Berlin. Väter sollen nach der Geburt eines Kindes Sonderurlaub erhalten – so hat es die EU beschlossen. Die deutsche Realität sieht anders aus.
Eigentlich war der 22. August 2023 einer der schönsten Tage im Leben von Daniel Bieler*: Es war der Tag, an dem sein zweites Kind geboren wurde. Hätte die Bundesregierung ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingehalten, hätte Bieler anschließend zwei Wochen bezahlten Sonderurlaub bekommen – um sich um seine Familie zu kümmern. Doch die von der Ampel-Koalition angekündigte Familienstartzeit hängt noch immer in der Warteschleife.
Bieler musste deswegen seinen regulären Urlaub nutzen und an anderer Stelle auf Erholung verzichten. Doch das wollte der Familienvater nicht akzeptieren – und hat deswegen gegen die Bundesrepublik Deutschland geklagt. „Ich habe mich einfach sehr darüber geärgert, wie die Politik aktuell mit Familien umgeht. Also habe ich beschlossen, dass ich aktiv werden muss. Ich wollte das nicht auf mir sitzen lassen“, sagt der 38 Jahre alte Familienvater aus Hessen.
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Die Ampel-Koalition hätte schon längst handeln müssen. Seit 2019 gilt es in der EU die sogenannte Vereinbarkeits-Richtlinie, die eine Freistellung nach der Geburt vorsieht. „Die Mitgliedsstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile, Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben“, heißt es darin.
Urlaub: Vater verklagt Bundesregierung auf Schadenersatz
Die Frist für die Umsetzung in nationales Recht ist jedoch bereits 2022 verstrichen – ohne, dass in Deutschland ein entsprechendes Gesetz eingeführt wurde. Mit der Familienstartzeit wollte die Ampel zwar eine ähnliche Regelung schaffen, der entsprechende Entwurf, den Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) im Frühjahr 2023 vorgestellt hat, befindet sich aber immer noch in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien. Es herrscht Uneinigkeit über die Finanzierung.
Bieler wusste bereits vor der Geburt seines zweiten Kindes von der EU-Richtlinie. „Ich hatte schon während meines Studiums Berührungspunkte mit dem Thema Recht und EU-Recht. Deswegen habe ich damals auch die Entwicklungen zum Vaterschaftsurlaub verfolgt“, erzählt er. Vor der Geburt reichte Bieler also bei seinem Arbeitgeber, einer Bank, einen Antrag auf zehn Tage Sonderurlaub ein – doch der wurde abgelehnt.
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„Mir war natürlich klar, dass das eher wenig Aussicht auf Erfolg hat“, erzählt der 38-Jährige. Aber er habe ein Zeichen setzen wollen. Nachdem er zwei Wochen regulären Urlaub nehmen musste, beschloss Bieler zu klagen. Auf Schadensersatz. Denn: Dadurch, dass er keinen Sonderurlaub gehabt habe, sei ihm ein finanzieller Schaden entstanden. „Hätte es in Deutschland schon eine Regelung zur Familienstartzeit gegeben, hätte ich insgesamt mehr bezahlte Urlaubstage gehabt“, erklärt er.
„Wenn wir gewinnen, hätten wir den Präzedenzfall geschaffen“
Unterstützung fand er bei der Berliner Anwältin Sandra Runge. Die Fachanwältin für Arbeitsrecht setzt sich regelmäßig für die Rechte von Familien und Eltern ein. „Die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag viele gute Vorsätze für die Familienpolitik, bisher wurde aber kaum etwas umgesetzt“, sagt Runge. Ganz im Gegenteil, beim Elterngeld etwa hätten sich die Bedingungen zur Vereinbarkeit sogar verschlechtert.
„Die Familien fühlen sich deswegen natürlich zu Recht etwas Stich gelassen“, fügt sie hinzu. Auch bei der Familienstartzeit habe die Regierung ihre Versprechen nicht gehalten. Deswegen soll nun ein Gericht über den Fall entscheiden. Gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem Berliner Rechtsanwalt Remo Klinger, sowie Kläger Bieler reichte sie daher am 21. Februar beim Berliner Landgericht die Klage ein.
Dabei gehe es zwar zunächst einmal um Schadensersatz, erläutert Runge. „Gleichzeitig will der Kläger natürlich auch ein Zeichen setzen und Druck auf die Bundesregierung ausüben“, sagt sie. „Wenn wir die Klage gewinnen, hätten wir einen Präzedenzfall geschaffen, der eine Signalwirkung auf andere Fälle hätte.“
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Familienministerium beruft sich auf Ausnahme-Regelung
„Ich bin selbst überrascht, dass ich der Erste bin, der eine Klage erhoben hat“, sagt Familienvater Bieler. Aber wahrscheinlich seien viele Eltern nach der Geburt einfach mit anderen Themen beschäftigt. „Es ist umso trauriger, dass Eltern gar nicht die Kraft haben, laut zu werden, sagt er. Dabei sei gerade die erste Zeit nach Geburt so wichtig für Familien. „Das ist eine sehr prägende Zeit für Eltern, in der es darum geht, das Fundament für einen guten Start als Familie zu legen.“
Auch deswegen stört sich Bieler an dem Begriff Vaterschaftsurlaub. „Ich glaube, jedes Elternteil weiß, dass die Phase nach der Geburt kein Urlaub ist“, sagt der zweifache Vater. „Vaterschaftsurlaub klingt, als würde man zwei Wochen nach Mallorca fliegen.“ Er spricht daher, genau wie Anwältin Runge, lieber von Familienstartzeit. Das sei deutlich passender.
Wichtig sei vor allem, dass es einen gesetzlichen Anspruch auf die zehn zusätzlichen Tage gebe. „Ich bin der Meinung, dass die allermeisten Väter das nutzen würden, wenn es die Möglichkeit geben würde, zwei Wochen bezahlt freigestellt zu werden“, sagt der Familienvater. Das sieht auch Anwältin Runge so. „Wenn die zehn Tage vom Gesetz vorgegeben sind, dann muss man sich nicht vor seinem Arbeitgeber rechtfertigen“, erläutert sie. Gerade Väter stießen bei Arbeitgebern oft auf Probleme, wenn sie Zeit für die Familie einfordern würden.
Vaterschaftsurlaub: Anwältin rechnet mit hoher Erfolgschance
Das Familienministerium beruft sich als Begründung dafür, dass die EU-Richtlinie bisher noch nicht umgesetzt wurde, auf eine Ausnahme für Deutschland – denn mit Elternzeit und Elterngeld gebe es bereits andere umfassende Regelungen. Anwältin Runge hält dieses Argument für nicht ausreichend. Elterngeld und Elternzeit seien kein Ersatz für die Familienstartzeit, sagt sie. „Elterngeld muss für zwei Monate beantragt werden, bei der Familienstartzeit geht es um zwei Wochen sowie 100 Prozent Lohnfortzahlung. Zudem ist das Elterngeld gedeckelt, es gibt also keinen vollen Lohnausgleich.“
Einige Unternehmen haben mittlerweile beschlossen, nicht mehr auf das Gesetz zu warten, sondern selbst die Initiative zu ergreifen. Als erstes Dax-Unternehmen hat kürzlich Henkel eine achtwöchige bezahlte Freistellung für Partnerinnen und Partner nach der Geburt eingeführt. Solche Schritte seien grundsätzlich zu befürworten, sagt Anwältin Runge. „Allerdings löst das das eigentliche Problem nicht. Es muss einen gesetzlichen Anspruch auf die Familienstartzeit geben.“
Ob die Klage dabei helfen wird, wird sich zeigen. Bis zu einem Urteil könnte noch einige Zeit vergehen, solche Verfahren würde im Durchschnitt zwischen neun und 12 Monate dauern, sagt Runge. „Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten zwei Monaten mehr wissen werden. Wir rechnen der Klage sehr hohe Erfolgschancen an.“ Runge will es zudem nicht bei einer Klage belassen. Mittlerweile hätten sich schon weitere Väter bei ihr gemeldet.
*Der Name wurde auf Wunsch des Protagonisten geändert. Er ist der Redaktion bekannt.
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