Berlin. Saufgelage, Fechtduelle – und Extremismus? Der Fall eines AfD-Politikers wirft ein Schlaglicht auf die Netzwerke von Burschenschaften.
Fünf Tage lang war der Jungpolitiker auf der Flucht, dann griffen die Fahnder zu. Gegen 8 Uhr morgens nahmen sie ihn in der Nähe von Stuttgart fest. Später hieß es, die Beamten seien ihm „mittels Fahndungsmaßnahmen wie Handyortung“ auf die Spur gekommen.
Der Mann, um den es geht, ist der bayerische AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Halemba. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit geraumer Zeit gegen den 22-jährigen Studenten und weitere Mitglieder der Burschenschaft Teutonia Prag zu Würzburg wegen des Verdachts der Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. Wegen Verdunklungsgefahr hatten die Ermittler einen Haftbefehl erwirkt, die Festnahme Halembas erfolgte am vergangenen Montag.
Laut Staatsanwaltschaft war bei einer Razzia im Würzburger Verbindungshaus unter anderem ein Gästebuch sichergestellt worden, in dem ein Eintrag mit dem Nazi-Ausspruch „Sieg Heil“ mit Halembas Namen versehen war. Im Zimmer des Jungpolitikers sei überdies „an prominenter Stelle“ ein Befehl des SS-Chefs Heinrich Himmler vom Oktober 1939 gefunden worden. Offenbar handelt es sich um Himmlers Anweisung an die Angehörigen seiner Mörder-Truppe, innerhalb und außerhalb der Ehe nach Kräften Kinder zu zeugen. Halemba weist die Vorwürfe gegen ihn zurück, die AfD-Fraktion im bayerischen Landtag attackiert die Justiz und spricht von „staatlicher Repression“.
Die Vorgänge um Halemba werfen ein Schlaglicht auf das Nahverhältnis rechter Studentenverbindungen und der Rechtsaußen-Partei AfD, die inzwischen nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in fast allen Landesparlamenten vertreten ist. Fachleute beobachten bereits seit Jahren personelle Verflechtungen und einen regen Austausch. Durch den Aufstieg der AfD sind Burschenschafter verstärkt in die Parlamente gelangt. Verbindungshäuser in den Hochschulstädten dienen AfD-Funktionären oder anderen exponierten Vertretern des rechten Milieus als Bühne. „Die Burschenschaften spielen eine zentrale Rolle für die AfD. Sie sind ein Bereich, aus dem sich Funktionsträger, aber auch viele Mitarbeiter rekrutieren“, sagt Andreas Speit, Journalist und Experte für Rechtsextremismus, dieser Redaktion.
Studentische Burschenschaften haben ihre Wurzeln im frühen 19. Jahrhundert, waren damals progressive Vereinigungen und treibende Kräfte bei den Bemühungen zur Gründung eines deutschen Nationalstaats. Heute handelt es sich um national-konservative Organisationen. Einige von ihnen werden vom Verfassungsschutz beobachtet.
In Deutschland gibt es mehr als 1.000 studentische Verbindungen. Nicht alle sind politisiert, nicht alle sind rechts. Nur ein Viertel der Verbindungen sind nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung Burschenschaften. Der Großteil davon wiederum sei farbentragend. „Das heißt, ihre Mitglieder tragen als Erkennungszeichen ein farbiges Band um den Oberkörper und eine Kappe.“ Als „schlagende Verbindung“ wiederum gelten Burschenschaften, bei denen nicht nur regelmäßige Trinkgelage, sondern auch Fechtduelle zum Brauch gehören. Frauen und Ausländer können in der Regel nicht Mitglieder von Burschenschaften werden.
Organisiert sind die Vereinigungen in drei Dachverbänden. Am weitesten rechts steht dabei der älteste der Verbände, die „Deutsche Burschenschaft“. Viele liberalere Burschenschaften verließen den Verband 2011 im Streit, weil Teile der DB eine Burschenschaft ausschließen wollte, die einen deutschen Studenten mit chinesischen Eltern aufgenommen hatte. Übrig sind in der DB heute nach deren Angaben noch rund 4.500 Mitglieder aller Altersgruppen aus fast 70 Burschenschaften, aus Deutschland und Österreich. Auch die Teutonia Prag zu Würzburg gehört dazu.
„Viele Burschenschaften haben ein unkritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus.“
Was in deren Verbindungshaus gefunden wurde, könne man möglicherweise auch in anderen Verbindungshäusern finden, sagt Andreas Speit. „Viele Burschenschaften haben, zurückhaltend formuliert, ein unkritisches Verhältnis zum Nationalsozialismus.“ Sie würden dazu neigen, die Verbrechen des Nationalsozialismus und der Wehrmacht zu relativieren, auch weil in der Wehrmacht viele ehemalige Burschenschafter waren. „Und der Geschichtsrevisionismus beginnt oft schon beim Ersten Weltkrieg, und der Frage, wer dafür Schuld trägt“, sagt Speit.
Mit diesen Positionen gerieten sie nach 1945, vor allem aber nach 1968 zunehmend ins Abseits. Der gesellschaftliche Mainstream entwickelte sich in eine andere Richtung. „Heute wirken sie ein bisschen wie ein historisches Relikt an Universitäten“, sagt Speit, doch er warnt davor, Burschenschaften deshalb zu unterschätzen. Sie böten billigen Wohnraum, soziale Anbindung und „jungen Männer mit rechten Ressentiments eine politische Anbindung“.
Es ist ein Milieu, das viele Überschneidungen bietet zur AfD. Halemba ist nicht der einzige Burschenschafter, der in der Rechtsaußen-Partei eine politische Heimat gefunden hat. Enrico Komning, Abgeordneter und parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Bundestag, gehört nach eigenen Angaben dem Altherrenverband der Rugia Greifswald an. Die Rugia steht im Visier des Landesverfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern, genauso wie die Markomannia Aachen Greifswald. Dieser wiederum steht der AfD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer im Schweriner Landtag, Nikolaus Kramer, nahe. Der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordnete Jörg Schneider, ebenfalls AfD, ist Alter Herr der Germania Hamburg, auch dieser Verband hat die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes.
Die Grünen fordern mehr Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes
Auch zur Jungen Alternative und der Identitären Bewegung gibt es Bezüge. Torben Braga, inzwischen Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD im Thüringer Landtag, und Philip Stein, Leiter des identitären Kampagnen-Netzwerks „Ein Prozent“, verbindet etwa ihre Mitgliedschaft in der Burschenschaft Germania Marburg.
Die Grünen-Innenpolitikerin und Parlamentarische Geschäftsführerin im Bundestag Irene Mihalic fordert mehr Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden für diese Verflechtungen. „In Burschenschaften werden oft unheilvolle Seilschaften geknüpft, die rechtsextremes, antisemitisches und rassistisches Gedankengut in konkrete Aktivitäten umsetzen“, sagt sie dieser Redaktion. „Das muss dringend eingehender analysiert werden.“ Zwar sei der Verfassungsschutz ihrer Wahrnehmung nach etwas sensibler als früher, was dieses Problem angehe. „Trotzdem gilt, dass wir die Rolle von Burschenschaften in rechtsextremen Netzen und Bestrebungen noch deutlich intensiver untersuchen müssen, als das derzeit geschieht.“
Daniel Halemba, AfD-Politiker und Teutonia-Mitglied, ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Gegen Auflagen hat das Amtsgericht Würzburg den Haftbefehl außer Vollzug gesetzt. Seine wiedergewonnene Freiheit nutzte er unter anderem, um sich am Donnerstag auf X, ehemals Twitter, zu Wort zu melden. Eine Erklärung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gegen Antisemitismus und zur Solidarität mit Israel kommentierte er da mit den Worten, der „Schuldkult“ müsse beendet werden.
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