Berlin. China will den kleinen Nachbarn Taiwan zurück. Doch was, wenn Pekings Favorit verliert? Die Abstimmung birgt Risiken – auch für Europa.
Am Strand der kleinen taiwanesischen Insel Kinmen zeigen die dicht gesäten Landungssperren seit Jahren trotzig Richtung China. Es ist nicht weit bis zum Festland, die Hochhäuser der Volksrepublik sind gut erkennbar. An dieser Stelle trennen Taiwan und China nur wenige Kilometer. Käme es zu einem Krieg – wäre dort die erste Frontlinie.
Im vergangenen Jahr hat Peking besonders oft die Muskeln spielen lassen. Immer wieder übt die Volksrepublik Landemanöver seiner Streitkräfte, dringen chinesische Kampfflugzeuge in den taiwanesischen Luftraum ein, nähern sich Kriegsschiffe der Küste Taiwans.
China will Wiedervereinigung mit Taiwan
Die Führung in Peking betrachtet Taiwan als einen Teil von China und kündigt die Wiedervereinigung mit dem „Mutterland“ offensiv an, sie sei „historisch unvermeidbar“, sagte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in seiner Neujahrsansprache. Notfalls auch mit Gewalt, heiß es. Käme es zu einer militärischen Auseinandersetzung, hat US-Präsident Jo Biden Taiwan Beistand versprochen, was die Spannungen zwischen den Weltmächten weiter verschärft.
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In dieser angespannten Lage wählt Taiwan am Samstag, 13. Januar, einen neuen Präsidenten. Die kommunistische Führung in Peking spricht von einer Schicksalswahl und nennt William Lai, den in Umfragen führenden Kandidaten der Regierungspartei DPP, einen „Zerstörer des Friedens“.
Käme es zu einem Krieg, scheint eine direkte Konfrontation zwischen China und den USA unausweichlich. Es wäre ein Alptraum für die Menschheit – und auch Deutschland und Europa würden die Auswirkungen spüren, viel stärker als beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Scholz: Halbleiter sind „das Erdöl des 21. Jahrhunderts“
Zwischen China und Taiwan verläuft nicht nur eine der wichtigsten Handelsrouten, die nahezu jedes zweite Containerschiff auf den Weltmeeren passieren muss. Taiwan ist zudem Zentrum der weltweiten Produktion von Halbleitern. Nach vorsichtigen Schätzungen kommen etwa 60 Prozent der Mikrochips, ohne die Elektrogeräte nicht funktionieren, aus Taiwan.
Weltmarktführer TSMC produziert davon allein mehr als 50 Prozent und hat bei den neuesten Chip-Varianten sogar einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent. Die Welt hängt am Chip-Tropf von Taiwan. Ein Krieg würde Lieferketten unterbrechen, Halbleiter-Fabriken lahmlegen. Smartphones, Autos – nichts geht ohne Mikrochips made in Taiwan.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Halbleiter „das Erdöl des 21. Jahrhunderts“. Und wie beim Öl sind Deutschland und Europa abhängig von anderen Ländern. Der Mangel an Mikrochips bleibt in Deutschland ein gravierendes Problem. Nach einer Umfrage des IT-Branchenverbandes Bitkom vom Oktober 2023 hatten neun von zehn Unternehmen, die in diesem Jahr Halbleiter-Bauteile oder -Komponenten gekauft haben, haben Schwierigkeiten bei der Beschaffung.
Taiwan produziert Halbleiter – die Basistechnologie der digitalen Wirtschaft
„Ohne Chips geht in der deutschen Wirtschaft nichts. Halbleiter sind die Basistechnologie der digitalen Wirtschaft“, kommentierte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst die Umfrage: „Deutschland und Europa müssen einseitige Abhängigkeiten bei Halbleitern beenden“.
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Und damit sind sie spät dran. Mit viel Geld wird TSMC animiert, Werke im Ausland zu bauen – unter anderem in Deutschland. Wie bei Intel in Magdeburg oder Wolfspeed im Saarland subventioniert der Steuerzahler auch die neue Fabrik in Dresden mit etwa fünf Milliarden Euro. Die Ansiedlung in Sachsen passt zur „De-Risking“-Politik der Ampel-Regierung, die versucht, gefährliche Abhängigkeiten von anderen Staaten zu reduzieren.
Taiwan: Krieg würde alles andere in den Schatten stellen
Die Finanzagentur Bloomberg schätzt die Kosten eines möglichen Krieges auf rund zehn Billionen US-Dollar oder zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Das würde die Folgen der Corona-Pandemie, der globalen Finanzkrise und des Ukraine-Kriegs bei weitem übertreffen. Die 23 Millionen Wählerinnen und Wähler in Taiwan entscheiden deshalb nicht nur über einen neuen Präsidenten, sondern auch darüber, ob die Spannungen in der Region und zwischen den Supermächten China und USA weiter steigen.
Der Führung in Peking ist vor allem Umfragefavorit William Lai ein Dorn im Auge. Dabei unterscheiden sich die drei Kandidaten kaum in ihrer Haltung zu China. Alle sprechen sich für die Beibehaltung des Status quo Taiwans aus. Doch die Führung in Peking liebäugelt mit Hou Yu-ih, dem Spitzenkandidaten der oppositionellen Nationalen Volkspartei KMT, die als chinafreundlich gilt. „Mit der DPP gibt es keinen Dialog mehr zwischen China und Taiwan“, mahnt er.
Hou Yu-ih kritisiert die DPP, weil sie jede Kommunikation mit Peking abgebrochen hat. Er will die Gespräche wieder aufnehmen und die Wirtschaftsbeziehungen vertiefen. Doch er liegt hinter Lai und daran dürfte Peking wenig Freude haben. Der dritte Kandidat Ko Wen-je von der jungen Taiwanesischen Volkspartei TPP erhält nach den jüngsten Umfragen knapp 20 Prozent Unterstützung und wäre damit praktisch aus dem Rennen. In Taiwan reicht bei den Wahlen eine einfache Mehrheit in der ersten Runde.