Berlin. Monatelang wurde debattiert, jetzt gibt es eine Einigung in der Koalition: Tausende Unternehmen sollen weniger Stromsteuer zahlen.
Monatelang hatten sie öffentlich diskutiert, doch die Einigung kam still zustande. Wie am Donnerstag (9.11.) bekannt wurde, hat die Ampelkoalition Entlastungen für die Wirtschaft bei den Strompreisen beschlossen.
Kern des Pakets ist eine Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe auf das europäisch vorgegebene Mindestmaß: Statt 1,57 Cent pro Kilowattstunde sollen Unternehmen künftig nur 0,05 Cent zahlen. Davon profitieren nicht nur Großkonzerne, sondern auch große Teile des Mittelstands. „Es ist wichtig, dass wir einen gemeinsamen Weg gefunden haben, mit dem wir die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie – von Mittelstand bis großen Konzernen – unterstützen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag.
Die Steuersenkung soll zunächst für 2024 und 2025 im Haushalt festgeschrieben werden, soll aber auch in den drei Jahren darauf weiterbestehen, wenn sie gegenfinanziert werden kann. Der Spitzenausgleich, über den rund 9000 Unternehmen schon bisher eine Erstattung von 90 Prozent ihrer Stromsteuerzahlungen erhielten, geht in dieser neuen Regelung auf. Für die davon betroffenen Unternehmen bedeutet das vor allem eine Entlastung von Bürokratie, denn die Beantragung fällt damit weg.
2,75 Milliarden allein für die Steuersenkung für Unternehmen
Dazu kommen weitere Entlastungen: Rund 350 energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, profitieren schon jetzt von der Strompreiskompensation. Mit diesem Instrument übernimmt der Staat einen Teil der Kosten, die den Unternehmen durch den europäischen Emissionshandel entstehen. Die Strompreiskompensation soll nicht nur bestehen bleiben, sondern auch erweitert werden. Bislang gab es einen Selbstbehalt von etwa 70.000 Euro pro Anlage und Jahr, dieser soll nun wegfallen. Für rund 90 besonders energieintensive Unternehmen existiert zudem das Super-Cap als zusätzliche Beihilfe – auch hier soll ein Sockelbetrag wegfallen, das Cap wird für die kommenden fünf Jahre verstetigt.
Bereits im Kabinett beschlossen war außerdem, dass die Bundesregierung mit einem Zuschuss von 5,5 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds den Anstieg der Netzentgelte im kommenden Jahr bremst.
Geschmiedet hatten das Paket Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Allein für die Steuersenkung veranschlagt das Bundesfinanzministerium 2,75 Milliarden Euro im kommenden Jahr, sie soll aus dem Haushalt finanziert werden. Andere Teile des Pakets wie die Erweiterung der Strompreiskompensation werden dagegen im Klima- und Transformationsfonds (KTF) verbucht. Insgesamt rechnet die Bundesregierung mit 28 Milliarden Euro Kosten in den kommenden vier Jahren.
Zu den Vorteilen dieser Lösung gehört aus Sicht der Bundesregierung die schnelle Umsetzbarkeit: Die Steuerlast kann, vergleichsweise unkompliziert, per Bundestagsbeschluss gesenkt werden. Ein aufwendiges und potenziell strittiges Notifizierungsverfahren in Brüssel, wie es andere Wege der Subvention möglicherweise erfordert hätten, bleibt aus.
Vor allem energieintensive Betriebe klagen seit Monaten, dass die in Folge des Ukraine-Kriegs noch einmal gestiegenen Stromkosten eine Gefahr für ihr Fortbestehen in Deutschland darstellen. Auch die Politik sieht ein Risiko, dass Unternehmen abwandern oder langfristige Investitionen etwa für neue Werke in anderen Ländern tätigen könnten.
Beschleunigung der Deindustrialisierung oder klimapolitisch sinnvoll? Experten uneins
Das Wirtschaftsministerium hatte deshalb im Frühjahr einen gedeckelten Industriestrompreis ins Spiel gebracht, allerdings für eine kleinere Zahl von Unternehmen als die, die jetzt profitieren sollen. Auch war die Entlastung im ursprünglichen Konzept an Bedingungen wie Tariftreue geknüpft und nicht über das Steuerrecht geregelt. Im Finanzministerium, aber auch im Kanzleramt war dieser Vorschlag auf wenig Gegenliebe gestoßen. Bundeskanzler Olaf Scholz fürchtete eine teure Dauersubvention.
Die jetzt angekündigten Entlastungen sind auf fünf Jahre angelegt. Danach, so die Hoffnung in der Koalition, wird der Ausbau der erneuerbaren Energien den Strompreis weitgenug gedrückt haben, dass die Unterstützung auslaufen kann.
Wie sich das Paket auf den nötigen Wandel der deutschen Wirtschaftslandschaft auswirkt, ist umstritten. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sprach von einem schwerwiegenden Fehler. „Die Entscheidung der Bundesregierung wird Deindustrialisierung in Deutschland beschleunigen und nicht verlangsamen. Es werden dadurch alte Strukturen zementiert, neue Ideen und Innovation werden gebremst und mehr gute Arbeitsplätze werden verloren gehen.“ Das Erreichen der Klimaziele für 2030 werde noch unwahrscheinlicher.
Klimapolitisch sei die Senkung der Stromsteuer durchaus sinnvoll, sagt dagegen Lion Hirth, Energieökonom von der Hertie School in Berlin. Aktuell werde Strom stärker mit staatlichen Abgaben belastet als beispielsweise Gas. „Diese Schieflage wird durch die Senkung ein Stück weit korrigiert“, sagt Hirth dieser Redaktion. „Wenn man den Strom jetzt günstiger macht, befördert das außerdem die Elektrifizierung, das ist klimapolitisch gut.“ Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, sagt er, die Steuersenkung auch auf private Verbraucher auszudehnen. „Auch dort stellen sich ja Fragen wie die, ob man auf ein E-Auto umsteigen möchte oder eine Wärmepumpe.“
Für Verbraucher ist keine Entlastung geplant – Kritik von Verbraucherschützern
Doch für Privathaushalte bleibt beim Strompreis alles wie bisher – die Senkung der Stromsteuer erstreckt sich ausdrücklich nicht auf sie. Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), kritisierte die fehlende Entlastung von Privathaushalten. Es könne nicht sein, dass die Industrie von den hohen Strompreisen entlastet wird, die Verbraucherinnen und Verbraucher dabei aber vergessen würden, sagte Pop dieser Redaktion. „Insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen leiden nach wie vor unter den hohen Strompreisen.“ Die Verbraucherzentralen würden deshalb schon länger eine generelle Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Minimum fordern – „und zwar auch für Verbraucherinnen und Verbraucher“.
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