Berlin. Mit dem Ex-US-Außenminister ist eine Legende und ein Freund der Deutschen gestorben. Was würde er anders als Annalena Baerbock machen?
Wie würde Henry Kissinger über die aktuelle Politik in Deutschland urteilen? Wir werden es nie erfahren, der letzte geplante Deutschlandbesuch war dem Hundertjährigen nicht mehr möglich. Aber vielleicht hätte er lächelnd eine alte, typische Kissinger-Weisheit wiederholt: „Es liegt an neunzig Prozent der Politiker, dass die anderen zehn Prozent einen schlechten Ruf haben“.
Kissinger zählte sich zu diesen zehn Prozent und die Mächtigen um ihn herum schätzten seine Klugheit. Zweimal Außenminister, offizieller oder inoffizieller Berater von zehn Präsidenten, Analyst und Buchautor bis ins hohe Alter. Nur seine deutsche Herkunft verhinderte den Einzug ins Weiße Haus. Kissingers politisches Werk ist beispiellos. Und die Auseinandersetzung mit seiner Politik ist äußerst lehrreich.
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Säße Kissinger heute im Auswärtigen Amt, würde er die weltpolitische Multikrise und ihre Folgen auf Deutschland zerlegen und begutachten, gemäß seinem Motto, „Probleme muss man kondensieren, wenn man sie lösen will. Erst der Extrakt ist überschaubar.“
Kissinger: Zu Deutschland hegte er ganz besondere Gefühle
Kissingers Politik war immer derart pragmatisch. Die Welt funktionierte in seinen Augen, wenn ihre wichtigsten Bestandteile funktionieren. Zuallererst natürlich Amerika, dann Europa, China, Russland. Kissingers Politik hatte nicht den Anspruch, Werte in andere Systeme zu exportieren. Mit einer feministischen, werteorientierten Außenpolitik hätte er wenig anfangen können. Das weiß auch Annalena Baerbock – und daher fiel der Abschiedsgruß der deutschen Außenministerin auch ziemlich unterkühlt aus.
Für Kommunisten hatte Kissinger nur Spott und als Außenminister gegen Laos und Kambodscha viele Bomben übrig. Für Deutschland hegte er ganz besondere Gefühle – im Guten wie im Schlechten. Als Fünfzehnjähriger floh der Jude Heinz Alfred Kissinger schikaniert vor den Nazis aus Fürth. Er kehrte als GI Henry zurück und befreite das KZ Hannover Ahlem. Das macht es so besonders, dass er mit seinem Geburtsland Frieden schloss und sich für die Freundschaft zwischen den USA und Deutschland außergewöhnlich einsetzte, wie der Kanzler in seiner Beileidsbekundung zu Recht betont.
Kissingers wichtigstes Vermächtnis ist die Aufforderung an Europa, endlich erwachsen zu werden, formuliert in seiner typischen Ironie: „Ihr Europäer müsst schon verstehen, dass, wenn es in Europa zu einem Konflikt kommt, wir Amerikaner natürlich keineswegs beabsichtigen, mit euch zu sterben.“
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