Manchester. Dean Phillips machte mit Speiseeis Millionen, nun sitzt er im US-Kongress – und kratzt sichtbar am Sockel des amtierenden Präsidenten.
Dean Phillips macht Witze auf eigene Kosten – das ist eine Qualität, die bei wahlkämpfenden Politikern nicht oft anzutreffen ist. „Vor ein paar Wochen“, sagt der millionenschwere Unternehmer aus Minnesota, „habe ich kaum fünf Leute anlocken können.” Doch vergangenes Wochenende versammelt der gerade 55 Jahre alt gewordene Kongress-Abgeordnete mehrfach am Tag 200 bis 400 Leute. So auch in einer Schule im verschlafenen Örtchen Nashua. Sie wollen den Mann sehen, der Amtsinhaber Joe Biden bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur in New Hampshire an diesem Dienstag ein Bein stellen will.
Phillips, in Washington weitgehend unbekannt, hat sein Vermögen mit Spirituosen, einer Kaffeehaus-Kette und dem in den USA beliebten „Gelato”-Eis gemacht. Er ist neben der esoterisch angehauchten Autorin Marianne Williamson der einzige Demokrat, der es wagt, gegen den amtierenden Präsidenten anzutreten. Und zwar aus nur einem Grund: dessen Alter. „Biden wäre am Ende einer neuen Amtszeit 86“, sagt Phillips. „In diesem Alter ist es unmöglich, den stressigsten Job, den es gibt, so auszuüben, wie Amerika und die Welt es gerade jetzt verdienen.“
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Phillips berichtet den Zuhörern, dass er mehrere prominente Demokraten, etwa die Gouverneure von Michigan, Gretchen Whitmer, und Illinois, J.B. Pritzker, bedrängt habe, gegen Biden ins Rennen zu gehen. „Sie lehnten ab. Deshalb habe ich mich entschieden, es selbst zu machen. Amerika bietet diese Chance. Und nun werden wir sehen.“ Der Sohn eines im Vietnam-Krieg gefallenen Vaters hält eine „umfassende Modernisierung“ des demokratischen Spitzenpersonals für unerlässlich.
Biden-Rivale will Gewinne von Pharmakonzernen abschöpfen
Dem Vater von zwei Töchtern ist Bidens Politik zu wenig auf die Bedürfnisse junger Menschen ausgerichtet. So will er ein Jugend-Kabinett etablieren, das regelmäßig den Input der Generation zwischen 16 und 30 Jahren zu Themen wie Künstliche Intelligenz oder Bildung in die große Politik einspeist. Phillips plant zudem, die milliardenschweren Gewinne der Arzneimittel-Industrie abzuschöpfen, die „unverantwortlich hohen Preise für Medikamente“ zu senken und das Geld dafür einzusetzen, dass rund 25 Millionen Amerikanern eine Basis-Krankenversicherung finanziert werden kann.
Phillips, redegewandt, frohgemut und emphatisch, nimmt für sich in Anspruch, immer parteiübergreifend zu denken. Die feindseligen Grabenkämpfe zwischen Demokraten und Republikanern in Washington sind ihm zuwider. „Der Politik in Washington ist vollkommen die Freude am Gestalten abhandengekommen.“ Ob Phillips‘ Botschaft Verbreitung findet – viele Besucher in Derry zeigten sich beim Rausgehen „sehr angenehm überrascht“ –, hängt maßgeblich vom Wahlergebnis in New Hampshire ab.
Dort sind Biden und die demokratische Parteizentrale nicht gut gelitten, seitdem sie ihren offiziellen Vorwahl-Auftakt am 3. Februar nach South Carolina vergeben und damit dem Neuengland-Staat das seit über 100 Jahren bestehende Privileg der ersten Vorwahl entrissen haben. Die Konsequenz daraus: Joe Biden wird am Dienstag dort, anders als Dean Phillips und ein paar No-Names, nicht auf dem Wahlzettel stehen.
Phillips-Unterstützer: „Biden ist nicht der richtige Kandidat“
Um dem Präsidenten eine optisch ungünstige Blamage zum Start zu ersparen, haben die regionalen Demokraten beschlossen, eine „Write-In“-Kampagne zu starten. Soll heißen: Biden-Anhänger dürfen (und sollen) den Namen des Präsidenten nachträglich von Hand auf die Stimmzettel schreiben. Andernfalls würde er aus New Hampshire als Verlierer in den Vorwahl-Marathon einsteigen, der mit dem Nominierungsparteitag im Juli endet.
Dean Phillips will dem nicht tatenlos zusehen. Seine Rechnung geht so: Sollte Biden trotz der unkonventionellen Umstände nicht 80 Prozent plus x der demokratischen Stimmen in New Hampshire auf sich vereinen, müsste das als Beleg dafür gewertet werden, was die Umfragen seit Langem abbilden: „Dass eine Mehrheit links der Mitte keine zweite Amtszeit Bidens will.“ Derzeit wird der Präsident nach einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage auf rund 60 Prozent taxiert, Phillips auf zehn Prozent.
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Mit einem eng getakteten Veranstaltungsprogramm will Dean Phillips bis zur Eröffnung der Wahllokale am Dienstagmorgen zulegen. Dabei hilft ihm Andrew Yang, der 2020 selbst kurzzeitig demokratischer Präsidentschaftskandidat war. Der Tech-Unternehmer sagte dieser Zeitung am Rande einer Phillips-Rally in Hampton: „Alles über 25 Prozent für Dean Phillips wäre ein unüberhörbares Signal, dass demokratische Wähler eine Alternative zu Joe Biden wollen.“
Der Amtsinhaber verliere nach Umfragen gegen Trump in allen Swing-States, auf die es bei der Wahl am 5. November ankomme. „Joe Biden ist nicht der richtige Kandidat, um Donald Trump zu bezwingen“, erklärt Yang. „Dean Phillips würde ihn mit sechs, sieben Prozent Vorsprung schlagen.“
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