Berlin. Die Deutschen hängen am Bargeld, ein anderes Land will das Recht darauf in die Verfassung aufnehmen. Wie lange gibt es noch Münzgeld?
In nur drei EU-Staaten zahlen die Bürgerinnen und Bürger beim Einkaufen noch häufiger mit Bargeld als hierzulande: in Italien, Rumänien und Bulgarien. Das geht aus Zahlen von Statista von 2021 hervor. Die jüngste Studie der Bundesbank, ebenfalls von 2021 ergab: Rund 58 Prozent der Bezahlvorgänge in Deutschland tätigten die Befragten in bar. Das sind zwar deutlich weniger als 2017, damals waren es noch gut drei Viertel. Aber 2021 war auch ein Pandemiejahr, in der Onlinehandel boomte. Die Frage damals war eher: „Online oder im Geschäft?“ und weniger: „Bar oder mit Karte?“
Wenn der Trend der vergangenen Jahre anhält, dürfte der Anteil der Bargeldzahlungen hierzulande dennoch sehr bald unter die 50-Prozent-Marke sinken. Münzen und Scheine wären dann zwar noch immer die häufigsten Zahlungsmittel; EC-, Kreditkarten und sonstige Bezahlverfahren zusammen werden dann aber voraussichtlich bei der Mehrzahl aller Transaktionen zum Einsatz kommen. Das Gros der Bezahlvorgänge wird dann zum ersten Mal in der Geschichte nicht mehr analog getätigt werden.
Angetrieben wird die Entwicklung von den jüngeren Generationen. „Menschen werden nie freiwillig etwas abgeben, die Jugend aber vermisst das Bargeld nicht, die werden auch nicht protestieren, wenn es langsam aus dem Alltag verschwinden sollte“, erklärt Julia Pitters, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Internationalen Hochschule (IU) in Erfurt, dieser Redaktion. Eine Allensbach-Studie zeigt: Schon 2021 zahlten unter 60-Jährige zu 53 Prozent lieber bargeldlos, bei über 60-Jährigen waren es nur 24 Prozent.
AfD schürt Angst vor dem Ende des Bargelds
Bargeld vermittelt Sicherheit, oder wie Julia Pitters es ausdrückt, es „erweckt eine Art Kontrollillusion“. Genau da setzt offenbar der jüngste Vorstoß von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an, der eine „Taskforce“ aus Kanzleramt, Finanzministerium und Österreichischer Nationalbank gründen will, um das Recht auf Bargeld in der österreichischen Verfassung zu verankern. Hintergrund ist das Vorhaben der EU, Barzahlungen künftig auf 10.000 Euro zu begrenzen, was bei manchen Österreichern offenbar die Angst geweckt hat, über kurz oder lang könnten ihnen Scheine und Münzen ganz weggenommen werden.
So unbegründet diese Angst auch sein mag, so gern wird sie politisch instrumentalisiert. In Österreich mittlerweile gleich von zwei Parteien. Die rechtspopulistische FPÖ bezichtigte Nehammer des Ideenklaus: „Schämen Sie sich nicht, auf diese Weise Ideen von der ‘bösen und extremen’ FPÖ zu stehlen?“, schimpfte FPÖ-Chef Herbert Kickl. „Haben Sie denn keine eigenen vernünftigen Ideen?“
Aber auch in Deutschland ist das Thema nicht neu. Schon 2019 hatte die AfD einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag eingebracht und war damit zwei Jahre später gescheitert. Die österreichische FPÖ hatte 2019 bereits den zweiten Versuch dazu unternommen. Die Angst vor dem Verschwinden des Bargelds blieb auf der Agenda: „Wäre Geld nur noch elektronisch existent, könnte es in Krisenzeiten einfach gelöscht oder temporär gesperrt werden“, so Alice Weidel in einer Meldung der Partei vom November 2022. Überschrift: „Bargeld bedeutet Freiheit“.
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Bargeld – ein bisschen Sicherheit in Krisenzeiten
Doch nicht nur am rechten Rand ist das Bargeld ein politisches Thema: Die Debatte um Bargeldobergrenzen veranlasste FDP-Chef Christian Lindner schon 2016 dazu, die damalige Große Koalition an den verfassungsmäßigen Schutz von Eigentum und Privatsphäre zu erinnern. „Wenn Union und SPD das nicht verstehen, dann sollte der Schutz des Bargeldes im Grundgesetz verankert werden“, forderte Lindner damals. Hitzige Debatten, die für Skandinavier oder Balten kaum nachvollziehbar sind. Bargeld abschaffen? Erledigt, würde man in Schweden sagen, wo die Kasse aus vielen Ladengeschäften bereits verschwunden ist.
„Besonders in Krisenzeiten tendieren die Menschen stark zu Bargeld“, sagt Pitters. „Man vertraut der Haptik, dem Echten.“ Während der strengen Corona-Lockdowns war Bares als Zahlungsmittel aber nur noch sehr beschränkt einsetzbar. Gleichzeitig stieg die Menge der von Banken ausgegebenen Scheine im Euro-Raum signifikant. Eine paradoxe Situation: Die Menschen buchten mehr Bargeld ab als zuvor und konnten zugleich weniger davon ausgeben. Pitters vermutet: „Die Menschen haben wohl vermehrt Bargeld gehortet in der Pandemie.“ Was man hat, hat man – auch wenn man es nicht braucht.
Im Oktober will die Europäische Zentralbank (EZB) verkünden, ob sie mit der Entwicklung eines neuen elektronischen Zahlungsmittels beginnen will. „Auch der Digitale Euro löst wieder Angst aus – obwohl die Abschaffung des Bargelds überhaupt nicht das Ziel der EZB ist“, sagt Pitters - im Gegenteil. Man wolle den Euro damit stützen. Es hänge nun sehr von der Kommunikation der EZB und der EU ab, ob das Vorhaben letztlich Erfolg haben wird. Aus ihrer Forschung weiß Pitters zu berichten, dass junge Menschen eher dazu bereit seien, ihre Daten mit privaten Bezahldienstleistern wie PayPal zu teilen, als mit staatlichen Stellen.