Berlin. Die EU will europaweit regelmäßige Führerschein-Checks für Senioren einführen. Das Vorhaben ist ziemlich unbeliebt. Ein Pro und Contra.
Die EU-Kommission will die Zahl der Verkehrstoten in Europa bis zum Jahr 2050 auf null senken. Geplant ist ein Gesetz, das Menschen über 70 Jahre dazu verpflichtet, ihre Fahrtauglichkeit in regelmäßigen Abständen überprüfen zu lassen. Die deutsche Politik lehnt dieses Vorhaben bislang ab. Ist das vertretbar? Auch in unserer Redaktion gibt es zwei Standpunkte.
Pro: Es geht um die Sicherheit aller
Einmal mit 18 gemacht und mit 80 immer noch damit unterwegs: Ein deutscher Führerschein gilt ein Leben lang. Das ist ein Fehler. Und das sieht auch die EU so. Sie will Senioren ab 70 gesetzlich verpflichten, ihre Tauglichkeit alle fünf Jahre mit einem Test nachzuweisen.
Im Gegensatz zu Verkehrsminister Volker Wissing, der die Verantwortung lieber auf Angehörige abwälzen will: Personen, denen die Objektivität fehlt. Doch ihnen aufzuerlegen, ihre Verwandten zu überwachen und im Zweifelsfall zu überzeugen, den Führerschein abzugeben, ist nicht fair. Den eigenen Eltern beispielsweise zu verbieten, weiter mit dem Auto zu fahren, weil sie nicht mehr sicher unterwegs sind, kann zu Streit führen und die Beziehung belasten. Oder ihnen fehlt einfach komplett die Einsicht. Viele Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, was sie zu tun haben. Bei dem Gesetz von staatlicher Bevormundung zu sprechen und sie dann durch eine private zu ersetzen, ist der falsche Ansatz.
Außerdem steigt im Alter das Risiko für Unfälle: Reaktionszeit und Sehkraft nehmen ab, Vorerkrankungen und Medikamente schränken die Konzentration zusätzlich ein. Auch wenn sich aus Statistiken ablesen lässt, dass über 70-Jährige nicht signifikant häufiger in schwere Unfälle verwickelt sind, lässt sich auch ablesen, dass Senioren, die an Unfällen beteiligt sind, meistens die Hauptverursacher sind. Mit den geforderten Prüfungen könnten diese Unfälle verhindert werden. Auch wenn viele Senioren fürchten, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, müssen andere Verkehrsteilnehmer geschützt werden. Und solange ältere Menschen den Test bestehen, behalten sie ja auch ihren Führerschein.
Doch bei über 75-Jährigen steigen die Unsicherheit und das Unfallrisiko extrem an: Es liegt gleichauf mit dem von 18- bis 20-Jährigen und damit dreimal so hoch wie das von anderen Altersgruppen. Das zeigen Unfallstatistiken der deutschen Versicherer, in denen Unfälle in Bezug zur gefahrenen Strecke ausgewertet werden. Aber während Fahranfänger durch ihre Probezeit mit härteren Konsequenzen rechnen müssen, ist das bei den Senioren nicht der Fall. Es ist an der Zeit, das zu ändern.
Contra: Eine Debatte, die an den Fakten vorbeigeht
Wollten wir uns nicht auf das Alter freuen? Wir haben es geschafft: hart gearbeitet, Kinder großgezogen. Endlich Rente, endlich die verdiente neue Freiheit. Und dann werden diejenigen, die ein pralles Leben mit Höhen und Tiefen gemeistert haben, plötzlich hingestellt wie Verlierer, denen man nichts mehr zutraut: Fahrtauglichkeitsprüfung für Senioren. Hallo, liebe Leute. Geht’s noch?
Bevor jetzt der große Aufschrei kommt, man könne doch nicht wirklich wollen, dass Greise, die kaum noch was sehen oder hören, mit ihrem SUV durch die Gegend fahren und ihre Umwelt gefährden: Stopp! Das ist stark verkürzt, um es einmal freundlich zu formulieren. Denn die Realität ist eine andere.
Statt sich in eine irrationale Debatte verstricken zu lassen, hilft ein Blick auf die Fakten: Es sind nämlich nicht die sogenannten Senioren, die die Verkehrsunfälle mit furchtbaren Folgen verursachen, sondern Männer im Alter zwischen 25 und 35 Jahren. Laut dem Statistischen Bundesamt haben 2021 Menschen ab 65 Jahren 17,4 Prozent der Unfälle mit Personenschaden verschuldet. Das sind weniger Unfälle, als ihrem Bevölkerungsanteil von rund 22 Prozent entspricht. Wo also ist das Problem? Ist denn immer noch nicht klar, dass Senioren heute so fit und gesund sind wie noch nie zuvor? Und vor allem verantwortungsbewusst.
Man muss sich doch nur einmal umhören im Freundeskreis und man wird erfahren: Menschen im höheren Alter achten auf ihre Sinne. Sie gehen von ganz allein zum Augenarzt. Ihnen muss man das nicht vorschreiben.
Viele Unfälle im Straßenverkehr passieren durch überhöhte Geschwindigkeit. Doch genau hier sind die Älteren raus. Viele sagen, dass sie auf der Autobahn nicht mehr als 120 km/h fahren. Weil es ihnen sicherer erscheint. Ganz zu schweigen von denen, die aus Überzeugung Fahrtrainings absolvieren. Freiwillig wohlgemerkt! Und damit der Jugend zeigen, wie man mehr Sicherheit im Straßenverkehr schafft.
Bloß keine Bevormundung also. Die Generation der Älteren kann nämlich eins ganz ausgezeichnet: Verantwortung übernehmen.
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