Wiesbaden. Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein macht Druck auf Parteichef Friedrich Merz – auch bei der kommenden Kanzlerkandidatur.

Zur Halbzeit der Ampelregierung finden am 8. Oktober zwei wichtige Landtagswahlen statt: in Bayern und in Hessen, wo Boris Rhein (CDU) im vergangenen Jahr das Amt des Ministerpräsidenten von Volker Bouffier übernommen hat. Rhein regiert mit den Grünen - und hat einen Rat für seinen Parteichef Friedrich Merz.

Wie mulmig ist Ihnen vor Ihrer ersten Landtagswahl, Herr Rhein?

Boris Rhein: Gar nicht.

Spüren Sie Rückenwind aus Berlin? Einen Friedrich-Merz-Effekt?

Boris Rhein: Zunächst einmal spüre ich, dass es in Hessen keine Wechselstimmung gibt. Aber ich spüre auch die Unterstützung der CDU und von Friedrich Merz.

Warum profitiert die AfD und nicht die Union vom Formtief der Ampel?

Boris Rhein: Viele Bürgerinnen und Bürger sind tief verunsichert wegen dieser Bundesregierung. Sie wollen sich nicht länger bevormunden lassen bei der Ernährung, beim Verbrennungsmotor, bei der Heizung. Das Ergebnis dieser Verunsicherung ist Protest, und der zeigt sich auch in Umfragen. Die Union ist aber keine Protestpartei. Deshalb zeigen wir in Hessen: Wir nehmen die Verunsicherung sehr ernst und geben die klare Zusage: Mit uns bleibt Hessen ampelfrei. All das, was die Bundesregierung in Berlin an Chaos anrichtet, wird es mit uns nicht geben. Wer CDU wählt, wählt Stabilität, wer Protest wählt, stärkt am Ende die Ampel.

Viele scheinen nicht zu wissen, wofür die Union steht.

Boris Rhein: Das ist ein entscheidender Punkt: Wir müssen ganz konkret sagen, was wir für Land und Leute tun und was unser Programm ist. Das beginnt beim Thema Migration, bei dem die Union eine klare Gegenposition zur Ampel bietet. Es geht um Humanität und Ordnung. Wir helfen denen, die unsere Hilfe benötigen. Aber wir brauchen Kontrollen an den Binnengrenzen. Wir brauchen dringend eine Rückführungsoffensive. Und wir brauchen mehr sichere Herkunftsländer. Wenn jemand aus einem Land kommt, in dem die Anerkennungsquote unter fünf Prozent liegt, muss er automatisch zurückgewiesen werden.

Jens Spahn, Vizechef der Unionsfraktion, fordert sogar „eine Pause von dieser völlig ungesteuerten Asyl-Migration“. Gehen Sie auch so weit?

Boris Rhein: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik und ein Ende der offenen Grenzen, zumindest für eine gewisse Zeit. Mir ist unverständlich, dass wir keine Kontrollen an den Binnengrenzen zu Polen und Tschechien machen. Kontrollen gibt es ja auch zwischen Bayern und Österreich. Es ist unverantwortlich, den Hilferufen der Innenminister aus Sachsen und Brandenburg nicht Folge zu leisten. Aber wir dürfen uns nicht auf die Migration beschränken, wenn wir die Populisten entzaubern wollen. Wir müssen auch einen klaren Punkt setzen bei der Familienpolitik.

Welchen?

Boris Rhein: Wir sehen mit großer Sorge, dass die Zahl der Baugenehmigungen eingebrochen ist. Grund sind gestiegene Baukosten und höhere Zinsen. Gerade junge Familien haben den Traum von den eigenen vier Wänden, der sich aber immer schwerer erfüllen lässt. In Hessen wollen wir deshalb für alle Ersterwerber von selbstgenutzten Wohnimmobilien die Grunderwerbsteuer auf Null setzen. Ich appelliere an den Bund, den Weg dafür frei zu machen. So lange sich die Ampel weigert, den Ländern diesen Spielraum zu geben, wollen wir als CDU jungen Familien finanziell unter die Arme greifen. Beim Ersterwerb einer Wohnung oder eines Hauses soll zum Beispiel eine Familie mit zwei Kindern 30 000 Euro bekommen – das sogenannte Hessengeld. Ich möchte aber auch die Bundesregierung in die Verantwortung nehmen.

Wie?

Boris Rhein: Der Bund sollte Familien beim Ersterwerb eines Eigenheims eine Zinsvergünstigung für Kredite von einem oder zwei Prozent gewähren. Bei einem Zinssatz von zum Beispiel 4,8 Prozent müssten Familien dann nur 3,8 oder 2,8 Prozent tragen. Ein solches Familienkredit-Programm des Bundes wäre eine spürbare Erleichterung bei der Finanzierung von Wohneigentum.

Entspannt: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU sieht für seine Wiederwahl gute Chancen und steht zur schwarz-grünen Koalition im Land.
Entspannt: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein von der CDU sieht für seine Wiederwahl gute Chancen und steht zur schwarz-grünen Koalition im Land. © Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Was würde das kosten?

Boris Rhein: Schätzungsweise ein bis zwei Milliarden Euro im Jahr – je nachdem, ob die Zinsvergünstigung ein oder zwei Prozentpunkte beträgt.

Profilschärfung ist das eine, der Umgang mit Populisten das andere. Ist jegliche Zusammenarbeit mit der AfD - auch auf kommunaler Ebene - ausgeschlossen? Friedrich Merz hat hier einige Verwirrung ausgelöst …

Boris Rhein: Die Brandmauer steht, das sagt auch Friedrich Merz. Wir können mit der AfD nicht zusammenarbeiten und erst recht nicht koalieren. Was mich am meisten schockiert, ist der brutal antieuropäische Kurs dieser Partei. Das ist ein Anschlag auf das Friedensprojekt Europa und den Wohlstand unserer Exportnation.

Und in den Kommunen? Stimmt die CDU gegen den Bau einer Turnhalle, wenn die AfD dafür stimmt?

Boris Rhein: Wenn es ein wichtiges und sinnvolles Projekt vor Ort gibt, kann die CDU einen eigenen Antrag stellen, und dann stimmt das Gemeindeparlament eben dem CDU-Antrag zu. So schwierig ist das nicht.

Diese Winkelzüge sollen die Wählerinnen und Wähler überzeugen?

Boris Rhein: Wir stimmen keinen Anträgen der AfD zu – auf keiner politischen Ebene.

Waren Sie auch so überrascht, als Merz plötzlich die Grünen zum Hauptgegner erklärt hat?

Boris Rhein: Das bezog sich auf die Bundesregierung. Friedrich Merz hat die Grünen zum Hauptgegner innerhalb der Ampel erklärt …

… so hat er es hinterher eingeordnet.

Boris Rhein: Ich kann nur sagen, und das sieht Friedrich Merz auch: Auf der Landesebene haben wir konstruktive, funktionierende Koalitionen mit den Grünen – seit zehn Jahren auch in Hessen. Bei der Landtagswahl sind die Grünen ein nicht zu unterschätzender Mitbewerber, aber nicht der Hauptgegner.

Können Sie Merz ein Bündnis empfehlen?

Boris Rhein: Eine Koalition mit den Grünen funktioniert, wenn man sich an zwei einfache Regeln hält. Erstens: Beiden Partnern muss klar sein, dass der Koalitionsvertrag gilt – egal, was kommt. Und zweitens: Man muss alles ausdiskutieren, und zwar hinter verschlossenen Türen, und dann mit einer Meinung nach außen treten. Das wäre mein Rat zum Umgang mit den Grünen, wenn Friedrich Merz mich fragt.

Ist Merz der natürliche Kanzlerkandidat der Union?

Boris Rhein: Ich sehe keine Notwendigkeit, jetzt über den Kanzlerkandidaten zu diskutieren.

Ministerpräsident Boris Rhein gibt sich zuversichtlich, dass er die Landtagswahl Anfang Oktober in Hessen für die CDU gewinnen kann.
Ministerpräsident Boris Rhein gibt sich zuversichtlich, dass er die Landtagswahl Anfang Oktober in Hessen für die CDU gewinnen kann. © Maurizio Gambarini/FUNKE Foto Services

Wann soll die Entscheidung fallen?

Boris Rhein: Nicht vor der Europawahl im Juni. Markus Söder hat den Vorschlag gemacht, auch die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen abzuwarten, die im September 2024 stattfinden. Ich hätte nichts dagegen. Dann können wir in aller Ruhe entscheiden.

Wer soll entscheiden? Oder lassen Sie es wieder auf einen Showdown wie zwischen Armin Laschet und Markus Söder ankommen?

Boris Rhein: So, wie es war, darf es nicht mehr werden. Ich bin sicher, dass Friedrich Merz ein geordnetes Verfahren vorschlagen wird. Klar ist: Die Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten wollen bei der Kanzlerkandidatur ein entscheidendes Wörtchen mitreden. Das Präsidium der CDU wäre dafür ein geeigneter Ort. Hier sollten wir sehr vertrauliche Gespräche führen.

Die CSU ist im CDU-Präsidium naturgemäß nicht vertreten.

Boris Rhein: Der Vorsitzende der CSU muss natürlich involviert werden. Markus Söder spielt auch als bayerischer Ministerpräsident eine herausragende Rolle in der Union. Wir brauchen jedenfalls einen Kanzlerkandidaten, den die gesamte Partei mitträgt und der auch die ganze Partei begeistert. Dass man motiviert in die Bundestagswahl geht, ist die Grundvoraussetzung für den Erfolg.