Berlin. Viele Muslime sind in den sozialen Medien gegen Fundamentalismus aktiv. Für ihre Arbeit bekommen sie Anerkennung – und werden bedroht.
„Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle? Hölle! Hölle! Hölle! Hölle!“ Zum Bild eines bärtigen Mannes im weißen Gewand vor einer Wand aus Flammen ertönt dieser Schlager. Betitelt ist das Ganze mit „Salafisten Lieblingslied“.
Was Ali Ghandour mit einem Meme aufs Korn nimmt, beschreibt ganz gut der Lebensauffassung dieser Strömung des Islam: Vieles ist verboten, Gott ist ein strenger Beamter im Himmel, der jeden 24/7 überwacht, und nach dem Leben droht das Höllenfeuer – folgt man nicht den Anweisungen dieses oder jenen Predigers auf TikTok.
Differenzierte Antworten statt Koranzitate ohne Kontext
Mit seinen Memes will Ghandour alias „esoteeriker“ auf humorvolle Weise Menschen erreichen. Dazwischen teilt der Theologe längere theoretische Texte oder stellt verschiedene Antworten auf Fragen aus dem alltäglichen Leben dar.
Ähnlich wie er leisten Instagramprofile wie „Namika_die_Schreiberin“, „Immernocharlotte“, „posttheologie“ oder „theplugnavid“ Aufklärungsarbeit gegen Islamismus und Islamophobie in den Sozialen Medien. Für seine Antworten braucht Ghandour, Islamwissenschaftler von der Universität Münster, etwas mehr Text, denn seine Antworten sind differenziert.
Anders die selbsternannten Prediger, die der Theologe in seinen Memes zitiert: Deren Antworten sind kurz, einfach und wie gemacht für 20-sekündige TikTk-Videos. Salafis vertreten einen Islam, in dem anders als in der sunnitischen Gelehrtentradition nur der Koran und die Hadithe, also die Überlieferungen über Aussagen und Handlungen des Propheten Mohammed zählen. Und zwar wortwörtlich.
Salafi-Islam: Perfekt für Social Media
„Salafi Islam ist perfekt für unser Zeitalter. Du hast das Buch Gottes, kannst ein paar schöne Zitate posten und alle erzählen das gleiche“, sagt Muhammad Bayraktar, der mit seinem Account „posttheologie“ auf Instagram aktiv und ein früherer Weggefährte Ghandours ist. Bayraktars Ansatz ist die Dekonstruktion: „Ich zerlege Meinungen und Theorien in ihre Einzelteile, um zu prüfen, ob sie wirklich das sind, was sie vorgeben.“ Dass er auch den Koran als von Menschen gemacht und nicht als direktes Wort Gottes ansieht, isoliert ihn innerhalb der religiösen Gemeinschaft.
Anfang der 2000er-Jahre folgten Ghandour und Bayraktar noch der klassischen sunnitischen Lehrtradition. Bereits damals setzten sich die beiden öffentlich mit der in Deutschland erstarkenden Salafi-Strömung auseinander und leisteten damit Pionierarbeit. Auf einer Webseite veröffentlichten sie Videos und Texte. Die Inhalte waren jedoch hochtheologisch, trocken und „einfach mega langweilig“, findet Ghandour heute.
TikTok-Prediger mit dunkler Pädagogik
Kaum theologisch fundiert, dafür aber zielgruppengerecht, erreichen Fundamentalisten heute große Followerschaften. Prediger wie „Sheikh“ Ibrahim, Abul Baraa oder Marcel Krass haben Zehntausende, der Düsseldorfer Abdelhamid sogar 200.000 Follower. Sie zelebrieren einen Personenkult um sich und wirken wesentlich nahbarer als noch Pierre Vogel, der salafistische Prediger aus den 2010er-Jahren. Dabei geben sie Anweisungen für den Alltag, wie mit der eigenen Frau (nicht beleidigen), mit den Kindern (mal anschreien zur Erziehung ist ok) umzugehen ist oder was von Analverkehr (verboten) zu halten ist.
„Diese TikTok-Prediger sprechen wie Deutschrap-Stars, aber verbreiten eine dunkle Pädagogik“, erklärt Navid Wali. Der Frankfurter Islamismus-Experte kennt die Ideologie der Fundamentalisten zu gut. Er erlebte als Jugendlicher das Aufkommen des Islamismus und ist heute in der Prävention tätig, auch offline.
Konfrontativer Kurs gegen selbsternannte „Scheichs“
Über die Sozialen Medien und dank ihres Auftretens erreichen die Prediger ihre sehr junge Zielgruppe: 12-13-Jährige werden stark emotionalisiert angesprochen, ihnen das Bild eines strafenden Gottes vermittelt. Anders als ausländische Prediger kennen Figuren wie Abdelhamid die Lebensrealität junger migrantischer Menschen, inklusive Rassismus- und Ausgrenzungserfahrung, und adressieren diese mit religiösen Narrativen, so Wali.
Nach Hanau-Attentat: „Deutschland hat ein Rassismus-Problem“
Auf Instagram hat der Pädagoge 40.000 Follower und teilt immer wieder Ausschnitte aus Predigen der selbsternannten „Scheichs“, nennt sie beim Namen. Damit schlägt er einen wesentlich konfrontativeren Kurs ein, als etwa Ghandour und Bayraktar. Ghandour sagt, er habe bewusst damit aufgehört, Prediger namentlich zu nennen.
Auch Wali kann niemandem guten Gewissens raten, diesen Weg zu wählen. Einer der Prediger, dessen Aussagen er kritisierte, fragte später in Whatsapp-Gruppen nach der Adresse Walis. Seitdem ist die Polizei in dessen Wohngegend sensibilisiert – wenn Wali die 110 wählt, fahren die Beamten los, ohne lange Erklärungen zu verlangen.
Hizb ut-Tahrir: Politischer Islamismus mobilisiert
Eine Entwicklung macht Ghandour, Bayraktar und Wali so große Sorgen, dass sie ihre Kräfte vereint und einen gemeinsamen Info-Post dazu geteilt haben: Die Hizb ut-Tahrir, die immer größeren Zulauf hat und vom Gaza-Krieg profitiert, vor allem von einer wahrgenommenen mangelnden Solidarität der deutschen Regierung mit den Zivilisten in Gaza. Im November konnte die „Politiksekte“, wie die drei sie bezeichnen, in Essen 3000 Menschen mobilisieren, aufgerufen wurde zu einer pro-palästinensischen Demonstration.
Der Hizb ut-Tahrir geht es dezidiert um eine Staatsordnung, nämlich das Kalifat. Das wollen sie gerne ausrufen, jedoch nicht in Deutschland, sondern in einer muslimischen Gesellschaft. Das unterscheidet diese Art des politischen Islamismus auch vom Salafi-Islam, deren Anhänger oft reine Pietisten sind, sich also auf das Private beschränken und keine bestimmte Staatsordnung anstreben. Ähnlich der Zeugen Jehovas im christlichen Kontext. Dass dabei aber dennoch teils eine frauen-, queer und überhaupt lebensfeindliche Ideologie verbreitet werden, sei dennoch ein Problem, sagt Ali Ghandour.
Islamischer Religionsunterricht an Schulen als Prävention
Auch wenn die Hizb ut-Tahrir (deutsch: „Partei der Befreiung“) seit 2003 einem Betätigungsverbot unterliegt, verbreiten mit ihr verbundene Portale wie „Generation Islam“, „Realität Islam“ oder „Muslim Interaktiv“ subtil die Botschaften der Bewegung. „Das ist für Laien oft nicht zu erkennen“, sagt Wali, der immer wieder auf die Portale aufmerksam macht.
Viele junge Muslime würden gerade mal den Unterschied zwischen sunnitischem und schiitischem Islam kennen. Islamischer Religionsunterricht an Schulen wäre ein Schritt Richtung Aufklärung und Prävention, sagt Wali. Bis dahin muss man hoffen, dass Jugendliche auf die Instagramprofile von Wali, Ghandour oder Bayraktar stoßen.