Berlin. Von Heizungsgesetz bis Haushaltskrise: Im Jahr 2023 geriet die Regierung schwer aus dem Tritt. Ein Rückblick in sechs Kapiteln.
Mit Mühe und Not haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Regierung in die Feiertage gerettet. Am Ende des Jahres blickt das Ampel-Bündnis auf zwölf zehrende Monate zurück, voller Krisen und Krach, geprägt von wenigen Aufs und vielen Abs. Ein Rückblick in sechs Kapiteln.
Kapitel 1: Das Heizungsgesetz
Das Ampel-Bündnis hatte in seinem Koalitionsvertrag vereinbart, dass künftig alle neuen Heizungen zu zwei Dritteln mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. Für Furore sorgten die Pläne aber erst, als sie im Ministerium von Wirtschaftsminister Robert Habeck konkreter wurden. Die ersten Entwürfe des Heizungsgesetzes waren weit von der Lebenswirklichkeit im Land entfernt – und wurden zum großen Ärger von Habeck verfrüht öffentlich. Eigentlich, so stellte es der Grüne schwer genervt im März in einem TV-Interview dar, seien die Details bisher nur einem ganz engen Kreis in der Koalition bekannt.
Der Gesetzentwurf sei bewusst an die „Bild“-Zeitung gegeben worden, „um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden“, klagte Habeck. Die Gespräche in der Koalition seien für den „billigen taktischen Vorteil“ zerstört worden. Der Ausbruch im Abendfernsehen zeigte: Es knirschte gewaltig in der Koalition. Noch schlimmer war jedoch, wie sehr die Ampel mit dem schlecht kommunizierten, zwischen SPD, FDP und Grünen heftig umstrittenen und immer wieder überarbeiteten Vorhaben Vertrauen in der Bevölkerung verspielte. Als katastrophal beschrieben Abgeordnete die Stimmung in ihren Wahlkreisen.
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Kapitel 2: Der Marathon-Koalitionsausschuss
Einen anderen politischen Stil wollte die Ampel einführen. Keine Profilierung auf Kosten der Partner. Dieser gute Vorsatz war längst gescheitert – siehe Habecks Vorwürfe wegen des frühen Bekanntwerdens seiner Heizungspläne. Ein anderes Versprechen lautete: keine Nachtsitzungen. Sie wollten Politik seriös verhandeln, Entscheidungen sollten nicht Ergebnis zermürbender Dauergespräche zu nächtlicher Stunde sein. Dieses Vorhaben warfen die Koalitionäre Ende März über Bord: Mehr als 30 Stunden saßen die Ampel-Partner von Sonntagabend bis Dienstagabend zusammen, um Vereinbarungen zu Klimaschutz- und Verkehrsvorhaben zu treffen.
Kapitel 3: Der Absturz in den Umfragen
Im Juni überholte die AfD erstmals die SPD im Deutschlandtrend. In seiner Sommerpressekonferenz erklärte Kanzler Scholz im Folgemonat noch seine Zuversicht, die AfD werde bei der nächsten Bundestagswahl wohl in etwa so abschneiden wie bei der letzten. Also bei gut zehn Prozent. Inzwischen liegt die SPD im Deutschlandtrend von Anfang Dezember mit 14 Prozent hinter den Grünen (15 Prozent), die FDP sogar nur bei vier Prozent. Die AfD kommt auf einen Zuspruch von 21 Prozent. Es sind verheerende Werte für eine Regierungskoalition. Mit Scholz ist nur noch ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler zufrieden. Das ist der niedrigste Wert eines Kanzlers in dem seit 1997 erhobenen Deutschlandtrend. Umfragen sind keine Wahlergebnisse, heißt es in der Politik. Schockiert waren die Koalitionäre allerdings, als die AfD bei der hessischen Landtagswahl im Oktober zweitstärkste Kraft wird.
Kapitel 4: Heizungsgesetz II
Nach wochenlangem Hin und Her einigte sich die Koalition kurz vor der parlamentarischen Sommerpause auf die letzten Details des Heizungsgesetzes. Schnell will das Ampel-Bündnis das Gesetz im Eildurchlauf beraten und sich dann in der Sommerpause erholen – auch voneinander. Doch der Union geht das zu fix: Die umfangreichen Änderungen an dem weitgehenden Gesetz ließen sich in der Kürze der Zeit nicht prüfen, klagte ein CDU-Abgeordneter und erhielt Recht vom Bundesverfassungsgericht. Die Koalition muss die finale Abstimmung bis nach der Sommerpause verschieben. Für die Ampel und ihre Arbeitsweise ist das eine schallende Ohrfeige. Noch ahnte kaum jemand, in welch ein Chaos die Richter aus Karlsruhe die Regierung noch stürzen sollten.
Kapitel 5: Der Streit um die Kindergrundsicherung
Nach der Sommerpause sollte alles besser werden in der Koalition, aber der gute Vorsatz hielt nur wenige Tage: Im Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung hielt Familienministerin Lisa Paus (Grüne) im Kabinett ein Gesetzesprojekt von Finanzminister Christian Linder auf, mit dem der FDP-Chef deutsche Unternehmen entlasten wollte. Vizekanzler Habeck hatte allerdings grünes Licht für die Verabschiedung gegeben. Bei den Koalitionspartnern kam die Frage auf: Reden die Grünen miteinander? Und hören sie noch auf Habeck? Es verfestigt sich der Eindruck, dass Scholz an der Spitze einer Hühnerhaufen-Koalition steht.
Kapitel 6: Die Haushaltskrise
Im November erreicht die Koalition schließlich ihren bisherigen Tiefpunkt. Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Finanzpolitik der Ampel für verfassungswidrig. Das Bündnis hatte Kredite aus früheren Jahren übertragen, um mit diesem Trick auf dem Papier die Schuldenbremse wieder einzuhalten. So wollte die Koalition wichtige Vorhaben zum Klimaschutz und zum Umbau der Wirtschaft finanzieren. Der Richterspruch entzieht diesen Plänen die Grundlage. Die Regierung steht vor einem Milliardenloch. Vier Wochen benötigen Scholz, Habeck und Lindner, um die Staatsfinanzen zu ordnen. Das Durcheinander kratzt schwer an der Glaubwürdigkeit der Regierung und an dem Image von Scholz, dass der Kanzler zwar kein großer Politik-Erklärer, aber ein einzigartiger Fachmann in der Regierungsarbeit sei.
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