Paris. Nur die Freier bestrafen: So kämpft Frankreich gegen Prostitution. Die Wirkung ist umstritten, freiwillige Sexarbeiterinnen klagen.
Nein, als Escort-Girl oder Prostituierte will sie sich nicht bezeichnen lassen. Céline (43) winkt ab. „Schreiben Sie, dass ich eine Kurtisane bin oder besser noch: eine Löwin.“ „Lionnes“ (Löwinnen), so nannte man in der Belle Époque jene eleganten Frauen, die in sündhaft teuren Roben ihre Reize an rosengeschmückten Tischen der edelsten Pariser Restaurants ausstellten, um sich betuchte Liebhaber zu angeln.
Céline ist ein Künstlername. Der richtige bleibt verborgen. Sie trägt ein Chanel-Kostüm, legt Wert auf Diskretion und pflegt ihren Auftritt. Die frühere Direktionsassistentin wohnt gleich um die Ecke in einem vornehmen Pariser Viertel. Ein großes Appartement nennt sie dort ihr Eigen, in welchem sie auch ihre Freier empfängt. Handverlesene Herren, wie sie betont, zumeist wohlhabende Stammkunden.
Was Céline in Frankreich tut, ist legal – für sie persönlich. Doch nicht für ihre Kunden: Wer in Deutschlands Nachbarland die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nimmt und dabei ertappt wird, muss 1500 Euro Bußgeld zahlen, als Wiederholungstäter sogar 3750 Euro. Obendrein müssen Freier ein Seminar über die Gefahren der Prostitution besuchen. Das Gesetz gilt seit 2016. Eine ähnliche Regelung gibt es in Schweden schon seit 24 Jahren, und auch in Irland und Norwegen ist der Kauf von Sex verboten. Zugrunde liegt all diesen Gesetzen das sogenannte nordische Modell.
Prostitution in Frankreich: Sexkauf-Verbot soll Frauen schützen
Die „Löwin“ Céline ist sicherlich nicht repräsentativ für die 40.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern (zehn Prozent sind Männer) in Frankreich. Sie gehe, sagt sie, ihrem Gewerbe freiwillig nach, sei nicht von einem Zuhälter abhängig, sondern zu „100 Prozent selbständig“. Und sie verdiene so viel, dass sie ihr Schäfchen längst im Trockenen habe und aufhören könne, „bevor ich nicht mehr tageslichttauglich bin“.
Von dem sogenannten Sexkauf-Verbot sind ihre Kunden kaum betroffen – schon aufgrund der Diskretion. Prostituierte wie Céline stehen aber auch nicht im Fokus des Gesetzes, sondern die vielen Frauen, die von Gewalt, Zwang und Menschenhandel betroffen sind.
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Länder wie Frankreich und Schweden gelten für das EU-Parlament als Vorbild. In einem Beschluss sprechen sie die Abgeordneten einheitliche Regeln für Prostitution in den EU-Staaten – und zwar nach dem nordischen Modell. Deutschland geht bisher allerdings einen ganz anderen Weg: Seit seit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes im Jahr 2017 sind Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verpflichtet, sich registrieren zu lassen, um sie besser schützen zu können. Doch die Freier bleiben unbehelligt.
Zehntausende Prostituierte in Deutschland: Experten gehen von hoher Dunkelziffer aus
Offiziell liegt die Zahl der Prostituierten in Deutschland bei 28.000, doch Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer zwischen 200.000 und 400.000 aus. Nach einer Studie von Juni 2023 verfehlt das Prostituiertenschutzgesetz das Ziel, Sexarbeiterinnen zu schützen. Im Gegenteil: Bordellbetreiber, Sexindustrie und Freier würden gestärkt, heißt es in der Studie.
Die Autorinnen und Autoren halten die Gesetzgebung zu Prostitution in Deutschland für verfassungswidrig, da die geltenden Regelungen gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen würden. Sie sprechen sich für ein Sexkauf-Verbot aus. Politikerinnen wie Dorothée Bär (CSU) und auch die Frauenorganisation der SPD schließen sich dieser Forderung an.
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Doch ob die Bestrafung der Freier zu einem besseren Schutz der Prostituierten führt, ist in Frankreich umstritten. Dabei kämpft das Land schon lange gegen die kriminellen Auswüchse der Prostitution. Bereits 1946 sind in Frankreich die Bordelle verboten worden – doch daraufhin entstand der Straßenstrich. 2003 versuchte die französische Regierung dann, die Prostitution in den einschlägigen Rotlichtbezirken einzuschränken und erließ ein Verbot der „Raccolage“. Gemeint ist damit der aktive Kundenfang. Fortan durften Sexarbeiterinnen auf der Straße stehen, aber potenzielle Kunden nicht mehr ansprechen.
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Frankreich kämpft gegen die Prostitution: Der Straßenstrich in Pigalle existiert nicht mehr
Doch erst das im Jahr 2016 eingeführte Sexkauf-Verbot machte dem Straßenstrich tatsächlich den Garaus, etwa in Pigalle oder rund um die Rue Saint-Denis – zumindest, was das Straßenbild betrifft. Die Prostitution verlagerte sich ins Internet und in die Hinterzimmer.
Eben dies wurde schon vor Einführung des Gesetzes befürchtet – und so dauerte das parlamentarische Tauziehen um den bereits 2013 vorgelegten Gesetzesentwurf satte 28 Monate. Zwar fand die Absicht, Zuhälterei und Menschenhandel einen Riegel vorzuschieben, von Beginn an große Zustimmung. Für hitzige Debatten sorgte jedoch die Überzeugung der damaligen Frauenrechtsministerin Najat Vallaud-Belkacem, dass Sexarbeiter ausnahmslos Opfer sind, die durch das Gesetz geschützt werden müssten.
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Vor allem viele Prostituierte selbst liefen von Anfang an Sturm gegen das Sexkauf-Verbot. Ihr Gewerbe werde in die Illegalität gedrängt, erklärte eine Sprecherin der Gewerkschaft „Strass“. Es scheuche Sexarbeiterinnen in die „dunkelsten Ecken des Landes“, wo sie gewalttätigen Kunden, Zuhältern oder korrupten Polizisten stärker ausgeliefert seien als zuvor.
Tatsache ist: Bis heute sind rund 12.500 Freier abgestraft worden. Die Lage der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter hat sich nicht verbessert, das geben auch die Befürworter des Gesetzes zu. Grund genug für die Gewerkschaft Strass sowie rund 20 weitere Berufsverbände und 265 Prostituierte, vor den Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof (EGMR) zu ziehen. Der Gerichtshof hat die Klage für zulässig erklärt. Eine Entscheidung steht aber noch aus.