Berlin. Der Minister wird schon als Kanzler gehandelt, dabei hat er mit den Problemen bei der Bundeswehr mehr als genug zu tun. Gerade jetzt.
Man „spielt Russland in die Hände“, heißt es in diesen Tagen häufig, wenn man sich kritisch mit Fehlern in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auseinandersetzt. Daher sollte Wladimir Putin an dieser Stelle bitte nicht weiterlesen. Aber „Augen zu“ und „Schwamm drüber“ ist keine Fehlerkultur, die unsere Sicherheit in Kriegszeiten verbessert. Das gilt auch für den Bundesverteidigungsminister, der die Verantwortung für Soldatinnen und Soldaten und die Sicherheit von 80 Millionen Deutschen trägt.
Seit Amtsantritt am 19. Januar als Nachfolger der glücklosen Christine Lambrecht führt Pistorius die Beliebtheitsskala der deutschen Spitzenpolitik an. Selbst Menschen, die ihn nicht kennen, halten ihn für einen großartigen Verteidigungsminister. Liegt es an seiner kernigen Art? An der technischen Sprache? An den knuffigen Auftritten im olivgrünen Parka, in denen der Minister gern vor den TV-Kameras auf- und abmarschiert?
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Oder doch daran – so flüstern es Demoskopen nur hinter vorgehaltener Hand –, weil nach drei Frauen im Wehrressort endlich wieder mal ein Kerl die Truppe führt? Der 63-jährige Pistorius hat jedenfalls eine satte Menge Vorschusslorbeeren erhalten, der er jetzt nach und nach gerecht werden muss. Neue Lorbeeren sind bislang nicht hinzugekommen. Im Gegenteil. Die Abhöraffäre von Pistorius‘ Luftwaffengenerälen hat Deutschlands Sicherheit schwer geschadet und belastet das Verhältnis zu den Bündnispartnern.
Pistorius verniedlicht die Abhöraffäre bei der Luftwaffe
Dass der Verteidigungsausschuss mehr dazu wissen will, ist verständlich. Die öffentlichen Einlassungen von Pistorius zu dem Skandal waren nicht angemessen. Seine Top-Generäle haben über Angriffe auf russische Truppen gesprochen und sich aus Fahrlässigkeit dabei von russischen Spionen abhören lassen. Das ist kein „individueller Anwendungsfehler“, wie es Pistorius historisch verniedlicht. Das ist Systemversagen an sensibelster Stelle. Und damit endet die Problemliste von Deutschlands Politikliebling leider nicht.
Dass Deutschland laut Pistorius „kriegstüchtig“ und nicht etwa „verteidigungstüchtig“ werden muss, irritiert nicht nur die eigene Partei. Wobei es gar nicht „kriegstüchtig“ ist, die Fregatte „Hessen“ in einen gefährlichen Kampf zu schicken, für den sie zu wenig Munition hat. Wenn die Raketen verschossen sind, geht es ab nach Hause. Zwei Raketen sind schon weg und haben eine 30-Millionen-Euro-Drohne der Amerikaner nur durch Zufall nicht getroffen.
Wird Pistorius seinem Ruf gerecht, kann er Kanzler werden
Auch an Geld fehlt es Pistorius. Im Verteidigungshaushalt klafft absehbar eine Lücke von 56 Milliarden Euro. Niemand weiß, wie das Loch gestopft werden kann. Der Litauen-Einsatz mit 5000 Mann und Frau in Dauerpräsenz, von Pistorius forsch präsentiert, wird immer mehr zum Problem. Es fehlt an Geld, Motivation und nötiger Geschwindigkeit. Die Brigade soll eine robuste Antwort auf Putins Überfall auf die Ukraine sein. Einsatzbereitschaft? Frühestens Ende 2027.
So weit reichen die Terminplaner im Kreml gar nicht. Vielleicht nutzt man dort die dreieinhalb Jahre Zeit, um den sensiblen Auftrag lückenlos auszuspionieren. Auch in Vilnius gibt es schließlich löcheriges Hotel-Wlan. Und auch die Stimmung in der Truppe ist trotz „Zeitenwende“ noch steigerungsfähig. Es fehlt – „Sondervermögen“ hin oder her – an vielen Stellen noch das Nötigste.
Das ist im neuen Jahresbericht der Wehrbeauftragten nachzulesen, der druckfrisch auf Auslieferung wartet. Boris Pistorius hat also noch viel zu tun, um seinem guten Ruf nachhaltig gerecht zu werden. Schafft er es, kann er vielleicht Kanzler werden. Bleibt es bei eklatanten Sicherheitslücken und Ankündigungen, gilt für den Umfrageliebling Pistorius der alte Spruch: Wenn die Sonne tieft steht, werfen auch Zwerge lange Schatten.
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