Berlin/Warschau. Der Machtwechsel in Polen ist ein Sieg für die Demokratie. Was Tusk bevorsteht, was Europa erwartet und was Kanzler Scholz tun muss.
Die Polen haben lange warten müssen auf ihre neue Regierung. Acht Wochen lang hat sich die rechtsnationale PiS-Partei mit allen Tricks an die Macht geklammert, sogar ein neues Kabinett wurde noch vereidigt, obwohl es ohne Parlamentsmehrheit chancenlos war. Jetzt ist dieses lächerliche Schauspiel endlich vorbei: Das Parlament hat den liberalkonservativen Donald Tusk als neuen Premier bestätigt. Sein Kabinett der neuen Bürgerkoalition steht in den Startlöchern. Polen kann aufatmen – und Europa auch.
Der Machtwechsel ist ein Sieg für die Demokratie: Der Abbau des Rechtsstaats in Polen, die Einschränkung der Medienfreiheit, die Diskriminierung von Minderheiten ist noch rechtzeitig gestoppt, bevor die PiS in einer dritten Amtszeit irreparablen Schaden anrichten konnte. Der europafeindliche Destruktions- und Blockadekurs in der EU ist vorbei, womit der ungarische Rechtspopulist Viktor Orban seinen wichtigsten Verbündeten verliert – auch das eine gute Nachricht.
Machtwechsel in Polen: Tusk muss Verhältnis zur Ukraine kitten
Der 66-jährige Tusk steht für eine umfassende Neuausrichtung der polnischen Innen- und Europapolitik. Wenn der Regierungschef jetzt verspricht, auf Polen könne sich das vereinte Europa verlassen, ist das keine hohle Formel: Er war ja nicht nur schon mal Premier, sondern zwischendurch in Brüssel Präsident des Europäischen Rates. Die Erfahrung wird er brauchen: Auf dem Weg des Neuanfangs lauern zahlreiche Hindernisse und Fallen. Im Innern dürfte es dauern, bis nach der spalterischen Politik der PiS gesellschaftlicher Frieden einkehrt; auch in der Opposition werden die Rechtsnationalen ihre Polarisierungs-Versuche fortsetzen.
Präsident Duda, auch er ein PiS-Mann, wird bald auf die Veto-Bremse treten, um die politischen Reparaturarbeiten zu behindern. Die Rechtsaußen-Partei hat ihre Getreuen nicht nur in der Justiz installiert, sondern auch an vielen Stellen des Staatsapparates. Nach außen wird Tusk als Erstes das Verhältnis zur kitten müssen; die Verstimmungen zwischen den ursprünglich eng verbündeten Regierungen hatte die PiS im Wahlkampf zielstrebig angefacht. Es gilt zugleich, zügig einen Berg von Rechtsstreitigkeiten mit der EU abzubauen, die Polen jetzt mit dem Ausbleiben von Fördermitteln bezahlt.
Neues europäisches Führungs-Trio wäre Segen für die EU
Gelingt hier schnell die Wende, hat Tusk die Chance, Polen endlich jene bedeutendere Rolle in der EU zu verschaffen, die seinem Gewicht als großes und wirtschaftsstarkes Unions-Mitglied entspricht. Die PiS-Regierung hat dabei versagt, die Ostdrift des vereinten Europas in mehr Einfluss Polens umzumünzen. Wenn die Regierung in Warschau jetzt Teil eines neuen europäischen Führungs-Trios zusammen mit Berlin und Paris würde, wäre das ein Segen für die Union.
Tusk wird damit freilich nicht zum durchweg bequemen Partner in der EU. Auch er wird etwa Polens unsolidarischen Sonderkurs in der Migrationspolitik fortsetzen. Aber er dürfte bei allen Interessenunterschieden die europäischen Spielregeln einhalten. Darauf kommt es an. Damit sich das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau entspannt, wird der Premier indes auch die irrwitzigen Reparationsforderungen an Deutschland zurücknehmen müssen – was Berlin nicht von der Pflicht befreit, mit eigenen Initiativen die moralische Verantwortung Deutschlands für die Weltkriegsverbrechen in Polen zu bekräftigen. Die Bundesregierung muss auch sonst zügig ihre Zurückhaltung aufgeben und aktiv werden: Kanzler Olaf Scholz sollte dem wichtigen Nachbarn im Osten schnell die Hand reichen für einen Neustart der Beziehungen.
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