelteil für den F-35A Lightning II bauen.
Dabei handelt handelt es sich um ein NATO-Wunderflugzeug, das für gegnerischen Radar nur schwer zu erkennen ist und für den Transport von Atombomben zertifiziert. Rheinmetall-Manager Mike Schmidt lobt Wüsts „Leadership“ und den „Nordrhein-Westfalen-Speed“ bei der Genehmigung der Produktionsstätte in Weeze. Wüst lächelt zufrieden.
Satellitenbilder zeigen das bedrohliche Abschmelzen der Polkappen
Zeitenwende, Innovation, Modernität, „groß denken“ – das scheinen die Leitmotive einer einwöchigen Reise des NRW-Regierungschefs an die US-Westküste zu sein. Es wirkt wie die Alltagsflucht eines Ambitionierten. Los Angeles, San Francisco, Seattle. Keine Politiker-Gespräche, keine Wirtschaftsabkommen, dafür viele Hightech-Termine und ein bisschen Foto-Safari. Raumfahrt, Militär, Elektromobilität, Künstliche Intelligenz. Google und Microsoft, Hollywood und Stanford Universität.
NRW hat sich in bundesweiten Ranglisten zuletzt wieder bedenklich Richtung „Schlusslicht-Land“ entwickelt. Auch im Rennen um die Kanzlerkandidatur scheinen sich vor dem CDU-Bundesparteitag Anfang Mai die Dinge klar hin zu Parteichef Friedrich Merz zu entwickeln. Wüst schafft es trotzdem, sich als moderner Politikertypus zu vermitteln, der mit amerikanischer Zukunftslust über solchem NRW-Kleinklein wie Unterrichtsausfall und kommunaler Finanzkrise schwebt.
Im „Jet Propulsion Laboratory“ der NASA in Pasadena im Norden von L. A. schaut er ferner in die Zukunft, als es in Legislaturperioden denkende Politiker gemeinhin tun. Das führende Zentrum für die Erkundung des Sonnensystems mit Robotern zeigt dem Gast aus Germany die Arbeiten am „Europa Clipper“, einer Raumsonde, die in die Umlaufbahn des Jupiter geschossen wird. Dort soll sie den eisigen Jupitermond „Europa“ untersuchen. Gibt es unter der eisigen Kruste Wasser, die Bedingung für Leben?
Wüst wollte als Kind nie Astronaut werden
Wüst, der als Kind nie Astronaut werden wollte und die legendären Mars-Rover-Missionen auch nur aus dem Fernsehen kennt, verkleidet sich hier gar nicht erst als kundiger „Rocketman“ aus Rhede. Kein Raumanzug, nicht mal eine NASA-Kappe für Foto. Da ist er weniger schmerzfrei als sein alter Spannmann Markus Söder, der schon mal in Top Gun-Kluft posiert und in China Pandas knutscht. Staunend lässt Wüst sich Labore zeigen und knabbert im dunklen Raumfahrtkontrollraum höflich Erdnüsse, weil das der NASA bei der ersten Mondfahrt Glück gebracht haben soll.
Der NRW-Regierungschef wird hier offenbar als eine Art Abgesandter der in Bonn ansässigen Deutschen Raumfahrtagentur und des Europäischen Astronautenzentrums in Köln wahrgenommen. Die Reserve-Astronautin Amelie Schoenenwald begleitet ihn. Sie hofft auf eine ESA-Mission. Es werden Satelliten-Messungen an die Wand geworfen, die das bedrohliche Abschmelzen der Polkappen zeigen.
Wüst, der sich in der wieder konservativeren Union inzwischen als „Grünen-Versteher“ bespötteln lassen muss, sagt hinterher: Es sei wichtig, „dass man sich mal vor Augen führt, welche Entwicklung wir da auf der Welt erleben und – Stichwort Hochwasser – erleiden.“ Zweite Botschaft: Die Raumfahrt habe starke Frauen, „es wäre an der Zeit, dass auch mal eine Frau aus Deutschland fliegt.“ Als NASA-Geschenk bekommt er ein kleines Spielzeug-Raumschiff für die dreijährige Tochter zuhause.
Wüst posiert mit Veronica Ferres in Hollywood
Es ist eine Reise mit bisweilen rasanten Kulissenwechseln. Gleich nach Ankunft steht Wüst in einer Straßenschlucht von Los Angeles Downtown und will die Eskalation des Nahost-Konflikts kommentieren. Mit ernster Miene und kristallklarer Stimme sagt er in die Kameras: „Wir stehen fest an der Seite Israels. Ich bin erleichtert, dass die Luftabwehr das Schlimmste verhindern konnte.“ Nach handgestoppten 1:03Minuten springt er unvermittelt zur Seite, reißt sich die Krawatte vom Hals und baut sich im 90 Grad-Winkel vor einem Springbrunnen neu auf. Anderes Thema, anderer Hintergrund, andere Gemütsverfassung. Aufgeräumt ruft Wüst nun in die ihm folgenden Objektive: „Nach zwölf Jahren ist endlich wieder eine Mannschaft aus Nordrhein-Westfalen Deutscher Fußball-Meister. Herzlichen Glückwunsch an Bayer Leverkusen hier aus Los Angeles.“
Wüst war nie ein „Salon-Löwe“, der sich bevorzugt auf Stehempfängen herumdrückt. Er ist eher ein Effizienzversprechen von westfälischer Nüchternheit. Das muss vorausgeschickt werden, wenn man seine neue Parkettsicherheit in der „Villa Aurora“ bestaunt. Die 100 Jahre alte Künstlerresidenz in den Hügeln Hollywoods ist ein magischer Ort für Promis. Hier fanden Kunstschaffende während der Nazi-Zeit ein Exil, Thomas Mann wohnte um die Ecke. Draußen Palmen und Pazifikblick, drinnen Büsten und Bücher. Hier findet jedes Jahr der deutsche Oscar-Empfang mit vielen Filmstars statt.
Wüst stellt einen Dokumentarfilm über den früheren Leichtathleten Edwin Moses vor, den NRW mitfinanziert hat. Er posiert mit Veronica Ferres für Fotos auf dem Balkon und plaudert mit dem deutschen NBA-Basketballer Daniel Theis. Auch ohne Übersetzer wirbt Wüst bei den Bossen großer US-Filmkonzerne für den Produktionsstandort Köln. Und in einer kleinen Ansprache sagt er: „Hollywood ist ein Traumziel für Menschen auf der ganzen Welt.“ Seines liegt wohl eher in Berlin.