Peking. Chinas Bevölkerung schrumpft in Rekordtempo, für Peking auch ein wirtschaftliches Problem. Die Antwort der Politik fällt speziell aus.
China droht alt zu werden, bevor es wirklich wohlhabend geworden ist. Dem ehemals bevölkerungsreichsten Land der Erde fehlt der Nachwuchs. Die schiere Geschwindigkeit des Rückgangs ist auch im internationalen Vergleich atemberaubend. Allein seit 2016 – also jenem Zeitpunkt, als die chinesische Regierung ihre Ein-Kind-Politik vollständig aufgegeben hat – hat sich die Geburtenrate mehr als halbiert. Die statistische Fertilitätsrate zählt mit etwas über 1,0 zu den niedrigsten der Welt. In China liegt sie mittlerweile sogar deutlich niedriger als in Deutschland (1,5), Österreich (1,4) oder der Schweiz (1,4).
Vor genau einem Jahr räumte das chinesische Statistikamt den ersten Bevölkerungsrückgang seit der Zeit der großen Hungersnöte ein. Wie die aktuellen Zahlen belegen, hat sich die Entwicklung seither weiter verschärft: 2023 ist die chinesische Bevölkerung um mehr als zwei Millionen Menschen geschrumpft, die Anzahl an Neugeborenen im selben Zeitraum um 500.000 zurückgegangen. „Das ist ein besorgniserregender Trend“, kommentiert Hao Hong, einer der prominentesten Banker des Landes.
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Seine Einschätzung wird auch von der Regierung geteilt. In Peking gibt es keine Illusionen mehr darüber, dass der demografische Wandel langfristig die größte Herausforderung für den Aufstieg der Volksrepublik darstellen wird – noch vor den geopolitischen Spannungen mit den USA. Warum sich immer weniger Frauen gegen das Kinderkriegen entscheiden, hat mit dem modernen Lebenswandel und vor allem den hohen Lebenskosten zu tun.
China: „Null Covid“-Politik hat die Bevölkerung verunsichert
Die Immobilienpreise sind in den großen Städten astronomisch, der Konkurrenzkampf im Bildungssystem extrem hart und die Kinderbetreuung für junge Eltern höchst rudimentär. Hinzu kommt eine Gesellschaft, die zunehmend politisch repressiver wird –allesamt also keine guten Voraussetzungen, um Kinder in die Welt zu setzen.
Doch beschleunigt hat sich die Entwicklung auch durch die Corona-Pandemie. Zum einen ist die Sterberate im Vorjahr – nach der abrupten Abkehr der „Null Covid“-Politik – stark angestiegen. Vor allem aber haben die drakonischen, ja oftmals traumatisierenden Lockdowns die Lebensentwürfe vieler junger Chinesen auf den Kopf gestellt. Das Gefühl von Ohnmacht und Unsicherheit hallt bis heute nach, insbesondere da sich die wirtschaftliche Lage nie vollständig erholt hat. Die Jugendarbeitslosigkeit befindet sich beispielsweise weiterhin auf einem historischen Rekordhoch.
Aus ökologischer Perspektive ist es zunächst einmal eine gute Nachricht, wenn im zweitbevölkerungsreichsten Land der Welt weniger Menschen geboren werden. Schließlich gerät der Planet Erde bereits jetzt an seine Grenzen mit seinen nicht gerade endlos zur Verfügung stehenden Ressourcen. Doch aus volkswirtschaftlicher Warte ergibt sich eine andere Perspektive: Denn wenn immer mehr Menschen im Rentenalter sind und die Anzahl an arbeitender Bevölkerung sinkt, dann lähmt dies unweigerlich die Wachstumsmöglichkeiten des Bruttoinlandsprodukts.
Chinas Rezept für mehr Kinder: Steuervorteile und Propaganda
Dies ließ sich in den vergangenen Jahrzehnten exemplarisch in Europa beobachten, aber auch in den Nachbarländern Südkorea und Japan. Doch im Gegensatz zu den OECD-Staaten befindet sich China, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, nach wie vor auf dem Niveau von Rumänien. Anders ausgedrückt: Da sich das Zeitfenster der Boom-Jahre schnell schließt, droht das Reich der Mitte nun in der sogenannten „middle income trap“ gefangen zu bleiben – also nicht den Sprung vom Schwellenland zu den führenden Wirtschaftsnationen zu schaffen.
Dementsprechend energisch versucht die chinesische Regierung, den Trend umzukehren. Manche der Maßnahmen wirken allerdings wie mit der politischen Brechstange konzipiert: In Propagandaslogans wird etwa das Kinderkriegen wieder zur patriotischen Tugend ausgerufen, in den Fernsehserien im Vorabendprogramm tauchen vermehrt klassische Mutterrollen auf, und auch in öffentlichen Bildungskampagnen werden die traditionellen Familienwerte beworben. Dabei schimmert stets das paternalistische Denken einer Parteiführung durch, die nach wie vor glaubt, das Privatleben seiner Bevölkerung wie bei einem Lautstärkeregler steuern zu können.
Rentenalter liegt bei maximal 60 Jahren – ändert sich das jetzt?
Doch natürlich gibt es auch Vorstöße, die das Problem effizienter an der Wurzel packen: So werden jungen Familien in vielen Provinzen günstigere Hauskredite angeboten, Steuervorteile gewährleistet und auch direkte Geldzahlungen ausgehändigt. Nur haben bislang auch diese Anreize keinerlei Wirkung gezeigt. Derzeit hat Peking noch ein paar Asse im Ärmel, um die Folgen des drohenden Arbeitskräftemangels für ein paar weitere Jahre hinauszuzögern. So könnte die Regierung das gesetzliche Rentenalter, welches mit 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer im internationalen Durchschnitt sehr niedrig liegt, deutlich anheben.
Allein aus politischen Gründen dürfte China kaum auf Migration setzen, um dem Bevölkerungsrückgang entgegenzuwirken. Stattdessen setzt die Regierung stark auf technologische Lösungen, allen voran Automatisierung und künstliche Intelligenz. In vielen Hotels und Restaurants in Peking bringen bereits jetzt schon Roboter die Getränke und Speisen zum Kunden, und in Shenzhen erprobt man Paketlieferungen per Drohne. Was derzeit noch als futuristische Spielerei zu verbuchen ist, wird schon bald notwendig sein, um den Mangel an Arbeitern auszugleichen.