Madrid. Spaniens Ministerpräsident hat seine Wiederwahl teuer erkauft. Die Opposition tobt und schickt ihre Anhänger auf die Barrikaden.
Spaniens alter und neuer Premier Pedro Sánchez steht vor bewegten Zeiten. Der Sozialdemokrat wurde am Donnerstag vom Parlament für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Doch seine Wiederwahl wird überschattet von Massenprotesten, wie sie das Land lange nicht gesehen hat. Warum? Weil Sánchez sich die parlamentarische Unterstützung der katalanischen Separatisten mit einer Amnestie für die Unabhängigkeitsaktivisten gesichert hat. Die Opposition aus konservativer Volkspartei und der rechten Bewegung Vox tobt und schickt ihre Anhänger auf die Barrikaden.
Seit Tagen kommt es zu Straßenschlachten, bei denen Rechtsradikale mit Faschistengrüßen, Gewalt und rassistischen Parolen für hässliche Bilder sorgen. Jeden Abend ziehen Tausende Menschen zum Hauptquartier von Sánchez‘ sozialdemokratisch orientierter Sozialistischer Arbeiterpartei in Madrid. „Pedro Sánchez ist ein Hurensohn“, skandieren sie. Oder: „Sánchez ins Gefängnis.“ Es beginnt stets friedlich – bis vermummte Jugendliche, die sich mit erhobenem rechtem Arm als Neonazis zu erkennen geben, Steine auf Polizisten und Journalisten werfen.
Sánchez‘ Wiederwahl gilt als gesichert
Der Chef der konservativen Volkspartei, Alberto Núñez Feijóo, nennt den Amnestiepakt zwischen Sánchez und den Separatisten „eine Schande“. Eigentlich hatte Feijóo die nationale Parlamentswahl im Juli knapp gewonnen – aber es war ein Scheinsieg. Denn anschließend scheiterten die Konservativen mit dem Versuch, zusammen mit der Rechtspartei Vox eine tragfähige Regierung zu bilden. Deswegen bekam der Sozialdemokrat Sánchez, der in Spanien seit fünf Jahren regiert, seine Chance. Sánchez schaffte es, im Parlament eine Mehrheit hinter sich zu scharen. Am Donnerstag wurde er mit 179 Ja- und 171 Gegenstimmen - und damit mit absoluter Mehrheit - wiedergewählt.
Den Ausschlag für Sánchez‘ Mehrheit geben die sieben Stimmen der katalanischen Unabhängigkeitspartei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien), in welcher der 2017 nach Brüssel geflüchtete Separatistenchef Carles Puigdemont bis heute die Fäden zieht. Als Gegenleistung stimmte Sánchez einer Generalamnestie für all jene katalanischen Separatisten zu, die in den vergangenen zehn Jahren durch ihre Unabhängigkeitsaktivitäten mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Neben Puigdemont werden rund 300 Aktivisten vom Straferlass profitieren.
Carles Puigdemont kann wieder in seine Heimat zurückkehren
Den Höhepunkt des Unabhängigkeitskonfliktes in Katalonien erlebte Spanien im Herbst 2017. Damals hatten der frühere Katalonien-Präsident Puigdemont und seine Mitstreiter ein verfassungswidriges Abspaltungsreferendum organisiert. Am Abstimmungstag kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Wahlurnen beschlagnahmte und mit Knüppeln gegen Aktivisten vorging. Puigdemont floh daraufhin ins Ausland. Ihm drohte bisher in Spanien die Festnahme – doch mit Inkrafttreten der Amnestie kann er wieder in seine Heimat zurückkehren.
Die Amnestie „für die politische und soziale Normalisierung in Katalonien“, wie es im Gesetzestext heißt, wird von einer absoluten Mehrheit im spanischen Parlament mitgetragen. Von jener Mehrheit, die an diesem Donnerstag auch Sánchez im ersten Wahlgang für weitere vier Jahre als Regierungschef bestätigte.
Sánchez muss Spaniens gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen
Für den 51 Jahre alten Sánchez ist dies ein weiterer persönlicher Erfolg, der zu seinem Ruf beiträgt, auch in schwierigen Situationen meist einen Ausweg zu finden. Er war schon mehrmals abgeschrieben worden – etwa im letzten Wahlkampf, in dem er zunächst abgeschlagen hinter seinem konservativen Widersacher gelegen hatte. Doch ihm gelang die Wende: Erst holte er im Wahlduell mit Feijóo auf. Dann schaffte er es, aus Sozialdemokraten und dem Linksbündnis Sumar eine Minderheitsregierung zu formen, die parlamentarisch nicht nur von den katalanischen Abgeordneten unterstützt wird, sondern auch von den Regionalparteien aus dem Baskenland, aus Galicien und von den Kanaren.
Jetzt muss Sánchez nur noch das Kunststück gelingen, Spaniens gespaltene Gesellschaft wieder zusammenzuführen. „Ich werde für alle Spanier regieren“, sagt er. Doch das dürfte angesichts der tiefen Gräben zwischen den beiden politischen Lagern nicht einfach werden. Spaniens zweitgrößte Zeitung, das konservative Blatt „El Mundo“, kommentiert: „Die Regierung wollte mit der Amnestie die Eintracht voranbringen, doch was sie erzeugte, ist Zwietracht.“