Berlin. Das Verfassungsgericht kippt eine Reform zur Wiederaufnahme von Strafverfahren. Das ist nicht einfach zu ertragen, aber richtig.
Der Rechtsstaat muss nicht nur immer wieder aufs Neue verteidigt, sondern mitunter auch ertragen werden. Zum Beispiel dann, wenn freie Gerichte Urteile fällen, die dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen zuwiderlaufen.
Am Dienstag war so ein Tag: Das Bundesverfassungsgericht hat entscheiden, dass freigesprochene Verdächtige nur aufgrund neuer Beweise nicht noch einmal angeklagt werden dürfen. Die Karlsruher Richter kippten damit eine Reform der Großen Koalition aus dem Jahr 2021. Im konkreten Fall ging es um den Mord an einer Schülerin aus den frühen 1980er Jahren: Der Verdächtige war aus Mangel an Beweisen bereits einmal freigesprochen worden. Eine neue DNA-Analyse legt aber nahe, dass er womöglich doch der Täter gewesen sein könnte. Die Justiz darf ihm jetzt nicht noch einmal den Prozess machen, das laufende Verfahren muss gestoppt werden. Anders sähe die Sache aus, wenn der Mann nachträglich ein Geständnis ablegen würde.
Möglicherweise bleibt nun ein Mord ungesühnt und andere schwere Verbrechen wie Völkermord oder Kriegsverbrechen in Zukunft auch. Die Rechtssicherheit im Land aber wird gestärkt. Das sollte man nicht geringschätzen, im Gegenteil: Das Verfassungsgericht stellt klar, dass Freisprüche nach ordentlichen Strafprozessen keine Urteile unter Vorbehalt oder auf Widerruf sein dürfen. Wenn Strafrichter zu dem Ergebnis kommen, dass ein Verdächtiger nicht schuldig ist oder ihm eine Schuld nicht nachgewiesen werden kann, dann muss dieses Urteil Bestand haben. Der Karlsruher Spruch mag nicht leicht zu ertragen sein. Zu akzeptieren ist er allemal.