Berlin. Am Mittwoch soll das Ampel-Kabinett die Kindergrundsicherung beschließen. Was Eltern wissen müssen, um schnell ans Geld zu kommen.

Die Ziellinie ist klar definiert: Anfang 2025 soll es losgehen mit der Kindergrundsicherung. Nach langem Streit und einer Last-Minute-Verschiebung noch Anfang des Monats ist die Ampel-Koalition jetzt einig. Der Gesetzentwurf aus dem Haus von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) soll am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden.

Nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel“ will die Bundesregierung damit einleiten. Familien, die Anspruch auf finanzielle Unterstützung des Staates haben, sollen künftig einfacher, digitaler und aus einer Hand an diese Leistungen kommen. Aber was heißt das in der Praxis? Und wie können Eltern sich vorbereiten?

Die Kindergrundsicherung wird aus zwei Komponenten bestehen:

  • einem Garantiebetrag und
  • einem Zusatzbetrag

Der Garantiebetrag entspricht dem jetzigen Kindergeld, das seit Januar für alle Kinder 250 Euro beträgt. Der zweite Teil, der Zusatzbetrag, ist einkommensabhängig – er soll ausgezahlt werden an Familien, die derzeit Anspruch auf Leistungen wie Bürgergeld oder den Kinderzuschlag haben. Und anders als jetzt, wo viele Betroffene nichts von ihrem Anspruch wissen, soll er einen wesentlich größeren Teil dieser Familien erreichen.

Der „Kindergrundsicherungscheck“: Ein bisschen Automatisierung

Kommen soll deshalb ein „Kindergrundsicherungscheck“. Stellt eine Familie den Antrag auf den Garantiebetrag, soll der Familienservice – die bisherige Familienkasse – künftig automatisch anhand von Daten bei anderen Behörden, vor allem der Rentenversicherung, überprüfen, ob diese Familie auch den Zusatzbetrag bekommen könnte. Ist das der Fall, benachrichtigt die Behörde die Eltern, dass sie möglicherweise Anspruch auf mehr Unterstützung haben.

An dieser Stelle allerdings endet vorerst die Automatisierung. Denn beantragen müssen Eltern den Zusatzbetrag auch in Zukunft noch. Und auch Nachweise müssen sie vorerst noch selbst bringen. Denn nicht alle Daten, die für eine Prüfung des Antrags nötig sind, sind immer digital und aktuell bei anderen Behörden vorhanden. „Es müssen immer noch Nachweise erbracht werden“, sagt Juliane Meinhold, Expertin vom Paritätischen Gesamtverband. Sie rät Eltern deshalb: „Sämtliche Einkommens- und Vermögensnachweise und andere Dokumente wie Nachweise über die Miete und andere Kosten sichern und verfügbar haben.“ Diese Dokumente werde man weiterhin brauchen.

Profitieren würden vor allem Familien, die jetzt noch gar nicht wissen, dass sie Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, sagt sie. „Aus der Perspektive von Familien in der Grundsicherung wird es komplizierter.“ Denn derzeit kommen die Leistungen für alle Familienmitglieder vom Jobcenter, künftig aber ist für Kinder der Familienservice zuständig.

Wer von der Kindergrundsicherung profitiert, hängt vom Einkommen der Eltern ab.
Wer von der Kindergrundsicherung profitiert, hängt vom Einkommen der Eltern ab. © picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Für viele Familien sind in Zukunft mehr Behörden zuständig

Doch nicht alle Leistungen kommen über den neuen Familienservice. Der Zusatzbetrag soll auch einen Teil des Geldes aus dem Bildungs- und Teilhabepaket enthalten. Das Paket, das 2011 eingeführt wurde, hat den Zweck, Kindern aus Familien mit wenig Geld Dinge zu ermöglichen, die für viele ihrer Altersgenossen selbstverständlich sind, etwa Klassenausflüge oder Mittagessen in der Schule. Dabei gibt es Geld für Schulmaterialien, das pauschal ausgezahlt wird, aber eben auch Summen, die im Einzelfall beantragt werden müssen, etwa für die Klassenfahrt oder Nachhilfe.

Das Schulbedarfspaket kommt automatisch als Teil des Zusatzbetrags. Doch die Individualleistungen gibt es weiterhin zusätzlich – per eigenem Antrag. Und die können regional sehr unterschiedlich funktionieren, sagt Julius Bertram. Er ist Geschäftsführer der BuT-Beratungsstelle, einem gemeinnützigen Projekt, dass Familien bei der Beantragung der Leistungen hilft und auch Kommunen zum Bildungs- und Teilhabeprojekt berät.

Der Familienservice als zentrale Anlaufstelle sei zwar eine Verbesserung, sagt er. Wenn die Individualleistungen als Aufgabe aber weiterhin bei den Ländern bleiben und diese wie bisher die Kommunen mit der Umsetzung beauftragen, dann werde es weiterhin so sein, dass diese Leistungen über das Jobcenter kommen. „Das ist also mindestens eine weitere Behörde, mit der die Menschen zu tun haben“, sagt Bertram. Familien können also unter Umständen Geld für Eltern beim Jobcenter beziehen, die Kindergrundsicherung über den Familienservice – und weitere Leistungen für die Kinder erneut beim Jobcenter.

Das Kinderhilfswerk zeigt sich ernüchtert

Beim Kinderhilfswerk zeigt man sich insgesamt ernüchtert über das Ergebnis dessen, was einmal als großes sozialpolitisches Projekt der Ampel-Koalition angekündigt war. „Kinder und Jugendliche dürfen nicht weiter als Bittsteller von Sozialleistungen gesehen werden, sondern es ist die Aufgabe des Staates, allen Kindern die für ihr gutes Aufwachsen notwendigen finanziellen Mittel zukommen zu lassen“, sagt Thomas Krüger, Präsident des Kinderhilfswerk, unserer Redaktion. „Dieser Kerngedanke der Kindergrundsicherung scheint jetzt mehr und mehr abhanden zu kommen.“ Nicht nur reiche das bisher veranschlagte Geld nicht aus, um ein Mindestmaß an Teilhabe für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen. Im weiteren Verfahren in Bundestag und Bundesrat könnte die Kindergrundsicherung sogar noch weiter zusammengestrichen werden, fürchtet die Organisation.

Und auch die Ziellinie steht in Frage. Die Bundesagentur für Arbeit, die mit dem Familienservice die zuständigen Stellen aufbauen muss, hat in einer Stellungnahme zum Gesetz ein dickes Fragezeichen hinter den Zeitplan der Familienministerin gesetzt, weil die Umsetzung in der IT sehr aufwendig sei. Die Zielvorstellung, die Kindergrundsicherung bereits zum 01.01.2025 in Kraft treten zu lassen, hieß es da, werde deswegen „als unrealistisch eingeschätzt“.