Brüssel. Wegen eines angeblich „schmutzigen Deals“ mit EU-Geldern für Ungarn macht das EU-Parlament Druck gegen die Kommissionspräsidentin.
Fünf Monate vor der Europawahl eskaliert ein ungewöhnlicher Konflikt zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem EU-Parlament: Die Abgeordneten beschlossen am Donnerstag, eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die Kommission vorzubereiten. Parlamentarier auch aus Deutschland werfen von der Leyen vor, sie habe sich von Ungarns Premierminister Viktor Orbán zu einem „schmutzigen Deal“ erpressen lassen, sogar ein Misstrauensantrag wird diskutiert.
In dem Konflikt geht es um die umstrittene Freigabe von 10,2 Milliarden Euro EU-Geldern für Ungarn durch die Brüsseler Kommission. Die Mittel waren bislang eingefroren, weil die ungarische Regierung rechtsstaatliche Standards der Union verletzt haben soll: Sie tue zu wenig gegen Korruption und untergrabe Grundwerte der Europäischen Union. Insgesamt sind wegen Eingriffen in die Unabhängigkeit der Justiz über 30 Milliarden Euro für Ungarn aus der Gemeinschaftskasse gesperrt. Doch von der Leyens Behörde hatte nur einen Tag vor dem EU-Gipfel Mitte Dezember rund zehn Milliarden davon freigegeben.
Ein freundliches Signal an Orbán just vor jenem Treffen der Regierungschefs, zu dem der Budapester Premier sein Veto gegen die europäischen Ukraine-Hilfen und gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der angedroht hatte. Tatsächlich ermöglichte Orbán dann in nächtlicher Runde einen Beschluss zum Start der von ihm abgelehnten Beitrittsverhandlungen, indem er vor der Abstimmung den Sitzungssaal verließ.
FDP klagt: Von der Leyen hat Rechtsstaatlichkeit verscherbelt
EU-Parlamentarier sehen eine enge Verbindung zu der Geldzahlung und dem Abstimmungstrick. Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sagte am Donnerstag: „Ursula von der Leyen hat die Rechtsstaatlichkeit in der EU wie in einem Winterschlussverkauf verscherbelt.“ Dafür bringe das Parlament die EU-Kommission auf die Anklagebank vor dem EuGH. „Mit ihrer wiederholt gescheiterten Appeasementpolitik unterstützt von der Leyen den Putinjünger Orbán finanziell“, meinte Körner.
Mit dem Parlamentsbeschluss werden zunächst als Vorbereitung einer Klage der Rechtsausschuss und der juristische Dienst zur Prüfung der Mittelvergabe aufgefordert. Sollten sich wie vermutet Hinweise auf Verstöße gegen EU-Recht finden, soll der Fall vor den EuGH gebracht werden. Zugleich soll der Europäische Rat das Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit vorantreiben, das im Entzug des Stimmrechts für Ungarn enden könnte. Brisant ist die Entscheidung, weil den Beschluss auch Abgeordnete aus von der Leyens Parteienfamilie EVP mitgetragen hatten, neben jenen von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken. Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier sagte, es sei angesichts von Orbáns „Doppelmoral“ richtig, die Entscheidung zur Freigabe der Gelder ins Visier zu nehmen. Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) sagte: „Viktor Orbán hat die angemahnten Reformen für Rechtsstaat und Demokratie nicht geliefert, also dürfen keine EU-Gelder freigegeben werden.“
Die Brüsseler Behörde hatte den Schritt damit begründet, dass Budapest die erforderlichen Voraussetzungen dafür erfüllt hat. Von der Leyen verwies den Schritt am Mittwoch auf die Verabschiedung eines ungarischen Gesetzes für die Unabhängigkeit der Justiz. „Das ist, was wir gefordert haben, und das ist, was Ungarn geliefert hat“, sagte sie. Der FDP-Abgeordnete Körner drohte indes: „Sollte von der Leyen mit dem Geldverschenken an Orbán weitermachen, wird die liberale Fraktion ihr Stimmgewicht nutzen und einen Misstrauensantrag gegen von der Leyen einbringen.“