Berlin. Die Koalition bringt ein wuchtiges Paket zur Entlastung der Wirtschaft auf den Weg. In aller Stille verhandelte sie beim Strompreis.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: die Berliner. In aller Stille verhandelten Kanzler Olaf Scholz (SPD), sein Vize Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) in den vergangenen Wochen umfangreiche Entlastungen für die Wirtschaft beim Strompreis. Am Donnerstag konnten die Koalitionäre überraschend eine Einigung verkünden.
Das Werk ist ein Kompromiss – kein fauler, sondern ein zielführender: Die Industrie in Deutschland soll schon bald deutlich weniger Geld für Strom ausgeben müssen. Es geht darum, Wettbewerbsnachteile zu vermindern und der Verlagerung von Produktion ins Ausland entgegenzuwirken.
Industrie: Deutschlands Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr
Elektrizität ist hierzulande teurer als in vielen anderen EU-Ländern, von Staaten wie den USA und Kanada ganz zu schweigen. Die Ursachen dafür sind vielschichtig, das Problem ist alles andere als trivial. Deutschlands bisheriges Geschäftsmodell, basierend auf billigem Gas aus Russland und umfangreichen Exporten nach China, funktioniert nicht mehr. Nur wenn Deutschland ein starkes Industrieland bleibt, kann es seinen Wohlstand halten. Die Transformation der Industrie in Richtung Klimaneutralität und Digitalisierung wird so oder so stattfinden, diesen weltweiten Trend hält niemand auf. Die Frage ist nur, ob dieser Wandel auch hierzulande gelingt oder gleich zum Treiber einer Deindustrialisierung Deutschlands wird.
Die Kosten für Energie sind dabei ein entscheidender, wenn auch nicht der einzige Faktor. Um den Standort attraktiv zu halten, plant die Ampel jetzt vor allem Steuerermäßigungen: Die Stromsteuer wird auf das europäische Mindestmaß zurückgeführt. Konzerne, die im internationalen Wettbewerb stehen, sollen zusätzliche Hilfen erhalten. Zudem gibt es Zuschüsse zur Finanzierung der Übertragungsnetze. All das wird sich der Staat viele Milliarden Euro kosten lassen. Die sind gut angelegt.
Es lohnt sich, auch einen Blick auf das Zustandekommen dieser Verständigung zu werfen: Wirtschaftsminister Habeck wollte mit einem Industriestrompreis eigentlich nur energieintensive Unternehmen unterstützen. Finanzminister Lindner war dagegen und verwies darauf, dass andere Betriebe dann leer ausgehen würden. Der Kanzler sprach sich vor allem gegen neue Dauer-Subventionen aus.
Nun ist die Entlastung befristet. Die Hoffnung ist, dass ein größeres Ökostrom-Angebot die Preise in einigen Jahren drücken wird. Die Steuersenkungen wirken in der Breite. Und das ganze Paket hat den Charme, dass es rasch und ohne langwierige Rückkopplung mit den europäischen Wettbewerbshütern beschlossen werden kann.
Koalition: Das Vertrauen der Wähler ist dahin
Die Wirtschaftsverbände sind für ihre Verhältnisse ziemlich zufrieden, was den Koalitionären schmeicheln dürfte. Die haben im vergangenen Jahr häufig gewirkt wie ein Haufen Hühner, die laut gackernd und planlos durch das Gelände rennen. Egal ob Heizungsgesetz, Infrastrukturausbau oder Kindergrundsicherung: Kaum ein wichtiges Projekt konnte ohne öffentliches Hauen und Stechen angeschoben werden. Ergebnis: Die Wähler vertrauen der Ampel nicht mehr.
Zumindest Scholz, Habeck und Lindner scheinen ihre Lektion gelernt zu haben. Beim Thema Strompreise arbeiteten sie einen Kompromiss hinter den Kulissen aus und nicht davor. Gute Politik überzeugt mit Ergebnissen und nicht mit Spektakel. Ob die neue Methode bis zum Ende der Legislaturperiode trägt, wird man freilich sehen müssen. Zu oft haben SPD, Grüne und FDP schon versprochen, dass alles anders wird. Und dann flogen doch wieder die Fetzen.