Berlin. Altkanzler Gerhard Schröder feiert heute in Berlin runden Geburtstag. Er blickt auf eine Ausnahmekarriere mit tragischem Ende zurück.
- Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat heute Geburtstag
- Mit 80 blickt der SPD-Mann auf eine große Karriere zurück
- Am Ende liegt sein politisches Erbe dennoch in Trümmern
Es war eine riesige Sause im Museum „Hamburger Bahnhof“ in Berlin. Die Silberrücken der Partei waren versammelt, dazu Freunde, Weggefährten, Künstler wie Markus Lüpertz. SPD-Chef Sigmar Gabriel formulierte unter kräftigem Applaus: „Es ist mir eine Ehre, einen der ungewöhnlichsten sozialdemokratischen Politiker zu würdigen“. Das war zu Gerhard Schröders 70. Geburtstag und ist jetzt zehn Jahre her. Am Sonntag wird der Altkanzler, der diesen Begriff gar nicht schätzt, 80 – und öffentliche Hymnen wird es keine geben. Schröders Ehefrau Soeyon hat eine geheime Überraschungsparty in der Hauptstadt geplant, mehr ist nicht mal dem Jubilar bekannt.
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Der Altkanzler war sehr präsent seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Bei der offiziellen Feier zur deutschen Einheit im Hamburger Michel aber hatte die Regierungsregie ihn so platziert, dass er nicht im Bild war. Das hat Schröder gewurmt, und zum 80. sorgt der alte Medienprofi nun wieder für ordentlich Rummel. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur nutzte er die Millionenreichweite, um an seiner Freundschaft zu Wladimir Putin festzuhalten.
Den Filmemacher Lucas Stratmann ließ er ein halbes Jahr sogar ganz nah an sich ran. Die ARD dankte es zur Prime Time mit der einstündigen Doku „Die Gerhard Schröder Story“. Schröder beim Golfen. Schröder in seinem prächtigen Büro voller Kunst. Schröder bei der Parteijubiläumsfeier mit Genossen. So sollten ihn die Deutschen sehen. „Der Gerd“, wie er ehrfürchtig von den Genossen genannt wurde, ist alt geworden. Seine sonore, tiefe Stimme klingt nuscheliger.
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Aber Schröder ist schlagfertig wie zu Juso-Zeiten. Filmemacher Stratmann hat in der ARD-Doku Mühe, seine Fragen zu Ende zu formulieren, bevor ihm der Altkanzler dazwischen grätscht. Er liefert tolle Bilder, aber scheitert bei dem Versuch, dem 79-Jährigen auch nur einen Hauch Selbstkritik abzutrotzen. Schröders Dickschädel ist beim Thema Russland noch härter geworden. Das empört Schröders Gegner, die immer zahlreich waren. Und das schmerzt alle, die ihn mal gewählt haben und faszinierend fanden.
Um Schröder ist es einsam geworden. Öffentliche Anerkennung erhält er nur noch von einer kleinen Schar treuer Freunde oder bei Auslandsbesuchen, zum Beispiel in China. Die mächtigen Chefredakteure, die ihn einst hofierten und die er mit dem Angebot des „Du“ bei seinem Lieblingswein Brunello di Montalcino auf seine Seite zog, sind längst weg. Das Medienecho auf Schröders Russlandkurs ist heute verheerend. Nie wurde ein Altkanzler härter kritisiert als Schröder. Zu Recht.
Und trotzdem: Das Selbstbewusstsein des Jubilars ist zum 80. ungebrochen. Er kämpft juristisch um sein Büro. Er kämpft um seine Rechte als Parteimitglied. Er kämpft gegen das Partei-Establishment. Generalsekretär Kevin Kühnert? „Ein armer Wicht“. Er kämpft auch für ein besseres Handicap auf dem Golfplatz. Und er führt den – aussichtslosen – Kampf um seinen Ruf als Politiker. „Ich bin nun mal ein bisschen anders als andere“, sagt er mit seinem typischen Wolfsgrinsen in der ARD. Wohl wahr.
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SPD-Tief in Umfragen ist Genugtuung für den Altkanzler
Schröders Festhalten an Putin trotz dessen Feldzugs gegen die Menschen in der Ukraine ist rational nicht mehr zu erklären. Er muss wissen, wie verbrecherisch dieser Krieg ist. Es liegt an seiner Sturheit, dass er sich nicht von Putin lossagt, analysieren die Wohlmeinenden. Es sind die Gazprom-Millionen, sagen die weniger Wohlmeinenden – und erinnern an Schröders harte Jugend. „Wir waren die Asozialen. Ich habe jahrelang Fensterkitt gefressen“, so erinnert sich Schröder selbst an seine schwersten Jahre.
In jedem Fall ist es tragisch, dass Schröders politische Erfolge durch seinen sturen Russland-Lobbyismus verblassen. Aber es gab diese Erfolge. Die Agenda 2010, die der Schlüssel zur Überwindung der Arbeitslosigkeit war. Das „Nein“ zum Irak-Krieg, der ein blutiges Abenteuer geworden wäre. Auch die Hartz-Regeln, die viele Menschen wieder zum Arbeiten brachten. Sie sind von der neuen Parteiführung längst abgeschafft und durch das „Bürgergeld“ ersetzt worden. Geholfen hat die Rolle rückwärts der SPD nicht.
Schröder holte 2002 mit seiner zweiten Kandidatur für die SPD 38,5 Prozent – trotz Sätzen wie „Lehrer sind faule Säcke“. Heute liegt die Kanzlerpartei bei 15 Prozent. Das ist Genugtuung für den Altkanzler und er stößt genussvoll den Finger in die Wunde, wenn er sagt: „Als Führung der SPD würde ich mal darüber nachdenken, wie kommt das eigentlich, dass wir hinter der AfD sind? Das ist doch die zentrale Frage, und nicht, was mit meiner Mitgliedschaft passiert“.
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Schröders Weggefährten werden auf Gästeliste stehen
Die politische Karriere des 79-Jährigen ist beeindruckend. Juso-Chef, Fraktionschef, Ministerpräsident, Parteichef, Kanzler. Für einen solchen Weg braucht es treue Gefährten. Am wichtigsten war Frank-Walter Steinmeier, der Schröder als Büroleiter, Staatskanzleichef und Chef des Bundeskanzleramtes diente und ihn vor vielen Krisen bewahrte. Wer als Journalist in Hannover zum Ministerpräsidenten Schröder wollte, musste erstmal am heutigen Bundespräsidenten vorbei.
Die beiden haben mittlerweile miteinander gebrochen, der Bundespräsident gratuliert nicht einmal. Ein paar Weggefährten sind aber geblieben. Wie Sigmar Gabriel, den Schröder als Nachfolger sah und im kleinen Kreis mit dem Satz „Nur der Dicke kann Kanzler“ adelte. Oder Otto Schily, der Ex-Grüne, der als Innenminister für Schröder eine Bank war und vor Kameras den Gummiknüppel schwang. Sie werden auf der geheimen Gästeliste zum 80. Geburtstag ganz oben stehen.
Auch starke Frauen prägten Schröder. Am stärksten Schröders Mutter Erika, die er liebevoll „Löwe“ nannte und die als Witwe fünf Kinder mit Putzjobs durchbrachte. Die Liebesbeziehungen Schröders waren ehrlich, aber endlich. Fünf Mal betrat Schröder das Standesamt – deutscher Rekord für einen Spitzenpolitiker. Mit 24 Jahren heiratete er die Bibliothekarin Eva Schubach, nach der Trennung dann die Lehrerin Anne Taschenmacher. Beide Frauen blieben der Öffentlichkeit verborgen.
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Anders Hiltrud „Hillu“ Schwetje, die attraktive First Lady Niedersachsens mit zwei Töchtern, die ihrem Mann viel Sympathie einbrachte, aber den Schnitzel-Freund Schröder mit vegetarischen Aufläufen nervte. Die Journalistin Doris Schröder-Köpf gründete später mit Schröder und russischen Adoptivkindern eine weitere Familie. Die Ehe endete nach 21 Jahren mit einem hässlichen Streit um den Namen Schröders.
Soyeon Schröder-Kim (53), Schröders jetzige Ehefrau, ist die Frau mit dem größten Einfluss. Die gebürtige Koreanerin und Übersetzerin ist Ehefrau, Beraterin, Lektorin, Golfpartnerin, Gesundheitscoach und Social-Media-Beraterin, die den Kanzler in Hausschlappen Meisenknödel aufhängen lässt und auf Instagram stellt. Schröder macht das lächelnd mit. Nicht weil er schon gaga ist, sondern weil er immer noch Spaß am Spiel mit den Medien hat.
In der ARD-Doku ist Schröder-Kim in fast jeder Sequenz zu sehen und filmt mit ihrem Handy wie ein juristischer Bodyguard alle Interviews mit. Es gibt Küsschen und Händchenhalten vor laufender Kamera und der Kanzler wirkt verliebt wie ein Teenager. Zumindest privat muss Schröder nicht um Anerkennung kämpfen.
Kevin Kühnert: „Das ist mehr als eine Meinungsverschiedenheit“
Die SPD-Führung tut sich mit dem runden Schröder-Geburtstag viel schwerer als der Altkanzler selbst. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte bei n-tv kryptisch: „Nein, wir haben, glaube ich, keine Begegnungen in den nächsten Tagen vorgesehen“, und dann schiebt er nach: „Wir haben immer mal Meinungsverschiedenheiten, aber das, was wir seit zwei Jahren miteinander haben, das ist mehr als eine Meinungsverschiedenheit“.
Der Streit mit der aktuellen Parteiführung „ficht“ Schröder nicht an, wie der Altkanzler grinsend betont. „Mein 80. Geburtstag hängt doch nicht davon ab, von wem ich einen Gratulationsbrief kriege“. Schröder reicht es, dass die Parteichefs seine Urkunde zum 60-jährigen Parteijubiläum unterschrieben haben. Dass die Unterschriften von Lars Klingbeil und Saskia Esken aus dem Unterschriftencomputer stammen, verrät Schröder nicht.
Partei | Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) |
Gründung | 23. Mai 1863 |
Ideologie | Sozialdemokratie, Sozialstaat, Europäische Integration |
Vorsitzende | Saskia Esken und Lars Klingbeil (Stand: April 2023) |
Fraktionsstärke | 206 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023) |
Bekannte Mitglieder | Olaf Scholz, Karl Lauterbach, Frank-Walter Steinmeier |