Berlin. Der Spionagefall bei der Bundeswehr ist ein Alarmzeichen. Deutschland hat versäumt, sich auf Putins aggressive Taktik vorzubereiten.
Schon wieder ist ein mutmaßlicher deutscher Spion in russischen Diensten aufgeflogen. Der Fall des verdächtigen Bundeswehr-Hauptmanns, der Russland wohl Informationen über Rüstungsprojekte der Truppe beschaffen wollte, endete noch glimpflich – nach dem ersten Eindruck dank des Ungeschicks des Offiziers und der Aufmerksamkeit der deutschen Sicherheitsbehörden. Doch ist dies das jüngste Glied in einer Kette enthüllter russischer Spionageaktivitäten in Deutschland und Europa, die in der Gesamtschau zunehmend bedrohlich wirken.
Erst vor ein paar Monaten wurde ein BND-Mitarbeiter wegen Verrats von Staatsgeheimnissen festgenommen, in Polen wurde ein auf Sabotageakte vorbereiteter Spionagering ausgehoben, Agenten gingen auch in vielen anderen EU-Ländern ins Netz. Wladimir Putins Geheimdienste waren schon vor dem Angriff auf die Ukraine sehr aktiv, jetzt ist die Aggressivität noch einmal gestiegen – und Deutschland als wichtiger Unterstützer der Ukraine ist eines der wichtigsten Zielländer nicht nur für klassische Spionage, sondern auch für Cyberangriffe Russlands und Versuche, mit Desinformationen die Gesellschaft zu destabilisieren.
Ist Deutschland darauf vorbereitet? Ja, aber leider ging das zu langsam – mit Zeitverzug nach einem jahrelangen Dämmerschlaf. Russland hat einen Vorsprung: Seine Aggressivität wurde auch im Geheimdienstbereich hierzulande zu lange vertrauensselig ignoriert. Die Versäumnisse der Vergangenheit sind so schnell nicht aufzuholen.
In Berlin sollen 150 russische Spione unterwegs gewesen sein
Deutschland hat die Spionageabwehr nach dem Ende des Kalten Krieges lange vernachlässigt und Stellen abgebaut, während Russland einfach weitermachte wie früher – und andere Staaten wie China ihre Dienste aufrüsteten. So haben mehrere Bundesregierungen geduldig zugesehen, in welch ungewöhnlichem Ausmaß Putins Geheimdienstler in der russischen Botschaft in Berlin straflos aktiv waren: Zeitweise sollen bis zu 150 akkreditierte Diplomaten russische Spione gewesen sein, 40 von ihnen hat Deutschland inzwischen ausgewiesen.
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Mindestens so große Sorgen wie die Agenten-Tätigkeit müssen die russischen Cyberattacken machen: Moskau operiert im Cyberraum seit Jahren nicht nur zur Informationsbeschaffung wie etwa mit Angriffen auf den Bundestag – Sicherheitsexperten befürchten auch die Vorbereitung von Sabotageakten hierzulande. Noch sind die ein sehr unwahrscheinliches Bedrohungsszenario. Aber der frühere KGB-Agent Putin weiß, wie sich westliche Staaten auch mit anderen nachrichtendienstlichen Mitteln zermürben, spalten und verunsichern lassen.
Putins Hemmschwelle dürfte wegen des Krieges weiter sinken
Seine Hemmschwelle dürfte weiter sinken, je unwahrscheinlicher ein militärischer Erfolg in der Ukraine wird. Angesichts der brutalen Entschlossenheit Moskaus – und zunehmend offensiver Geheimdienstaktivitäten auch aus China – ist also mehr Wachsamkeit zur Spionageabwehr gefragt.
Immerhin: Die Gefahr ist erkannt, spätestens seit Beginn des Ukraine-Kriegs: Die Nachrichtendienste haben darauf mit neuer Konzentration reagiert und mit deutlichem Personalaufbau, der allerdings Zeit brauchen wird. Das reicht noch nicht. Die Arbeit und die Struktur der Sicherheitsbehörden müssen noch konsequenter auf mögliche Schwachstellen überprüft werden.
Politik, Unternehmen, die Gesellschaft insgesamt müssen sensibler sein für die Bedrohung aus dem Verborgenen. Die Zäsur, die Putins Angriff auf die Ukraine für unsere Sicherheit bedeutet, betrifft nicht nur die militärische Verteidigung. Der Krieg ist auch eine Zeitenwende für die innere Sicherheit.