Berlin. Die SPD-Politikerin rückt ins Parlament nach – und stellt deren Verwaltung vor ganz neue Aufgaben. Aus einem ganz besonderen Grund.
Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Abgeordnete erst im Laufe einer Wahlperiode in den Bundestag einziehen, weil ein Platz frei wird. Auf keinen der bisherigen Nachrücker hat sich die Bundestagsverwaltung aber so gründlich vorbereitet wie auf Heike Heubach. Die 44-Jährige kommt aus Stadtbergen im Landkreis Augsburg, gehört der SPD an und ist taub. Wenn Heubach in der kommenden Woche ihr Mandat aufnimmt, schreibt sie damit Geschichte als erste gehörlose Abgeordnete.
Im Parlament wird diskutiert und gestritten, die großen Debatten sind von Zwischenrufen und Applaus geprägt. Hören wird Heubach dies alles nicht. Sie wird aber mitbekommen, was die Parlamentarier diskutieren. An ihrer Seite wird Heubach dafür Übersetzer haben. „Sie bekommt einen festen Platz in ihrem Fraktionsblock im Plenarsaal, damit die Gebärdendolmetscher in ihrer Nähe das Plenargeschehen für sie dolmetschen und ihre Zwischenfragen oder Kurzinterventionen ins Mikrofon sprechen können“, erläutert die Bundestagsverwaltung dieser Redaktion.
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Heubach ist eine von geschätzt 80.000 Gehörlosen in Deutschland. „Auf beiden Ohren bin ich taub, verursacht vermutlich durch eine Mittelohrenentzündung, die ich als Säugling hatte“, berichtet die Industriekauffrau auf dem Karrierenetzwerk Linkedin. Hörenden beschreibt sie ihr Leben so: Sie müssten sich vorstellen, bei regen Diskussion Ohrstöpsel zu tragen und den Gesprächspartnern alles von den Lippen abzulesen. Dies gelinge allerdings nur bei 30 Prozent der gesprochenen Worte.
Gehörlos im Bundestag: „Ich bin immer ansprechbar“
Vor der aktiven Politik schreckte Heubach deswegen aber nicht zurück. Auf ihrer Webseite verspricht sie den Wählerinnen und Wählern: „Ich bin gehörlos und immer ansprechbar.“ Heubach kandidierte bei der Bundestagswahl 2021 für den Bundestag. Auch im Straßenwahlkampf hatte sie Gebärdendolmetscher an ihrer Seite, um Passanten von sich und der SPD zu überzeugen.
Damals begleitete ein großer Fernsehsender die SPD-Politikerin – versah den Beitrag allerdings nicht mit Untertiteln. Heubach ärgerte sich, schließlich konnte sie damit den Bericht über sich nicht verfolgen. Heubach stellte Videos ins Netz, in denen sie in Gebärdensprache ihre politischen Positionen erklärte, unterlegt mit Untertiteln und der Stimme einer Sprecherin. Heubach selbst redet nicht.
Für den Fall ihres Einzugs in den Bundestag hatte die SPD-Fraktion damals schon Dolmetscher organisiert. Es sah gut aus, dass sie ein Mandat erringt. Am Wahlabend erlebte Heubach aber eine Enttäuschung: Sie stand auf Platz 24 der Landesliste, das SPD-Ergebnis reichte für die ersten 23 Kandidaten. „Ziemlich schade, dass es nicht geklappt hat, heute bin ich traurig, das darf ich auch sein, morgen sieht die Welt anders aus“, schrieb Heubach damals.
Verband: Ein bedeutender Schritt für taube Menschen
Nun ist der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch zum Polizeibeauftragten des Bundes ernannt worden, er gibt deswegen sein Mandat auf – und Heubach rückt für ihn nach. „Bisher waren bereits auf kommunaler Ebene einzelne gehörlose gewählte Abgeordnete aktiv und wussten über die Herausforderungen und den Einsatz, der mit dieser Arbeit verbunden ist, zu berichten“, sagt Helmut Vogel, Präsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes. Dass Heubach nun im Bundestag sitzt, sei ein bedeutender Schritt für die Gebärdensprachgemeinschaft in Deutschland.
„Als eine taube Betroffene bringt Heike Heubach ihre eigenen Erfahrungen und Perspektiven mit in ihre parlamentarische Arbeit ein“, sagt Vogel dieser Redaktion. Dies sei als Bereicherung für die Vielfalt im Parlament von unschätzbarem Wert. Mit dieser „Zäsur“ erfülle sich ein lang gehegter Wunsch der Gehörlosengemeinschaft, „dass eine taube Person im Herzen der deutschen Demokratie, also im ‚Hohen Haus‘, vertreten ist“.
Bas: „Inklusion im Deutschen Bundestag konkret gelebt“
Heike Heubach ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern, in ihrer Freizeit treibt sie gerne Sport, geht mit ihrem Hund joggen. Von ihrer Gehörlosigkeit hat sich Heubach im Beruf nicht aufhalten lassen. Sie arbeitet bei einem bayerischen Energieunternehmen: „Derzeit betreue ich die Installateure von Oberbayern und die Gastinstallateure von ganz Deutschland und verwalte das Installateurverzeichnis.“ Dafür muss sie viel telefonieren, Hilfe bekommt Heubach dabei von einem Telefon-Dolmetscherdienst.
„Die Bundestagsverwaltung hat sich seit Monaten intensiv darauf vorbereitet, Heike Heubach eine weitgehend barrierefreie Wahrnehmung ihres Mandats zu ermöglichen“, sagt Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) dieser Redaktion. Heubach müsse wie alle anderen Abgeordneten die Menschen in ihrem Wahlkreis vertreten, in den Ausschüssen ihre Arbeit leisten und im Plenum an den Debatten teilnehmen können. „Das ist ein starkes Signal, dass Inklusion im Deutschen Bundestag konkret gelebt werden kann.“
Müssen die Parlamentarier zu einer namentlichen Abstimmung ins Plenum kommen, werden sie im gesamten Bundestag durch ein lautes Signal alarmiert, das an ein Schiffshorn erinnert. In Heubachs Büro stehen dafür Signallampen. Ihre Reden wird sie in Gebärdensprache halten, ein Dolmetscher wird dann mit einem Mikrofon neben den Parlamentsstenografen vor dem Rednerpult sitzen und für die anderen 734 Abgeordneten übersetzen. Die meisten dächten, nur sie benötige Dolmetscher, schrieb Heubach einmal. „So ist es nicht, auch die hörenden Menschen benötigen sie, um mit mir zu kommunizieren.“
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