Berlin. Russland umgeht die westlichen Sanktionen systematisch – und hat Helfer, sagt Ökonom Gabriel Felbermayr. Auch die Türkei spiele mit.
Seit anderthalb Jahren führt der russische Präsident Wladimir Putin Krieg gegen die Ukraine. Wie sehr hat das die Wirtschaft seines Landes geschwächt – und welchen Anteil haben westliche Sanktionen daran? Gabriel Felbermayr, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Wien, beantwortet wird die wichtigsten Fragen.
Herr Professor Felbermayr, wie sehr hat die russische Wirtschaft nach anderthalb Jahren Krieg gelitten?
Gabriel Felbermayr: „Natürlich leidet die russische Wirtschaft unter den westlichen Sanktionen. Andererseits ist sie in anderthalb Jahren in den Modus einer Kriegswirtschaft gewechselt. Der Krieg ist für Russland ein Konjunkturmotor: Die Rüstungs- und die Ausrüstungsindustrie laufen auf Hochtouren. Rund vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen in die Kriegsanstrengungen. Im Jahr 2022 dürfte das russische Bruttoinlandsprodukt nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds zwei Prozent geschrumpft sein. 2023 wird die russische Wirtschaft vermutlich um etwa einen Prozentpunkt wachsen. Für 2024 rechnen wir aufgrund weltwirtschaftlicher Eintrübungen und dem starken Verfall des Rubels mit weiterhin schwachem Wachstum.“
Wie stark haben die Sanktionen des Westens Russlands Wirtschaft geschwächt?
Felbermayr: „Die westlichen Sanktionen kosten die russische Wirtschaft zwei bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Und der Schaden wird über die Jahre noch größer: Vor allem, weil russische Betriebe von dringend benötigten Technologie-Importen abgeschnitten werden. Es fehlen Ersatzteile und Knowhow, Investitionen finden nicht statt.“
Auf welche Weise werden die Sanktionen umgangen?
Felbermayr: „Zunächst durch Betrug. Exporte, die von Europa, den USA oder Japan nach Russland gehen, werden in Bereichen klassifiziert, wo Handel noch zulässig ist. Manches, was sich in den Containern befindet, ist zumindest Dual-Use – also für zivile und militärische Zwecke nutzbar – oder gar für die russische Kriegswirtschaft relevant. Es gibt anekdotische Hinweise, dass westliche Firmen hier Waren falsch deklariert haben. Viel wichtiger ist allerdings, dass Russland Teil der Eurasischen Zollunion ist: Diesem Binnenmarkt gehören auch Belarus, Armenien, Kasachstan und Kirgisistan an. Die Exporte aus Deutschland in diese vier Länder sind im ersten Halbjahr 2023 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 um 124 Prozent angestiegen. Im Fall von Kirgisistan betrug das Wachstum mehrere Tausend Prozent. Man kann davon ausgehen, dass viele dieser Güter in den russischen Markt re-exportiert worden sind.
Welche Rolle spielen die Türkei und China?
Felbermayr: „Vor allem die Türkei spielt eine große Rolle. Der Handel zwischen Russland und der Türkei boomt. Die Vorstellung, dass man Russland von westlicher Technologie abschneiden könnte, funktioniert so lange nicht, wie es westliche Firmen gibt, die in der Türkei oder China produzieren. Was dort hergestellt wird, unterliegt nicht der Zoll-Jurisdiktion der EU.“
Landet westliche – auch deutsche – Hochtechnologie in russischen Waffen?
Felbermayr: „Es gibt ernstzunehmende anekdotische Hinweise, dass westliche Technologie in russischen Waffen verwendet wird. Die Exporte von Drittstaaten nach Russland könnte man nur unterbinden, indem man Länder wie die Türkei oder China mit extraterritorialen Sanktionen belegt. Das würde allerdings die Kosten eines Sanktions-Regimes für die europäische Wirtschaft massiv erhöhen.“
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Sollten die Sanktionen weiter verschärft werden?
Felbermayr: „Es gibt Lücken, die man schließen sollte. Es wäre zum Beispiel zu fragen, ob man nicht extraterritoriale Sanktionen gegen die Länder der Eurasischen Zollunion verhängt. Darüber hinaus könnte man die Kontrolle der Sanktionen durch eine Positivliste drastisch vereinfachen: Demnach wäre der Export aller Waren verboten, mit Ausnahme explizit erlaubter Artikel wie etwa pharmazeutische Produkte. Die jetzigen Negativlisten sind wesentlich schwerer zu überwachen.“
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