Düsseldorf. Jahrelang führten Automatensprenger die Banken und die Polizei in NRW vor. Aber die goldenen Zeiten für die Gangster scheinen zu enden.
Die Sicherheitsbehörden in NRW experimentieren im Kampf gegen Geldautomatensprenger jetzt sogar mit dem Einsatz von Seismografen. „Das ist ein ganz neuer Weg. Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) testet mit Seismografen, die normalerweise zur Erdbeben-Messung dienen. Wenn das funktioniert, können wir die Täter viel schneller orten und schneller am Tatort sein“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Freitag bei einer ersten Bilanz der vor zwei Jahren gegründeten Sonderkommission „Begas“, die sich speziell mit der Bekämpfung von Geldautomatensprengungen beschäftigt.
Seismografen-Vorteil: Schon 90 Sekunden nach der Tat die Polizei losschicken? Bisher ist das noch Theorie
Laut „Begas“-Leiterin Christa Lübbers greifen die Behörden auf Daten zurück, die Hobby-Seismologen an einen öffentlichen Server an der Universität Köln übermitteln. Wenn die Experimente glückten und Daten von mindestens drei Seismografen zur Verfügung stünden, könnten Polizisten in NRW und ihre Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden schon 90 Sekunden nach einer Automatensprengung den Tatort auf 200 Meter genau orten und die Fahndung einleiten, so Lübbers. Die Zusammenarbeit zwischen NRW und den Niederlanden sei wichtig, weil viele Täter aus den Niederlanden nach NRW kommen, um nach dem Beutezug mit PS-starken Autos gleich wieder über die Grenze ins Nachbarland zu fahren.
Minister Reul zog eine positive Zwischenbilanz nach zwei Jahren „Begas“-Arbeit. „Wir führen den Kampf gegen Automatensprenger heute erfolgreicher, und wir sind technisch klüger geworden“, sagte er. In diesem Jahr habe es bis zum 8. März in NRW erst sieben Automatensprengungen gegeben, im Vorjahr im selben Zeitraum seien es 35, im Jahr 2022 zwischen Januar und März sogar 48 gewesen. Insgesamt zählten die Behörden im vergangenen Jahr 153 Automatensprengungen in NRW, 2022 waren es 182.
Immer öfter machen Geld-Einfärbesysteme die Beute wertlos
Als Grund dafür, dass NRW „nicht länger ein Eldorado für Automatensprenger“ sei, nennt das Innenministerium unter anderem die technische Aufrüstung der Geldautomaten, zum Beispiel mit Geld-Einfärbesystemen, mit der künstlichen Vernebelung des Tatortes und zusätzlichen Schutzhüllen für die Automaten.
Die Appelle an die Geldinstitute, auf besser gesicherte Geräte zurückzugreifen, wirkten, so Herbert Reul. Inzwischen hätten drei von vier Automaten des Sparkassen- und Giroverbandes Automaten mit Einfärbe-Systemen. Andere Banken reagierten im Vergleich tendenziell langsamer auf die Gefahren. Die Ermittlungen gegen die Automatensprenger würden in NRW inzwischen von auf diese Delikte spezialisierten Profis in sechs Großstadt-Polizeibehörden geführt. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei in den Niederlanden laufe nach zwei Jahren „Begas“ immer besser.
Allerdings rüsteten auch die Täter auf, nutzten zum Teil Störsender, um ihre Ortung zu erschweren und verwendeten immer professionellere Sprengsätze, so die Landesregierung.
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. Seit mehr als zehn Jahren machen Automatensprenger, die meist aus den Niederlanden anreisen, in NRW fette Beute. Lange schien es, als seien die Verbrecher der Polizei immer einen Schritt voraus. Aber nun scheinen die Bemühungen im Kampf gegen dieses Delikt erste Früchte zu tragen.
Geldautomatensprengungen: Wie ist die Lage in NRW?
Die Polizei hat es mit Profis zu tun, die Automatensprenger inzwischen aber auch. Die vor knapp zwei Jahren in NRW gegründete Sonderkommission zur Bekämpfung und Ermittlung von Sprengungen (SoKo Begas) hat nach Einschätzung von NRW-Innenminister Herbert Reul schon viel erreicht, und inzwischen arbeiteten in NRW Spezialisten in vielen Polizeibehörden erfolgreich im Kampf gegen dieses Delikt. Der Weg hin zu null Automatensprengungen sei zwar noch weit, „aber er ist kürzer geworden“, sagte Reul am Freitag.
In den ersten zwei Monaten dieses Jahres zählten die Sicherheitsbehörden „nur“ sieben Automatensprengungen in NRW, im Vorjahreszeitraum waren es fünfmal mehr. Seit dem Jahr 2015 gab es in NRW insgesamt 1179 Automatensprengungen. In 354 Fällen seien Tatverdächtige ermittelt worden, die Aufklärungsquote liege also bei rund 30 Prozent.
In knapp zwei Jahren sei es zudem gelungen, 47 Verdächtige in NRW festzunehmen. In den Niederlanden seien dank guter Zusammenarbeit weitere 127 Verdächtige festgenommen worden.
Wurum werden weniger Geldautomaten gesprengt als früher?
„Begas“-Leiterin Christa Lübbers glaubt, dass sich die Kosten-Nutzen-Analyse aus Sicht der Täter negativ entwickelt. Salopp gesagt: Automatensprengung lohnt sich nicht mehr so wie früher. „Im ersten Quartal 2023 führten noch zwei von drei Angriffen auf Geldautomaten zum Erfolg, heute ist es umgekehrt. Die Täter kommen nur in jedem dritten Fall zu Bargeld“, erklärt Lübbers.
Der Rückgang der Taten könnte auch damit zu tun haben, dass es weniger Geldautomaten gibt in NRW. Ihre Zahl sank in den vergangenen zwei Jahren um 1000 auf rund 10.000.
Wie hat die Polizei gegen Automatensprenger aufgerüstet?
Zum Beispiel schickt sie Kriminaltechniker an die Tatorte, die dort ähnlich akribisch vorgehen wie Ermittler nach Tötungsdelikten. So wurden inzwischen mehr als 100 DNA-Spuren gespeichert. Spezialisten der Polizei in den Großstadtbehörden Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Münster und Bielefeld haben Expertise im Kampf gegen Automatensprenger, so das Innenministerium. Sie arbeiteten zudem eng mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden und in anderen Bundesländern zusammen.
Außerdem kümmern sich Insgesamt 18 Polizistinnen, Polizisten und Regierungsbeschäftigte im Landeskriminalamt (LKA) um das Entschärfen von Sprengsätzen und die Ermittlung von Sprengstoffen. Lesen sie hier von der Arbeit der Tatortgruppe Sprengstoff/Brand und USBV-Entschärfung.
Mindestens genauso wichtig:Die Appelle der Sicherheitsbehörden an Banken und Sparkassen, ihre Automaten gegen Angriffe zu wappnen, scheinen erhört zu werden.
Werden die Automaten heute besser geschützt?
Ja. Inzwischen verfügen laut der Landesregierung drei von vier Geldautomaten der Sparkassen über Geld-Einfärbesysteme. Wenn der Sprengsatz explodiert, werden die Scheine mit einer Original-Geldscheinfarbe gefärbt. Wer sie entferne, müsse auch die „echte“ Farbe der Scheine entfärben, erklärt Christa Lübbers. Gefärbtes Geld sei praktisch wertlos, versichert Innenminister Reul. „Es gibt keinen Schwarzmarkt für gefärbte Geldscheine“, behauptet er.
Die Automatensprenger müssen heute nicht nur damit rechnen, dass die Scheine, sondern auch sie selbst eingefärbt werden. „Begrüßungstinte“ sagen Polizisten dazu. Es seien schon eingefärbte Täter an der Grenze festgenommen worden, erzählt Reul. „Da war klar: Die kamen nicht vom Malkurs.“
Manche Banken sichern ihre Automaten zudem mit Vernebelungsanlagen, die die Täter orientierungslos machen sollen. Nachts werden manche Automaten mit Rollgittern und anderen Schutzhüllen gesichert.
Das früher von Banken angeführte Argument, Einfärbe-Systeme seien zu teuer, gelte heute so nicht mehr, sagt Herbert Reul. Inzwischen gebe es gute und günstigere Systeme, zum Beispiel aus Südafrika.
Um Banken zu überzeugen, hat die Polizei die Qualität dieser günstigen Einfärbe-Systeme mit eigenen Sprengtests überprüft, natürlich nur an entwerteten Geldscheinen.
Wie gehen die Täter heute vor?
Vor allem schnell. Das Innenministerium zeigte am Freitag ein Original-Video von einer Automatensprengung. Zwischen dem Aufbrechen der Bank-Türen und des Automaten bis zur Explosion dauerte es in diesem Fall nur 46 Sekunden. Die Ausführung der Taten nehme meist nur insgesamt drei bis vier Minuten in Anspruch, erklärt die SoKo „Begas“.
Manche Täter benutzten Störsender (Jammer), damit die Polizei sie nicht orten könne. Es kommt vor auch, dass die Verbrecher gleich zwei Sprengsätze zünden. Einen, um die Hülle des Automaten zu zerstören, und einen, der die Geldkassetten freilegt. Die Sprengsätze selbst gehen erst hoch, wenn sie außerhalb der Automatenhalle per Kabel mit einer Stromquelle verbunden werden. Das reduziert das Verletzungsrisiko für die Täter.
Es gibt den Ermittlern zufolge in den Niederlanden und in NRW Vermieter, die den Kriminellen schnelle Fluchtwagen leihen. Diese Beihilfe zur Automatensprengung ist Teil des Geschäftsmodells.
Was weiß man über die Geldautomatensprenger?
80 Prozent kommen aus den Niederlanden. „Meist sind es junge Männer bis 25 Jahren, die aus Ballungsgebieten kommen, in Subkulturen aufwachsen und meinen, anders keine Chance zu haben im Leben. Sie lassen sich leicht von denen anwerben, die hinter dem großen Geschäft stehen“, erklärt Christa Lübbers. Geradezu „industriell“ sei diese Branche. Sprengstoff und Autos würden organisiert, Personal beschäftigt, schließlich werde das Geld aus den Automaten in legal betriebenen Firmen „gewaschen“.
Haben die Niederlande auch ein Problem mit Automatensprengungen?
Längst nicht so wie NRW. „Dort gibt es eine andere Bezahlkultur als bei uns, Bargeld spielt da keine so große Rolle mehr wie hier. Wenn in Deutschland Geldautomaten abgebaut werden, gibt es immer Stress“, sagt Herbert Reul.