Berlin. Kanzler-Frage, Ampel-Koalition, die Zukunft der Linken: Die Wahlen in Hessen und Bayern haben Auswirkungen über beide Länder hinaus.
Die Sache hat Gewicht: Jeder vierte Deutsche lebt in Hessen oder Bayern – doch nicht nur deshalb haben die Landtagswahlen an diesem Sonntag Strahlkraft weit über die Regionen hinaus. Hat sich Nancy Faeser verkalkuliert? Wie stark wird Markus Söder? Was für wen auf dem Spiel steht:
Friedrich Merz und Markus Söder
Heimspiel in Hessen, Hochspannung in Bayern – das ist die Lage für die Union: Boris Rhein und Markus Söder werden am Ende mit großer Sicherheit vorne liegen, doch für den CSU-Chef reicht das diesmal nicht. Söders Schmerzgrenze liegt bei 37,2 Prozent. Landet er deutlich darüber, kann er weitermachen wie bisher – als unangefochtener CSU-Chef und Ministerpräsident, als Dauerkonkurrent für CDU-Chef Friedrich Merz und potenzieller Kanzlerkandidat.
Unterbietet die CSU mit Söder an der Spitze dagegen ihr historisches Tief von 2018, steht vieles in Frage: Söders frühe Festlegung auf eine Koalition mit den Freien Wählern, seine scharfe Abgrenzung gegen die Grünen, am Ende möglicherweise auch er selbst. Söder baut bereits vor: „Es geht nicht um einen Schönheitspreis. Es geht um eine stabile Regierung.“ Bei einem Ergebnis unter 36 Prozent hätte es jedoch selbst Söder schwer, die Sache schön zu reden.
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Und Friedrich Merz? Der CDU-Chef wird sehr genau beobachten, wie der Wahlabend läuft, ob Söder sein Ergebnis als Stärke auslegen kann oder die CSU in die Krise rutscht. Klar: Merz muss sich als Unionsmann allein qua Amt über einen klaren Söder-Sieg freuen. Einfacher wäre es für ihn allerdings, wenn Söder künftig in Berlin weniger breitbeinig auftreten könnte. Merz hat schließlich gerade genug damit zu tun, sein Kanzlerkandidaten-Format nach einer ganzen Serie verunglückter Auftritte wieder aufzumöbeln.
Olaf Scholz und Nancy Faeser
Manchen in der SPD graut bereits vor dem Wahlsonntag. In Bayern dürften die Sozialdemokraten hinter CSU, Grünen, Freien Wählern und AfD abgeschlagen auf dem fünften Platz landen. Der auch vielen Bayern unbekannte Spitzenkandidat Florian von Brunn könnte sogar das Mindestziel eines zweistelligen Ergebnisses verfehlen. Allerdings: Große Erwartungen haben die Genossen in Bayern schon lange nicht mehr. Anders war es in Hessen, wo Bundesinnenministerin Nancy Faeser Ministerpräsidentin werden wollte.
Nach einer verkorksten Kampagne ist klar, dass der Spagat zwischen Wahlkampf und Amtsgeschäften schwerer war als von ihr und wohl auch Kanzler OIaf Scholz erwartet. Nun kämpft Faeser mit Grünen und AfD lediglich um den zweiten Platz. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die 53-jährige Ministerin in Berlin bleibt, so wie sie es für den Fall einer Wahlniederlage angekündigt hatte. Hier und da wird allerdings spekuliert, ob Faeser dann noch als Innenministerin zu halten sei.
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Dabei werden allerdings zwei Eigenschaften von Scholz unterschätzt: seine Treue zu den SPD-Kabinettsmitgliedern und seine Fähigkeit, Entscheidungen unbeeindruckt von Ereignissen außerhalb des Kanzleramts zu treffen. Absehbar ist aber: Die Wahlen werden Scholz und der Ampel-Koalition eine weitere Beule verpassen.
Christian Lindner und die FDP
Der FDP-Chef reagiert immer schmallippiger, wenn es um das Abschneiden seiner Partei bei Landtagswahlen geht: Es läuft einfach nicht. Seit die FDP in der Ampel regiert, ist sie aus zwei Landesregierungen geflogen und fährt eine Wahlschlappe nach der anderen ein. Anfangs fand Lindner noch regionale Gründe, inzwischen scheint der sonst so eloquente Parteichef schlicht sprachlos. Wenn es kommt, wie die Umfragen erwarten lassen, scheitert die FDP auch in Hessen und Bayern an der Fünf-Prozent-Marke. Die Hoffnung der Parteispitze, mit mehr Profilierung, mehr Streitlust die Wähler zu überzeugen, ist verpufft.
Robert Habeck und die Grünen
Zuletzt herrschte die gängige Deutung von Wirtschaftsminister Robert Habeck als dem dummen August der deutschen Politik, weil er das Heizungsgesetz versemmelt und damit die Bevölkerung in eine Wärmepumpen-Psychose getrieben hat. Den Wahlkämpfern in Bayern und Hessen hatte der Vizekanzler damit keinen Gefallen getan. Die letzten Umfragewerte lassen aber auch eine andere Deutung zu: Von den Ampel-Parteien dürften die Grünen deutlich am besten abschneiden, es liegen auch ihre Werte der jeweiligen Wahlen vor fünf Jahren in Reichweite.
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Während die SPD an der Regierungsführung leidet und die FDP in der Koalition zerrieben wird, scheinen die Grünen – zumindest im Westen – auf dem Pfad der Stabilisierung. In Hessen steht zudem die weitere Regierungsbeteiligung in Aussicht.
Janine Wissler und die Linke
Der Bedeutungsverlust der Linkspartei dürfte noch mehr Schwung bekommen. In Bayern ist der Zuspruch so gering, dass die Partei in manchen Umfragen schon gar nicht mehr einzeln aufgeführt wird. Schlimmer könnte die Linke und ihre Vorsitzende Janine Wissler aber das Ergebnis in Hessen treffen: Hessen ist das letzte westdeutsche Flächenland, in dem die Partei noch im Parlament vertreten ist.
Damit könnte am Sonntag Schluss sein. Das wäre auch für Wissler ein schwerer Schlag, die in Hessen ihre Politikkarriere begonnen hatte und ihren Wahlkreis in Frankfurt hat. Der Wahltag dürfte die Fliehkräfte in der zerstrittenen Partei verstärken und Renegatin Sahra Wagenknecht darin bestärken, eine Konkurrenzpartei zu gründen.
Tino Chrupalla und Alice Weidel
In beiden Ländern kann die AfD mit Zugewinnen rechnen. Umfragen sehen die Partei in Bayern bei etwa 14 Prozent, in Hessen bei 16 Prozent. Das zeigt: Eine starke AfD ist kein Ostphänomen. Die Partei tut selbst allerdings wenig dafür. Vom Wahlkampf der AfD sind vor allem die Sicherheitsvorfälle rund um die Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla im Gedächtnis geblieben.
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