Moskau. Für Russen, die in den baltischen Staaten leben, werden die Zeiten rauer. Russlands Präsident passt das nicht. Er schaltet auf Angriff.

Vor dem von ihm selbst eingesetzten russischen „Menschenrechtsrat“ findet Präsident Wladimir Putin markige Worte: „Wenn Lettland die Bevölkerung, die dort leben will, weiterhin wie Schweine behandelt, werden diese Behörden bald mit Vergeltungsmaßnahmen konfrontiert sein“, erklärt er. „Ich glaube nicht, dass das Glück in die Häuser derjenigen kommen wird, die eine solche Politik verfolgen.“

Ist das quasi eine Kriegserklärung, wie viele Medien spekulieren? Droht womöglich eine Invasion ins Baltikum? Wohl kaum. Dass sich Russland auf einen Krieg mit der Nato einlassen will, ist kaum denkbar. In Wirklichkeit geht es um ein altes Problem, entstanden nach dem Zerfall der Sowjetunion.

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Lettland war Teil des Riesenreiches, Letten und Russen lebten damals zusammen. Dann kam das Ende der Sowjetunion:

  • Im August 1989 demonstrierten Millionen Esten, Letten und Litauer mit einer Menschenkette quer durchs Baltikum für ihre Unabhängigkeit.
  • Am 4. Mai 1990 dann wurde die Sowjetrepublik Lettland zu einem unabhängigen Staat.

Jeder vierte Einwohner Lettlands ist heute russischer Herkunft. In ihrer Heimat sind sie Staatsbürger zweiter Klasse, offiziell werden sie „Nichtbürger“ genannt – mit weniger Rechten als der lettische Bevölkerungsanteil. Wählen zum Beispiel dürfen die Russen in Lettland nicht.

Russen in Lettland: Sprachnachweis oder Ausweisung

Genau dies hatte Putin vor dem sogenannten Menschenrechtsrat mit scharfen Worten kritisiert. Nun droht den Russen in Lettland eine Gesetzesverschärfung. Russische „Nichtbürger“ müssen einen Sprachtest machen und alltagstaugliche Lettisch-Kenntnisse nachweisen. Wer den Test nicht besteht, dem droht der Entzug der Aufenthaltserlaubnis. Betroffen davon sind gut 20.000 Menschen. Die Frist zur Prüfung endete am 1. September – danach konnten diejenigen, die durchgefallen waren, eine zweijährige Aufenthaltsgenehmigung beantragen und den Test wiederholen. Wer nicht teilgenommen hatte, bekam einen Brief mit der Aufforderung, das Land zu verlassen.

Vor dem sogenannten Menschenrechtsrat äußerte Putin zwar Verständnis dafür, dass jedes Land von seinen Bewohnern Grundkenntnisse der Kultur und Sprache fordere. Der Status von „Nichtbürgern“ sei aber eine rechtliche Missgeburt, kritisierte er. Zu Staaten, die Russen diskriminieren, werde Moskau sein Verhältnis entsprechend gestalten. Das Land könnte Auslandsrussen unterstützen, in ihre historische Heimat zurückzukehren. „Wenn sie nicht gehen wollen, aber ausgewiesen werden, dann können wir daran nichts ändern, aber wir müssen entsprechende Bedingungen für diese Leute schaffen“, so der Kremlchef.

Durch die Aufstellung von vier Bataillonen soll die Ostflanke der Nato in Estland, Lettland, Litauen und Polen gestärkt werden. Deutschland stellt auf dem litauischen Militärstützpunkt Rukla den Kommandeur und derzeit etwa 850 Soldaten.
Durch die Aufstellung von vier Bataillonen soll die Ostflanke der Nato in Estland, Lettland, Litauen und Polen gestärkt werden. Deutschland stellt auf dem litauischen Militärstützpunkt Rukla den Kommandeur und derzeit etwa 850 Soldaten. © DPA Images | Soeren Stache

Entsprechend scharf fiel die Reaktion Lettlands aus. „Das ist Einschüchterungspolitik“, sagte der lettische Präsident Edgars Rinkevics der Zeitung „Neatkariga Rita Avize“. „Es ist ein gängiges Narrativ der russischen Propaganda in der letzten Zeit, dass alle ihre Staatsangehörigen oder diejenigen, die der ‚russischen Welt‘ angehören, brutal misshandelt werden. Tatsächlich handelt es um einen Versuch, alle Gräueltaten zu kaschieren, die Russland in der Ukraine begeht.“

Sonderweg: Einreiseverbot für Russen in baltische Länder

Politisch ist das Verhältnis zwischen den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen und Russland derzeit äußerst angespannt. Doch die meisten Russinnen und Russen, die im Baltikum leben, sind dort gut integriert. Nur wenige unterstützen etwa in Estland die ultrarechte, nationalistische Partei Ekre. Diese propagiert Homophobie, Euroskeptizismus sowie Widerwillen gegenüber ukrainischen Geflüchteten.

Für Ärger sorgt in Russland auch das Einreiseverbot für russische Staatsbürger. Die drei baltischen Staaten sowie Polen gehen hier einen Sonderweg, dem sich die restlichen EU-Länder nicht angeschlossen haben. Allgemein gilt: Im September 2022 setzte die EU das Abkommen zur erleichterten Visavergabe mit Russland außer Kraft. Visa gibt es noch, aber nur mit langer Bearbeitungsdauer und zu erhöhten Gebühren. In die baltischen Staaten und nach Polen dürfen russische Staatsbürger gar nicht mehr einreisen, auch nicht mit gültigen Visa. Ausnahmen gibt es für den Besuch enger Verwandter, für Diplomaten, für Studenten und für Menschen, die im jeweiligen Land eine Arbeitserlaubnis haben.

Verteidigungsminister Boris Pistorius versicherte den baltischen Staaten die Solidarität Deutschlands.
Verteidigungsminister Boris Pistorius versicherte den baltischen Staaten die Solidarität Deutschlands. © imago/Stefan Zeitz | imago/Stefan Zeitz

Pistorius verspricht den Balten den Beistand Deutschlands

Viel Ärger – doch ein Angriff Russlands auf die baltischen Staaten ist sehr unwahrscheinlich, darin sind sich viele Experten einig. Trotzdem hat VerteidigungsministerBoris Pistorius den baltischen Staaten die Solidarität und den Beistand Deutschlands versichert. „Wir stehen an eurer Seite. Deutschland ist bereit, eine führende militärische Rolle in den baltischen Staaten zu übernehmen“, sagte Pistorius im September bei einem Treffen mit seinem lettischen Amtskollegen Andris Spruds. „Eure Sicherheit ist unsere Sicherheit.“

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Deutschland halte sein Versprechen und trage zum Schutz von Estland, Lettland und Litauen bei. „Wir tragen Verantwortung, eine ganz besondere Verantwortung für diese Region“, betonte Pistorius. Spruds wiederum sagte, die Bedrohung durch Russland sei langfristig und sein Land nehme sie „sehr ernst“. „Wir schätzen den deutschen Beitrag zur regionalen Sicherheit sehr“, so Spruds.

Der lettische Minister verwies dabei auf die Führungsrolle der Bundeswehr beim Nato-Gefechtsverband im benachbarten Litauen, der sich positiv auch auf die Sicherheit der beiden anderen baltischen Staaten auswirke. Ausdrücklich verwiesen Pistorius und Spruds auf den deutschen Beitrag zur Luftraumüberwachung über dem Baltikum.