Berlin. Deutschland hält seine Klimaziele ein – nicht nur 2023, sondern vielleicht sogar 2030. Woran das liegt und wo noch Probleme bleiben.
Der Balken, der Robert Habeck wichtig ist, ist schmal, aber er ist da und er leuchtet grün. Auf dem Schaubild, das der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister früh am Freitagmorgen in die Kameras hält, markiert er die Differenz zwischen der Menge an klimaschädlichen Treibhausgasen, die Deutschland bis 2030 noch ausstoßen darf – und denen, die auf dem Weg dahin laut Berechnungen des Umweltbundesamts tatsächlich noch anfallen. Und zum ersten Mal ist die zweite Zahl kleiner als die erste: Um 47 Millionen Tonnen könnte Deutschland sein Ziel übererfüllen.
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Zusammen mit der Emissionsbilanz für 2023 präsentierten Habeck (Grüne) und UBA-Präsident Dirk Messner am Freitag die neue Projektion. Die wichtigsten Botschaften, die in den neuen Zahlen stecken:
Deutschland kann sein Klimaziel für 2030 erreichen
2030 soll Deutschland 65 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als noch 1990, so sieht es das Klimaschutzgesetz vor. Und zum ersten Mal ist dieses Ziel laut den jüngsten Daten in Reichweite: Das Umweltbundesamt projiziert für das Jahr 2030 64 Prozent eingesparte Emissionen.
Für die kumulierten Emissionen – also alle auf dem Weg dahin angehäuften – hatte zu Beginn der Legislatur die Lücke zwischen den damaligen Projektionen und den Zielen noch bei 1100 Millionen Tonnen CO₂ gelegen. Noch im vergangenen Jahr ging das Umweltbundesamt von 200 Millionen Tonnen zu viel aus. Dass die neue Projektion dem gegenüber die Ziele so viel näher sieht, sei „das Resultat politischer Arbeit“, sagte Habeck. „Wir sind auf Kurs“, erklärte der Grünen-Politiker. Jetzt gehe es darum, Kurs zu halten.
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UBA-Präsident Messner, dessen Team die Daten berechnet hat, klang etwas zurückhaltender optimistisch. „Wir sind noch nicht über den Berg“, sagte er, aber „Richtung und Geschwindigkeit“ würden stimmen. Die bessere Lagebewertung begründete er unter anderem mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem im vergangenen Jahr beschlossenen Heizungsgesetz.
Nicht einberechnet in der Projektion sind allerdings die Kürzungen, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Klima- und Transformationsfonds vorgenommen wurden, weil nur Daten bis Oktober 2023 einbezogen wurden.
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Rekordrückgang von Emissionen 2023 – aber auch wegen wirtschaftlicher Schwäche
Auch für das vergangene Jahr verkündeten Wirtschaftsministerium und UBA am Freitag einen Erfolg: 2023 wurden in Deutschland laut den Daten des Umweltbundesamts insgesamt 673 Millionen Tonnen CO₂ und andere Treibhausgase freigesetzt, 76 Millionen Tonnen weniger als noch 2022. Damit sanken die Emissionen innerhalb eines Jahres um 10,1 Prozent – schneller als je zuvor seit 1990. Anders als noch 2022 wurde das Jahresziel damit erreicht.
Gespart wurde ein Teil dieser Emissionen aber nur, weil in der Industrie weniger produziert wurde. „Nichts, was man ins Schaufenster stellen kann“, sagte deshalb auch der Wirtschaftsminister über 2023. Er betonte aber auch, dass in der Projektion für die Jahre nach 2024 wieder ein „stabiles“ Wirtschaftswachstum angenommen wird.
Eine Renaissance der Kohle ist ausgeblieben
Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die und der Gaskrise war die Sorge groß gewesen, dass dreckiger Kohlestrom in Deutschland wieder eine größere Rolle spielen und dem Klimaschutz empfindlich schaden könnte. Doch die befürchtete Renaissance der Kohle ist ausgeblieben, unter anderem, weil die Gaspreise wieder gesunken sind. Aber auch der europäische Strommarkt hat dazu beigetragen: Deutschland war 2023 netto Importeur von Strom. Und 60 Prozent des Stroms, der aus dem Ausland kam, war laut UBA erneuerbar. Insgesamt hat der Energie-Sektor mit 52 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten weniger den größten Anteil an der Reduzierung der Emissionen 2023.
Verkehr und Gebäude bleiben Sorgenkinder
Der Gebäude- und Verkehrssektor haben ihre Ziele erneut verfehlt, auch wenn das in der Gesamtbilanz durch Einsparungen in anderen Sektoren ausgeglichen wird. Größtes Sorgenkind bleibt der Verkehr, wo die Emissionen im Vergleich zum Vorjahr gerade einmal um 1,2 Prozent gesunken sind. Im Bereich privater Pkw sind sie laut UBA-Chef Messner sogar gestiegen, beim Güterverkehr gab es dagegen – bedingt durch die wirtschaftliche Lage – einen leichten Rückgang.
Der Gebäudesektor konnte immerhin eine Reduzierung von 7,5 Prozent verbuchen. Zum Teil ging das auf die milde Witterung und damit weniger verheiztes Gas zurück. Zum Teil zeigt sich dabei laut Analyse des Umweltbundesamts aber auch der Wärmepumpen-Boom des vergangenen Jahres. Selbst neue Gaskessel tragen hier kurzfristig zu sinkenden Emissionen bei, weil sie häufig ältere, weniger effiziente Anlagen ersetzen. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sieht in diesem Bereich große Fortschritte: „Auch wenn hier nach wie vor viel zu tun ist, haben wir mit dem Gebäudeenergiegesetz und der kommunalen Wärmeplanung Riesenschritte nach vorn gemacht“, sagte er dieser Redaktion.
Richtig schwierig wird es nach 2030
Spätestens 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Dann müssen auch im Verkehr und im Gebäudesektor die Emissionen auf null sein. Je länger aber in diesen Bereichen strukturelle Fortschritte auf sich warten lassen, desto schwieriger wird diese Aufgabe in der Zukunft, das hob Messner am Freitag hervor. Denn während das 2030er-Ziel laut Projektion erreichbar ist, sieht das UBA für die Zeit danach noch großen Nachholbedarf.